Ein Tag im Leben von sechs Personen in einer Kleinstadt im Emsland. „Sprühregen empfängt mich, ansonsten nicht viel“, beginnt Nava Ebrahimi ihren dritten Roman, der, um das trostlose Setting rundzumachen, im Umfeld eines Geflügelschlachtbetriebs angesiedelt ist. „Und Federn überall“ ist dabei alles andere als eindimensional und kalt, sondern erzählt eindrucksvoll klar und feinfühlig von Menschen und Menschlichkeit am Rande der Erschöpfung.

Nava Ebrahimi: „Und Federn überall“, 352 Seiten, 24 Euro, Luchterhand Literaturverlag Foto: Luchterhand Literaturverlag

Nassim ist ein geflüchteter afghanischer Lyriker, der mithilfe der Autorin Roshi seine Chancen auf Asyl in Deutschland verbessern will. Wochenlang hat er sie überredet, eines seiner Gedichte mit ihm auf Deutsch zu übersetzen. Die gebürtige Polin Justyna hat er dabei als seine Nachbarin kennengelernt, bevor sie sich auch körperlich näherkamen. Justyna wurde kürzlich über eine Dating-Plattform von einem merkwürdigen Mann kontaktiert, der ihr von seiner polnischen Oma erzählen möchte. Merkhausen, eben jener, arbeitet im Management der Hühnerfabrik, genauso wie seine Untergebenen, die beauftragte Ingenieurin Anna und Fließbandarbeiterin Sonia in der Zerlegung. Wenn Annas neue Technik funktioniert, wird Sonias Job überflüssig.

Durch den ständigen Perspektivwechsel dieser sechs Personen werden Beziehungen, Parallelitäten und unterschiedliche Machtkonstellationen auf beeindruckende Weise verdeutlicht. Wie wirkt sich existentieller Stress auf Menschen aus? Was schreibt sich ein in einen Ort und seine Bewohnerinnen und Bewohner? Taugen sogenannte christliche Werte für mehr als nur ein Foto?

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„Und Federn überall“ spielt in einem kalten, funktionalen und tödlichen Umfeld, in dem vieles oft unsichtbar bleibt – und damit ist nicht das Emsland an sich gemeint. Bachmann-Preisträgerin Nava Ebrahimi bleibt in ihrer Erzählung ganz eng an den Charakteren, ihren Motiven und Bedürfnissen. Hier lernen wir nicht etwas über Einzelschicksale, sondern über Lebensrealitäten in Deutschland. Ein starker Roman in Form und Inhalt, ungemütlich, vielschichtig und behutsam erzählt, nominiert für den Deutschen Buchpreis 2025.