Im zerstörten Atomkraftwerk Tschernobyl wurde ukrainischen Angaben zufolge die Stromversorgung der Reaktorschutzhülle nach russischen Angriffen unterbrochen. „Aufgrund
russischen Beschusses auf die Energieinfrastruktur in der Region Kyjiw ist es zu einer Notsituation in den Anlagen des Kernkraftwerks
Tschernobyl gekommen“, teilte das ukrainische Energieministerium im Onlinedienst Telegram mit. Die Schutzhülle des beschädigten
vierten Reaktors habe seit dem Vorfall keinen Strom mehr, Spezialisten
arbeiteten derzeit daran, die Versorgung wiederherzustellen. Die Hülle isoliert den vierten Reaktorblock des Kernkraftwerks und
verhindert die Freisetzung radioaktiver Strahlung.

Die russische Regierung äußerte sich zunächst nicht zu dem Vorfall. Der
ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte nach dem Stromausfall,
Russland sei eine Gefahr für die globale Sicherheit. „Jeder Tag, an dem Russland den Krieg
verlängert, sich weigert, einen vollständigen und verlässlichen
Waffenstillstand umzusetzen, und weiterhin alle Objekte unserer
Energieinfrastruktur angreift – einschließlich derjenigen, die für die
Sicherheit von Kernkraftwerken und anderen nuklearen Anlagen von
entscheidender Bedeutung sind –, ist eine globale Bedrohung“, schrieb
Selenskyj auf Facebook.

Versorgung läuft laut IAEA per Generator

Laut dem ukrainischen Energieministerium traf der russische Angriff ein
Umspannwerk in der Stadt Slawutytsch etwa 50 Kilometer vom AKW
Tschernobyl entfernt. Auch in der Kleinstadt,
in der früher die Bedienungsmannschaften des Werks lebten, fiel der
Strom aus. Laut Selenskyj wurde die Stadt von mehr als 20 Drohnen getroffen. Für Versorgung der drei stillgelegten Reaktoren des Werks
sei nun auf eine andere Stromleitung umgeschaltet worden,
teilte die Internationale Atomenergiebehörden IAEA in Wien mit. Der
sogenannte Sarkophag um den vierten Block werde mit
zwei Dieselgeneratoren versorgt.

© Lea Dohle

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Im Atomkraftwerk Tschernobyl war am 26. April
1986 ein Reaktor explodiert. Der Vorfall gilt als weltweit größte
Atomkatastrophe und verseuchte weite Teile der Ukraine,
Russlands und von Belarus. Um einen weiteren Austritt von Strahlung zu verhindern, wurde im
November 2016 eine von der internationalen Gemeinschaft finanzierte
massive Metallkuppel über den Überresten des Reaktors errichtet.

Bereits im Februar war die Schutzhülle des
Reaktors durch einen russischen Drohnenangriff beschädigt worden. Die
Strahlenbelastung hatte sich damals den ukrainischen Behörden zufolge jedoch nicht erhöht.

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im Februar 2022 das Gelände von Tschernobyl
unter ihre Kontrolle gebracht, sich später aber von der Anlage wieder
zurückgezogen. Das Atomkraftwerk Saporischschja im Süden der Ukraine ist hingegen seit März 2022 von russischen Soldaten besetzt. Russland und die Ukraine werfen sich seitdem regelmäßig vor, die Sicherheit der Anlage zu gefährden und das Risiko einer Nuklearkatastrophe zu erhöhen. Im Januar wurden in der südukrainischen Großstadt Saporischschja bei einem russischen Angriff 13 Menschen getötet und 63 verletzt. Die Stadt war mit zwei Gleitbomben angegriffen worden.