Seit knapp anderthalb Jahren stehen 83 Angeklagte in Italien im Rahmen eines Anti-Mafia-Prozesses vor Gericht. Einige sollen in Deutschland aktiv gewesen sein. Nun fielen die ersten Urteile.
Von Margherita Bettoni, Axel Hemmerling und Ludwig Kendzia, MDR
Ein Gericht in der süditalienischen Stadt Reggio Calabria hat Haftstrafen von mehr als Tausend Jahren verhängt. In dem Verfahren mussten sich seit Frühjahr vergangenen Jahres 83 Männer vor der Justiz verantworten, 76 davon wurden gestern verurteilt. Sie waren im Rahmen des internationalen Verfahrens „Eureka“ gegen die kalabrische Mafia ‚Ndrangheta und Menschen aus deren Umfeld verhaftet worden.
Die Staatsanwaltschaft Reggio Calabria hatte insgesamt mehr als Tausend Jahre Haft gefordert, mit Einzelstrafen von bis zu 20 Jahren Gefängnis. Die Anklagepunkten reichten von der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, über Drogenhandel und Geldwäsche bis hin zum Handeln mit Kriegswaffen.
Haftstrafen auch für Männer mit Verbindungen nach Bayern
Langjährige Haftstrafen zwischen 12 und 14 Jahren gab es für vier Männer mit Verbindungen nach München. Zwei von ihnen waren dort mit Autowaschsalons aktiv. Der MDR hatte über die mutmaßlich kriminellen Geschäfte der Gruppierung in Bayern berichtet. Das italienische Gericht sah es in erster Instanz als erwiesen an, dass die vier Männer im Alter von 30 bis 45 Jahren Mitglieder einer kriminellen Vereinigung waren, die mit Kokain aus Südamerika handelte.
Die Staatsanwaltschaft hatte zwei von ihnen vorgeworfen, Teile des Drogengeldes über Autowaschsalons in München in Umlauf gebracht zu haben. Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig, die Urteilsbegründung steht noch aus.
Die Angeklagten, gegen die heute die Urteile fielen, hatten sich für das sogenannte „rito abbreviato“ (Deutsch: abgekürztes Verfahren) entschieden. Das ist eine italienische Prozessform, bei der sich das Urteil grundsätzlich auf die Akten der Staatsanwaltschaft stützt und die ohne Hauptverhandlung geführt wird.
Weitere 32 Angeklagte hatten sich für die reguläre Prozessführung entschieden und müssen sich derzeit im kalabrischen Locri vor Gericht verantworten. Unter ihnen ist auch ein Gastronom aus Erfurt. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, an einer Kokainlieferung von Ecuador nach Australien mitgewirkt zu haben. Sein Anwalt hatte gegenüber dem MDR betont, dass seinem Mandanten im Prozess nicht vorgeworfen werde, Teil einer kriminellen Vereinigung zu sein.
„Eureka“-Freisprüche in Dortmund
Anders als nun in Italien, mussten Polizei und Staatsanwaltschaft in Sachen „Eureka“ in Nordrhein-Westfalen eine Niederlage hinnehmen. Am Tag des „Eureka“-Zugriffes waren drei Männer verhaftet worden, die in Verbindung mit einer Eisdiele in der Innenstadt von Siegen standen. Der Verdacht der Ermittler: Salvatore G., mutmaßlicher Drogenhändler und einer der Hauptverdächtigte im Verfahren Eureka, hätte rund 400.000 Euro zur Geldwäsche in jene Eisdiele investiert.
Den drei Männern hatte die Staatsanwaltschaft Düsseldorf ursprünglich vorgeworfen, Mitglieder der kalabrischen Mafia zu sein, und Geld aus Drogengeschäften der Mafia in Siegen gewaschen zu haben. Im Januar 2025 hatte Staatsanwalt Julius Sterzel allerdings im Landgericht Dortmund einräumen müssen, dass die Beweismittel nicht ausreichen würden, um die Schuld der Angeklagten festzustellen. Die drei waren dann Anfang Februar freigesprochen worden. Salvatore G., jener Hauptverdächtiger, der in Siegen oft zu Besuch gewesen sein soll, wurde dagegen heute in Italien zu 20 Jahren Haft verurteilt.
Ein aufwendiges Verfahren
„Eureka“ gehört zu den bisher aufwendigste Verfahren überhaupt gegen die kalabrische Mafia ‚Ndrangheta. Rund 130 Verdächtige waren Anfang Mai 2023 weltweit verhaftet worden, 30 davon in Deutschland. Im Fokus der Ermittlungen standen Clans aus den kalabrischen Dörfern San Luca und Africo. Sie sollen große Mengen Kokain aus Südamerika nach Europa geschmuggelt haben und die illegalen Profite in verschiedenen Ländern gewaschen haben.
Ermittler hatten knapp vier Jahre an dem Verfahren gearbeitet. Sie hatten Verdächtige überwacht, verdeckte Ermittler eingesetzt, Kronzeugen vernommen und die internen Chats ausgewertet, die die mutmaßlichen Kriminellen über Kryptohandys der inzwischen stillgelegten Anbieter EncroChat und SkyECC ausgetauscht hatten.
Europaweit war es zu Razzien unter anderem in Italien, Deutschland, Portugal, Belgien und Frankreich gekommen. In Deutschland lagen die Schwerpunkte in Nordrhein-Westfalen, Bayern und Thüringen.
Ein Drogenbroker packt aus
Eine wichtige Rolle im „Eureka“-Prozess, dessen erste Instanz heute in Kalabrien zu Ende ging, sollen die Aussagen eines neu gewonnenen ‚Ndrangheta-Kronzeugen gespielt haben. Vincenzo Pasquino, 35 Jahre alt, war 2021 in Brasilien verhaftet worden. Im Rahmen von „Eureka“ war er angeklagt worden, kurz nach seiner Auslieferung nach Italien hatte er sich dazu entschieden, mit der Justiz zu kooperieren.
Pasquino soll für hochkarätige ‚Ndrangheta-Clans, unter anderem aus den Dörfern Platì und San Luca, als Drogenbroker gearbeitet und mit südamerikanischen Kartellen verhandelt haben. Er soll über unzählige Kontakte und Insider-Wissen in der Welt des weltweiten Kokainhandels verfügen.