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sv_Grandl_Peter_1_c_Gila_4c_1»Wenn wir gegen alles immer nur sehr sachlich und sehr nüchtern argumentieren, werden wir wenig bewegen«, sagt Autor Peter Grandl.. © pv

Was passiert, wenn digitale Fälschungen immer besser werden? Mit dieser Frage hat sich Autor Peter Grandl in seinem neuesten Roman »Reset« beschäftigt. Am Samstag liest er daraus in Hungen. »Mir geht es darum, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, wie fragil all das ist, was wir für selbstverständlich halten«, sagt Grandl im Interview.

Herr Grandl, wie sieht die Welt aus, die Sie in Ihrem neuesten Roman »Reset« beschreiben?

Reset beginnt im Hier und Jetzt. Und plötzlich wird die Welt überschwemmt von Fake News. Wir wissen nicht mehr, was wahr oder falsch ist. Sowohl auf Handys als auch im Fernsehen, im Radio und im Internet sind Nachrichten vorhanden, aber kein Mensch weiß mehr, ob sie stimmen.

Wie weit ist das von unserer jetzigen Realität entfernt?

Nicht weit. Die Computertechnologien werden immer besser und es gibt schon jetzt viele gefälschte Videos. Dort sieht man beispielsweise, wie Donald Trump, Wladimir Putin und Kim Jong-un zu »Staying Alive« tanzen. Es sieht echt aus, aber es ist eine KI-Animation. Auch aus alten Vintage-Fotos lassen sich farbige Videos erstellen. Dann fängt die Oma auf dem Foto plötzlich an zu lachen. Diese Animationen werden immer besser und es ist nur noch ein kleiner Schritt, bis das auch in Echtzeit funktioniert.

Wie können wir uns das dann vorstellen?

Denken Sie beispielsweise an den Enkeltrick. Es wird bald möglich sein, dass künftig kein »Fremder« mehr anruft, um Geld zu ergaunern, sondern scheinbar der Enkel selbst. Er wird für Sie vollkommen real erscheinen, in Wort und Bild, mit seiner Stimme, seinem Gesicht und der eigentümlichen Gestik. Man kann mit ihm reden, er kann antworten. Davon sind wir nicht mehr weit entfernt, dass Deepfakes so überzeugend und in Echtzeit ausspielbar sind, dass wir über einen Videoanruf getäuscht werden können.

Wie passt Ihr neustes Buch zu Ihrer bisherigen Arbeit, in der Sie sich mit verschiedenen Arten des Extremismus beschäftigt haben?

Die Romane, die ich bisher geschrieben habe, sind alle gesellschaftskritisch. Sie beschäftigen sich mit der Frage, was passieren muss, damit der Status quo, der Staat, in dem wir leben, die Werte, die wir für uns aufgestellt haben, morgen zusammenbrechen und nicht mehr existieren. Das ist eigentlich der Kern all meiner Romane. Damit will ich dafür sensibilisieren, dass wir wirklich schätzen, was wir haben und dass es nicht verloren gehen darf.

Was könnte denn dazu führen, dass dieser Status quo verloren geht?

Ich hatte Unterstützung von einem Experten, der in der Zeit von Kanzlerin Merkel Cyberberater für die Bundesregierung war und jetzt für das Pentagon arbeitet. Er erklärte mir, dass die größte Gefahr, die von KI ausgeht, all das ist, was mit der Kompromittierung von Nachrichten zu tun hat. Daran arbeiten bereits die Militärs weltweit. Das hat mich weit mehr erschreckt als alles, was wir aus Science-Fiction-Dystopien kennen, in denen böse KI-Maschinen die Menschheit ausrotten. Die Wahrheit ist aber, dass künstliche Intelligenz nicht per se intelligent ist. Es steht immer ein Mensch dahinter, der sie steuert. Und was ich in dem Roman beschreibe, ist laut Experten ein naheliegendes Szenario. Dass wir durch die KI, beziehungsweise von den Leuten, die sie steuern, so kompromittiert werden, dass wir nicht mehr wissen, was wahr und was falsch ist.

Wie sind Sie auf diese Gefahr aufmerksam geworden?

Ich wollte anfangs gar kein Buch über KI schreiben, sondern über die Hybris des Menschen. Der Mensch weckt alle möglichen Kräfte, aber hat diese nicht mehr im Griff. Wir sägen schon die ganze Zeit an dem Ast, auf dem wir sitzen. Und da ist die KI nur noch das Tüpfelchen auf dem I. Ich beginne den Roman mit dem Zitat von Mephistopheles aus Faust: ›Der Mensch irrt, solange er strebt.‹ Und das ist, wovor wir Angst haben müssen. Nicht die KI ist das Problem, sondern der Mensch, der sich vollkommen überschätzt. Das ist das eigentliche Thema. Deswegen steht auch nirgendwo im Klappentext etwas von KI. Mir geht es um den Menschen, der sich selbst zerstört.

Sie haben gesagt, dass sich das Thema auch durch Ihre anderen Romane zieht. Warum ist Ihnen das so wichtig?

Weil wir oft vergessen, wie gut wir es eigentlich haben – bis es zu spät ist. Es gibt dieses schöne Zitat von Hermann Hesse: ›Man erkennt das Paradies erst, wenn man daraus vertrieben wurde.‹ Genau das beschreibt unsere Zeit sehr treffend. Wir neigen dazu, den Status quo zu kritisieren, ohne zu sehen, auf welch hohem Niveau wir klagen. Mir geht es darum, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, wie fragil all das ist, was wir für selbstverständlich halten: Frieden, Demokratie, Informationsfreiheit. Wenn wir nicht sensibler werden – geopolitisch, gesellschaftlich, ökologisch – dann steuern wir sehenden Auges auf eine Welt zu, die wir so nicht wollen. Meine Romane sollen kein moralischer Zeigefinger sein, aber vielleicht ein Warnsignal: Schaut hin, bevor es zu spät ist.

Denken Sie denn, da ist noch etwas zu retten?

Ja, ich bin absoluter Optimist! Ich habe drei Söhne, ich wünsche mir viele Enkel und eine glückliche Zukunft für alle. Sogar mein Roman »Reset« hat ein positives Ende, weil ich denke, wir kriegen die Kurve. Ich glaube wirklich, wir packen das. Es müssen sich nur genügend Menschen dafür einsetzen, die Augen offen halten und sensibel für alle Gefahren sein. Und wir müssen populistisch dem entgegenwirken, was wir gerade durch die AfD, auf TikTok oder durch die amerikanische Regierung erleben. Wenn wir gegen alles immer nur sehr sachlich und sehr nüchtern argumentieren, werden wir wenig bewegen. Deswegen packe ich meine Themen immer in Spannungsromane. Ich denke, Populismus muss man mit Populismus bekämpfen.

Sie denken also, dass es einen Punkt gibt, an dem man diesen Gefahren nicht mehr nur auf inhaltlicher Ebene begegnen kann?

Man muss die Botschaften anders verpacken. Man muss sie schmackhaft machen. Zu Entertainment machen, um genauso gegenwirken zu können, wie es von der anderen Seite bereits passiert. Als ich mein erstes Buch »Turmschatten« geschrieben habe, in dem es um Rechtsradikalismus geht, habe ich gesagt, ich hätte genauso gut ein Sachbuch schreiben können. Beinah wäre es auch so gekommen.

Warum wurde es dann ein Roman?

Hätte ich ein Sachbuch geschrieben, dann wäre es, wie Eulen nach Athen zu tragen. Es hätten nur die Leute gelesen, die es nicht mehr lesen müssen. Bei denen kann ich keinen Hebel mehr umlegen. Aber ich habe immer gesagt, ich will, dass die Botschaft auf dem Schulhof ankommt. Stellvertretend ist damit natürlich die junge Generation gemeint. Wenn ich dort spannende Geschichten mit starken Botschaften erzähle, die im Kopf was bewegen, dann habe ich mein Ziel erreicht.

Denken Sie, das hat funktioniert?

Ja, zum einen ist das Buch »Turmschatten« als Streamingserie verfilmt worden. Das heißt, dieser Schulhofgedanke hat fantastisch funktioniert, weil die Breitenwirkung dadurch viel größer wurde. Zum anderen wurde ich angesprochen von Organisationen wie ›Schule ohne Rassismus‹ oder der Bildungsinitiative ›German Dream‹, unterstützt durch die Bundeszentrale für politische Bildung. Für die bin ich pro bono an drei bis vier verschiedenen Schulen im Monat. Dort halte ich Lesungen oder spreche im Klassenverband über demokratische Werte. Im Austausch mit den Schülern lerne auch ich viel. Ich bin sehr froh darüber, dass ich dort eingeladen werde und dabei sein darf. Ich kann etwas bewirken. Und wenn es nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist.

Jetzt sind Sie in Hungen im Rahmen des Krimifestivals zu Gast. Wie angsteinflößend wird eine Lesung mit dem Buch »Reset«?

Ich glaube, dass es eine spannende Lesung wird. Das Buch ist in zwei Hälften geteilt und so gestaltet sich auch die Lesung. Erst das dystopische Szenario und dann der Weg raus aus dieser Dystopie. Genauso halte ich es auch bei der Lesung. Ich mache klar, wie es um uns steht und wie ernst die Situation mit Deep Fakes im Internet und digitalen Kompromittierungen ist. Aber dann finde ich auch in der Lesung wieder zurück und erzähle teilweise auch humorvolle Szenarien und Geschichten, die Hoffnung und einen Ausblick geben.