Visionäre Dystopie: „Der Krieg mit den Molchen“ von Karel Čapek
Der tschechische Autor Karel Čapek ist ein Visionär der besonderen Art: Mit „R.U.R.“ prägte er den Begriff „Roboter“, der heute mehr als je zuvor diskutiert wird. In „Das Absolutum“ hat er sich mit der Frage nach der Zerschlagung der Materie beschäftigt. Sein wohl bekanntester Roman ist „Der Krieg mit den Molchen“ – eine Dystopie über Fortschrittswahn, Globalisierung und Ausbeutung der Natur.
Der Hochseekapitän J. van Toch ist in der Südsee unterwegs und findet auf einer Insel Molche, die überraschend intelligent scheinen. Er beginnt, mit ihnen zu handeln und Messer gegen Perlen zu tauschen. Er nutzt sie auch als billige Arbeitskräfte und nimmt sie auf andere Inseln mit. Im Laufe der Zeit verbreiten sich diese klugen Molche auf der ganzen Welt, entwickeln nationale Eigenarten und ein Selbstbewusstsein. Die Molche beginnen, Küsten abzutragen, um mehr Lebensraum für sich zu schaffen – und so kommt es zum Konflikt mit den Menschen.
Capek spielt in seinem Roman mit den literarischen Formen: Mal schreibt er im Stile eines Reiseberichts, mal sind es Zeitungsartikel. Die größte Stärke der Dystopie liegt darin, dass sie sich in verschiedene Richtungen interpretieren lässt. Der Roman wurde 1935 veröffentlicht und kann als Allegorie auf Nationalismus gelesen werden. Gerade heute kann das Werk aber auch als eine Warnung vor der menschlichen Eigenart verstanden werden, sich alles untertan zu machen. Die Molche werden ja erst zur Bedrohung, als die Menschen sie in ihre Gesellschaft integrieren.
Informationen zum Buch
Karel Čapek: „Der Krieg mit den Molchen“
Übersetzt von Eliška Glaserová
288 Seiten, Softcover
ISBN: 978-3-942-78884-7
Tipp: Eine besonders schöne Ausgabe des Klassikers mit Illustrationen des Grafikers Hans Ticha gibt es im Klub Büchergilde Gutenberg.
Kollaboration und Enteignung: „Ich habe den englischen König bedient“ von Bohumil Hrabal
Bohumil Hrabal gilt als einer der wichtigsten tschechischen Autoren der Nachkriegszeit. Was ihn auszeichnet, ist letztlich eine gewisse Nähe zu dem legendären Soldaten Schwejk: Hrabals Erzählungen leben von Übertreibungen und Überzeichnungen. Sein Stil ist von einer Nähe zur mündlichen Sprache geprägt, was der Autor „pabit“ oder auf Deutsch „babeln“ nannte. In „Ich habe den englischen König bedient“ erzählt Hrabal eine Geschichte über Gier, Geltungssucht und Opportunismus.
Dítě beginnt als 15-Jähriger, in einem Hotel zu arbeiten und lernt für sich die Bedeutung von Geld kennen. Er beobachtet, wie sich die Gäste im Hotel Luxus gönnen und ist fasziniert. Und so bleibt er dem Hotelgewerbe treu, wechselt an andere Häuser, wo er beim feierlichen Empfang des abessinischen Königs mithilft, was ihm immer im Gedächtnis bleibt, und lernt, die Wünsche der Gäste möglichst früh zu erkennen. Das sollte ihm später noch nützlich sein, als die Nazis die Macht ergreifen. Zu dieser Zeit arbeitet Dítě in einem Hotel, in dem die Rassenpolitik vorangetrieben werden soll. Dítě besinnt sich auf seine deutschen Wurzeln – die für die Nazis nicht deutsch genug waren, und von seinen tschechischen Bekannten wird der Hoteldiener für seine Unterwürfigkeit verachtet.
Nach dem Krieg kann Dítě einige alte Briefmarken verkaufen und sich mit diesem Vermögen ein eigenes Haus kaufen. Das war immer sein Traum, der bald platzt, als die neue kommunistische Regierung ihn enteignet. Dítě kommt in ein Arbeitslager. Dort blickt er auf sein Leben zurück und findet endlich zu sich.
Informationen zum Buch
Bohumil Hrabal: „Ich habe den englischen König bedient“
Übersetzt von Karl-Heinz Jähn
Suhrkamp Verlag
300 Seiten, Taschenbuch
ISBN: 978-3-518-38254-7
Aus dem Untergrund: Erinnerungen einer Prager Legende
Egon Bondy – oder Zbyněk Fišer, wie er mit bürgerlichem Namen hieß – war ein Enfant terrible der tschechischen Literatur der kommunistischen Ära. Fišer war zwar ein überzeugter Kommunist und Marxist, lehnte das Regime aber dennoch ab, nicht zuletzt wegen autoritärer Entwicklungen. Deswegen lehnte er auch die Literaturmaxime ab und schrieb lieber im Untergrund, vor allem Gedichte, aber auch Prosa. Dabei nutzte er immer neue poetische Programme, die vor allem mit Surrealismus und dem Absurden spielten – im Gegensatz zur offiziellen Linie. Bis heute ist Bondy eine Prager Legende, auch weil der Autor Bohumil Hrabal ihn als Figur immer wieder in seinen Geschichten auftreten ließ.
Der Band „Die ersten zehn Jahre“ ist eine Art Autobiografie, Erinnerungen an die Zeit zwischen 1947 und 1957. Bondy schildert darin ein Leben, das zum einen von staatlicher Verfolgung geprägt, zum anderen von Exzessen bestimmt ist, von Alkoholismus, Bettelei, Obdachlosigkeit, sexueller Besessenheit. Immer wieder rutscht Bondy in psychotische Zustände, was vielleicht auch einen Teil seiner Literatur erklärt. Er ist aber nicht der einzige Held dieser Geschichte, bei ihm ist auch seine Geliebte Honza Krejcarová.
Das Buch zeigt eine besondere Gestalt, die vor allem die jüngere Literatur in Tschechien geprägt hat. Die Erinnerungen schildern dabei zahlreiche Momente, die zeigen, wie ein intellektueller Mensch trotz inhaltlicher Überzeugung unter dem repressiven System leidet. So ist das Buch auch ein spannendes Zeitdokument der ersten Jahre der Tschechoslowakei. Von der war Bondy übrigens überzeugt: Vermutlich wanderte er nach der Revolution 1989 auch deswegen nach Bratislava aus, weil er mit der Teilung nicht einverstanden war.
Informationen zum Buch
Egon Bondy: „Die ersten zehn Jahre“
Übersetzt von Eva Profousová
Nachwort und Gedichtauswahl von Jan Faktor, übersetzt mit Annette Simon
Guggolz Verlag
235 Seiten, Hardcover
ISBN: 978-3-945370-41-4
Leben nach der Stunde Null: „Unmerklicher Verlust der Einsamkeit“ von Eli Beneš
Die Stunde Null hatte auch in Tschechien und Prag geschlagen. Bereits vor Kriegsbeginn fielen Teile des Landes an Deutschland, im März 1939 holten sich die Nazis den Rest und setzten ihre Vernichtungspolitik von Prag aus um. 1945 beendete die Rote Armee die Besatzung. Die KZ-Häftlinge kehrten aus Auschwitz zurück und der deutsche Teil der Bevölkerung wurde vertrieben. An diesem historischen Zeitpunkt setzt der Roman „Unmerklicher Verlust der Einsamkeit“ von Eli Beneš ein.
Petr Stein kehrt aus dem KZ zurück und fällt in ein Loch: In seiner Wohnung leben andere Menschen, die nicht wissen konnten, dass die Steins zurückkehren würden. Genau genommen sind sie das auch nicht: Petr wartet, dass auch seine Eltern und sein Bruder nach Prag kommen. Eine ältere Frau gibt ihm ein Dach über den Kopf und ein Radio, in dem er die Namen der Überlebenden hören kann – aber nicht die seiner Familie. Sein Mitbewohner bringt ihm das Boxen bei, Petr engagiert sich in der Gemeinde. Er findet auch Liebe, doch Ilse muss wieder fliehen. Denn sie ist zwar jüdisch, doch ihre Eltern hatten sich als Deutsche registrieren lassen. Darum wird sie noch von einer Art Vergeltungs-Säuberungspolitik der Nachkriegsjahre getroffen. Petr ist wieder einsam.
Mehrere Jahre lang hat Eli Beneš recherchiert, ist in Archive hinabgestiegen und hat Dokumente gewälzt. Wichtige Inspirationen waren sicherlich auch literarische Kollegen und Vorfahren wie Jiří Weil und H. G. Adler, die ebenfalls über diese Zeit schrieben. Beneš erzählt nicht trocken von einer vergangenen Zeit, seine Sprache ist bildstark und intensiv. Lange Zeit hat der Autor als Radio-Moderator gearbeitet. „Unmerklicher Verlust der Einsamkeit“ ist sein Debüt, wofür er gleich mit dem Magnesia-Literaturpreis ausgezeichnet wurde, dem höchsten Literaturpreis Tschechiens.
Informationen zum Buch
Eli Beneš: „Unmerklicher Verlust der Einsamkeit“
Übersetzt von Raija Hauck
Verlag Karl Rauch
688 Seiten, Hardcover
ISBN: 978-3-792-00293-3
Bilder aus der Vergangenheit: die Graphic Novel „Alois Nebel“
Schweigend liegen die Schienen zwischen den zugeschneiten Bäumen. Sie haben schon so viel erlebt und überlebt, werden zur Verbindungslinie durch alle Zeiten. Alois Nebel ist in den 80er-Jahren für diese Schienen bei dem kleinen Städtchen Bílý Potok zuständig. Er wandert bei seinen Routineüberprüfungen an den Schienen entlang und taucht dabei selbst in die Vergangenheit ein: Die Züge brachten unliebsame Menschen in die Konzentrationslager, nach dem Krieg reisten die Sudetendeutschen unfreiwillig aus, und nicht zuletzt brachte die Rote Armee 1968 Truppennachschub nach Prag.
Irgendwann werden diese Versionen zu viel und Alois Nebel kommt in die Psychiatrie. Dort freundet er sich mit einem Menschen an, der nur als der Stumme bekannt ist. Er wurde beim illegalen Überqueren der Grenze erwischt und spricht kein Wort. So wird er zum Symbol dafür, wie schwer es ist, über die Vergangenheit voller Gewalt zu sprechen, aber auch zum spannenden Mysterium.
Zur Titelfigur inspiriert wurde der beliebte Autor Jaroslav Rudis von seinen eigenen Vorfahren: Vater und Großvater waren Fahrdienstleiter und erzählten auch viel von ihrer Arbeit. Der Künstler Jaromir99 hat die Geschichte in eigenwillige Bilder übersetzt, die einen Großteil der bedrückenden Stimmung ausmachen: Es gibt keine Schatten oder Schattierungen, nur scharfkantige schwarze Umrisse, die an expressionistische Holzschnitte erinnern.
Mutig stellt sich die Graphic Novel den großen Fragen der Vergangenheitsbewältigung und nutzt dafür nicht nur alle Mittel, die der grafischen Erzählkunst seit Art Spiegelman zur Verfügung stehen, sondern wagt auch erzählerische Experimente, wenn die Künstler selbst in der Geschichte auftauchen und zwei verschiedene Ausgänge präsentieren. „Alois Nebel“ wurde nach Erscheinen in Tschechien sofort euphorisch gefeiert und zum Paradebeispiel der hiesigen Comic-Kunst. Nach internationalem Erfolg wurde die Graphic Novel auch verfilmt.
Informationen zum Buch
Jaromír 99 und Jaroslav Rudiš: „Alois Nebel“
Übersetzt von Eva Profousová
Voland & Quist
360 Seiten, Softcover
ISBN: 978-3-863-91012-9