Liebe Leserin, lieber Leser,
ich hatte nicht vor, Sie tagelang mit einer Privatangelegenheit zu
behelligen, nämlich meinen Fahrradunfällen (siehe gestrige Einleitung). Es ist nur so, dass Radunfälle
ein verkehrspolitisches Thema sind und damit nicht nur ein Privatproblem.
Es gibt eine Statistik zu Fahrradunfällen, die ich mit Vorbehalten
betrachte. Keiner meiner Unfälle findet sich darin. Ich habe einfach nie
Anzeige erstattet und hätte in mehreren Fällen auch nicht gewusst, gegen wen,
weil meine Unfallgegner einfach weggefahren sind. Darum bin ich sicher, dass es
zur offiziellen Unfallstatistik ein großes Dunkelfeld von Zusammenstößen und
weniger schweren Verletzungen gibt, die nicht erfasst werden.
Zwei Unfälle eines scheußlichen Typs haben es zuletzt in die Nachrichten
geschafft, nämlich Fälle von „Dooring“, also dem rücksichtslosen Öffnen von
Auto- oder Beifahrertüren, ohne auf nahende Radfahrer oder Radfahrerinnen zu
achten, was schlimmstenfalls zu ungebremsten Zusammenstößen ungeschützter
Körper mit starren und kantigen Hindernissen führt. Von den Dooring-Opfern der
letzten Tage hat eines den Unfall nicht überlebt, das andere kam ins
Krankenhaus.
Ich bin einmal bei einem solchen Unfall glimpflich davongekommen.
Vermutlich hatte ich Gelegenheit, mein Tempo noch einen Sekundenbruchteil lang
abzubremsen. Später stellte ich fest, dass meine Arme und mein Oberkörper
übersät waren mit blauen Flecken, mehr ist mir nicht passiert.
Meine Unfallgegner waren junge Leute. Es war die Beifahrerin, die ihre Tür
unvermittelt in den Radweg geöffnet hatte. Ich erinnere mich, dass die
Fahrzeuginsassen ziemlich schnell zu dem Ergebnis gelangten, es sei nichts
Schlimmes passiert – ich stand, war ansprechbar, blutete nicht einmal. Die
Gruppe hatte es eilig und verabschiedete sich.
© ZON
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Wie viel Mitschuld mich trifft, kann ich im Rückblick nicht sagen.
Radfahrende sind gehalten, einen Sicherheitsabstand zu parkenden Fahrzeugen zu
wahren. Der Zusammenstoß passierte noch in der Zeit schmaler Radwege zwischen
Fußwegen und Parkzonen, die allmählich aus dem Straßenbild verschwinden. Das
Risiko hat sich heute verringert, aber beseitigt ist es nicht, wie die
dramatischen Unfälle der letzten Tage zeigen.
Lassen sich Dooring-Unfälle vermeiden? Wenn Tausende von Radfahrern täglich
Zehntausende von Autotüren passieren, finde ich es abwegig zu hoffen, dass
niemandem dabei ein Fehler unterläuft. Und für breite Radwege, die ihre
Nutzerinnen und Nutzer in sicherem Abstand an Autotüren vorbeiführen, fehlt an
vielen Stellen der Platz. Aber es gibt eine einfache Lösung: Sensoren, die
Autofahrende beim Ausstieg vor nahenden Rädern warnen. Angesichts des Aufwands,
mit dem Fahrzeughersteller den Lack ihrer Autos vor ungeschickten
Einparkmanövern schützen, scheint mir der Einbau solcher Warnanlagen zumutbar
zu sein.
Ich wünsche Ihnen
einen schönen Tag!
Ihr Frank Drieschner
Wollen Sie uns
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Sie uns eine E-Mail an hamburg@zeit.de.
WAS HEUTE WICHTIG IST
© Marcus Brandt/dpa
Hamburgs Antisemitismusbeauftragter
Stefan Hensel gibt sein Amt auf. „Der zeitliche Aufwand und die
anhaltende Konfrontation mit Hass und persönlichen Übergriffen sind im Rahmen
eines Ehrenamts für mich nicht mehr vereinbar“, sagte Hensel laut einer
Mitteilung des Senats. Er wolle sich zukünftig „den positiven Seiten jüdischen
Lebens widmen“. Der Hamburger Senat hatte Hensel im Juli 2021 zum
Antisemitismusbeauftragten ernannt. „Stefan Hensel hat die Sichtbarkeit
jüdischen Lebens in Hamburg spürbar gestärkt“, sagte Gleichstellungssenatorin
Maryam Blumenthal (Grüne). „Umso bedauerlicher ist es, dass ihn auch die
zunehmende Konfrontation mit Hass und Hetze zu diesem Schritt veranlasst haben.
Das macht deutlich, wie wichtig der Kampf gegen Antisemitismus bleibt.“ Stefan Hensel (Z+) werde bis zur Bestellung einer Nachfolge
im Amt bleiben, längstens aber bis 31. Dezember 2025.
Das Unternehmen Pflegen & Wohnen befindet
sich wieder vollständig in städtischer Hand. Mit Ablauf des dritten
Quartals habe die Hamburger Gesellschaft für Vermögens- und
Beteiligungsmanagement mbH die Gesellschafteranteile von der Deutsche Wohnen SE
übernommen, teilten die Finanz- und die Sozialbehörde mit. Das
Pflegeunternehmen war 2007 durch den Beschluss des damaligen CDU-Senats
privatisiert worden. Pflegen & Wohnen Hamburg betreibt in der Stadt rund
2.400 stationäre Pflegeplätze. „Mit dem Ankauf bekennt sich der Senat zu seiner
Verantwortung, eine zeitgemäße pflegerische Grundversorgung für Hamburgerinnen
und Hamburger vorzuhalten und diese langfristig zu sichern“, erklärte
Sozialsenatorin Melanie Schlotzhauer (SPD).
Der AfD-Bürgerschaftsabgeordnete
Robert Risch hat offenbar an einem internationalen Kongress neofaschistischer
Kräfte in St. Petersburg teilgenommen – nun fordern etliche Politikerinnen
und Politiker Konsequenzen. „Robert Risch muss unverzüglich aus der
AfD-Fraktion ausgeschlossen werden und sein Mandat niederlegen“, sagte etwa SPD-Fraktionschef
Dirk Kienscherf. Risch, der auch Vizechef der Bezirksfraktion Altona ist, ist
bei einer Auswertung von Veranstaltungsfotos durch den US-Auslandssender Radio
Free Europe/Radio Liberty (RFE/RL) aufgeflogen. Bei dem Treffen soll ebenfalls die
frühere Hamburger AfD-Bürgerschaftsabgeordnete Olga Petersen,
die inzwischen in Russland lebt (Z+), anwesend gewesen sein. Risch äußerte
sich dazu bisher nicht.
In aller Kürze
• Einkommensteuerpflichtige Bürgerinnen und Bürger
Hamburgs können ab sofort auf dieser Internetseite ihrem Finanzamt Feedback geben.
Dabei geht es unter anderem um Fragen nach der Bearbeitung von Einsprüchen und
der Erreichbarkeit von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern • Wegen des
Verdachts auf Handel mit Kokain sind gestern vier Männer in Hamburg
festgenommen worden, dabei wurden auch mehr als 34 Kilogramm Kokain
beschlagnahmt • Weil sie trotz Embargos Elektronik für den Bau
militärischer Drohnen nach Russland ausgeführt haben, sind gestern vor dem
Hamburger Landgericht zwei Männer zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt
worden. Sie hätten gewusst, dass die Waren in der Russland-Embargo-Verordnung
gelistet waren, sagte der Richter, und auch: „Täuschung und Verschleierung
standen bei dem Unternehmen an erster Stelle.“
THEMA DES TAGES
© Lisi Niesner/Reuters
„Man kann ja bei der Drohnenabwehr nicht einfach
in die Luft schießen“
Wie wehrt man sich
gegen die Gefahr durch Drohnen? Zwei Hamburger Ingenieure haben ein
Abfangsystem entwickelt, das die Bundeswehr nun einsetzt. Wie das funktioniert, erklären Gerd Scholl und Ralf Heynicke von der Helmut-Schmidt-Universität der
Bundeswehr dem
ZEIT:Hamburg-Redakteur Christoph Heinemann; lesen Sie hier einen Auszug aus dem
Interview.
Bei einem Großmanöver der Bundeswehr (Z+) kam erstmals
eine Abfangdrohne der niedersächsischen Firma Argus Interception zum Einsatz.
Die Ingenieure Gerd Scholl und Ralf Heynicke haben den Prototypen dafür
entwickelt. Hier erklären sie, warum das Rammen einer feindlichen Drohne
möglich, aber keine gute Idee ist.
DIE ZEIT: Herr Heynicke, Herr Scholl, fremde Drohnen
verletzen den Luftraum des Nato-Staates Polen, kreisen über Flughäfen in
Dänemark und Norwegen, über Bundeswehrkasernen, über Häfen in norddeutschen
Städten. Alle sprechen nun darüber, was man gegen die Drohnen unternehmen kann.
Sie haben eine Abfangdrohne entwickelt, Ihr System ist inzwischen von der Firma
Argus Interception zur Produktionsreife gebracht worden. Wie kam es dazu?
Gerd Scholl: Eine militärische Bedrohung, wie wir sie jetzt
haben, war anfangs gar nicht das Thema. Damals, ab dem Jahr 2019, mehrten sich
radikale Klimaproteste. Bei unserem Forschungsprojekt ging es um die Abwehr von
Drohnen im Bereich von Verkehrsflughäfen, die Abfangdrohne war ein Teilprojekt.
Das Verkehrsministerium hat das Forschungskonsortium mit rund zwei Millionen
Euro gefördert.
ZEIT: Wie gingen Sie die Entwicklung der Abfangdrohne
an?
Ralf Heynicke: Wir haben an mehreren Funktionen gearbeitet: Sie
sollte eine nicht autorisierte Drohne verfolgen können und in der Lage sein,
diese aufzuhalten. Man kann ja bei der Drohnenabwehr nicht standardmäßig
einfach in die Luft schießen, allein wegen der Gefahr durch herabfallende
Teile. Unsere Antwort darauf war ein Netzwerfer mit elektronischem Auslöser.
ZEIT: Woher hatten Sie die Bauteile?
Heynicke: Wir haben,
wo immer möglich, auf handelsübliche Komponenten zurückgegriffen, also
beispielsweise Akkus, Sensoren oder Radar. Und wir haben darauf geachtet,
möglichst nur Lieferanten aus Europa und Nato-Staaten zu wählen. Den Netzwerfer
mussten wir selbst entwickeln und testen.
Wie das Projekt die Start-up-Phase verließ und
professionell gebaut wurde, lesen Sie weiter in der ungekürzten Fassung auf zeit.de.
DER SATZ
© Monika Rittershaus/Staatsoper Hamburg
„Die Musik nimmt
sofort Körperkontakt auf, umarmt ihre Zuhörer, und Omer Meir Wellber, der
Dirigent und neue Generalmusikdirektor, befolgt die alte Disney-Regel: Beim
Umarmen nie loslassen, ehe nicht der andere loslässt.“
Die Hamburgische Staatsoper startet mit neuen
Chefs, Tobias Kratzer als Intendant und Omer Meir Wellber als Generalmusikdirektor – ZEIT:Hamburg-Ressortleiter
Florian Zinnecker hat sich die Premiere angeschaut.
DARAUF KÖNNEN SIE SICH FREUEN
In der Georg Elser Halle im Grünen Bunker
treten am Samstag Jürgen Vogel, Gregor Meyle, Meret Becker, Lenn Kudrjawizki,
Glasperlenspiel und viele weitere Künstler zusammen mit dem Berlin Show
Orchestra auf – und zwar im Rahmen der Benefiz-Show „United for children“. Die
Tickets kosten von 18,83 Euro bis 59,28 Euro, der Reingewinn der Veranstaltung
geht an Unicef.
„United for children“, Konzert am 4. 10. ab 20 Uhr, Georg Elser Halle,
Bunker Feldstraße; Tickets und weitere Infos gibt es hier
MEINE STADT
Neuwerk – far, far away und doch Hamburg © Nicole Lukies
HAMBURGER SCHNACK
Vor mir in der
Schlange an der Kasse, größerer Einkauf eines Senioren-Paars. Sie vergessen
eine Flasche Rotwein auf dem Band. Der Kassierer weist sie darauf hin. Der
Senior greift die Flasche und sagt verschmitzt: „Was wäre das nur für ein Abend
geworden?“ Der jüngere Mann vor mir vergisst dann eine einzelne Karotte an der
Kasse, der Kassierer weist ihn darauf hin und sagt mit einem Lächeln: „Was wäre
das nur für ein Abend geworden?“
Gehört von
Mathias von Marcard
Das war die Elbvertiefung, der tägliche
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