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Seite 1Das Recht auf ein gutes Leben – gilt es auch für Kinder?
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Seite 2″Sie müssen mir glauben!“
Denn trotz Karlas prekärer Situation ist da immer auch eine
Entschlossenheit spürbar, etwa wenn sie den Richter mit festem Blick fixiert:
„Sie müssen mir glauben!“ Die Schauspielerin Elise Krieps spielt Karla mit
eindrücklicher Direktheit und Präzision. Ihr gelingt der Spagat zwischen leisen
Szenen der Einsamkeit im Halbdunklen, wenn Karla im Mädchenheim ihrer Familie
nachtrauert, und den verzweifelten Momenten, in denen das Trauma zurückkehrt.
„Mir war wichtig, dass es eine dramaturgisch gebaute
Geschichte ist. Nicht eine, die einfach nur weh tut“, sagt die Autorin Yvonne Görlach. In Ihrem Drehbuch habe sie für die Protagonistin nach Ausdruck
gesucht: „Wie finde ich eine Sprache für etwas, über das ich nicht sprechen
will?“ Und wie soll ein 12-jähriges Kind sein Trauma in die bürokratischen
Termini des Gerichts übersetzen? Der Film antwortet mit bildhaften Symbolen; da
ist zum Beispiel die Stimmgabel, die Karla immer dann anklingen lässt, wenn sie
keine Worte findet für das Erlebte. „Nicht-Sprechen ist ja auch eine Sprache“,
sagt Yvonne Görlach.
Karla ist auch ein Film über das Schweigen. Die
Stille der Gerichtsräume wird immer wieder durch bewusst verstärkte Geräusche
durchbrochen: Das widerspenstige Knarren der Schreibmaschine beim Durchziehen
von Papier, das Schleifen der Nadel auf dem Plattenspieler im Büro des
Richters, das Klackern der Würfel beim Mensch ärgere Dich nicht-Spielen
mit seiner Sekretärin. Auch die verschleierten, verzerrten Trauma-Erlebnisse,
die der Film aufscheinen lässt, sind oft mehr Geräusch als Bild und dadurch
umso eindringlicher: Das penetrante Surren einer Stubenfliege im
Kinderzimmer.
Dagegen wirken die nostalgische Ästhetik und Ausstattung
(60er-Jahre-Tapeten, Plattenspieler, Laternenlicht) fast verklärend schön und
glatt. Immer wieder wird Karlas sonnendurchflutete unbeschwerte Erinnerung an
ein Mohnblumenfeld eingeblendet, wie eine naive Gegenwelt zu den bedrückenden
Szenen der Gegenwart. Visuell interessant wird es, wenn die Kamera die
Perspektive der Protagonistin einnimmt: Aus dem Verborgenen blickt man mit ihr
durch Fenstergitter und unter Türspalten hindurch.
Es sind die kleinen Details und unscheinbaren Gesten, die in
Erinnerung bleiben: das Glas Orangensaft als
einziger Farbklecks im kühlen Grau der Büroräume. Die flüchtige Begegnung
zwischen Karla und ihrer Mutter am Waschbecken im Gerichtsgebäude, nach der
diese sich überwunden hat, in der Hauptverhandlung für ihre Tochter auszusagen.
Der Film macht die Tragweite und Wucht der Entscheidung spürbar, als Kind
vor Gericht zu ziehen – und ist zugleich
eine Ermutigung, für das eigene Recht einzustehen.
„Karla“ läuft im Kino.