Half beim Aufbau der Rostocker Stadtverwaltung: der Bremer Rechtsanwalt und Verwaltungs-Experte Henning Lühr.
Bild: Radio Bremen | Alexander Schnackenburg
Die Einheit zwang Ostdeutschlands Kommunen zum Umbruch. Bremens Verwaltungsexperte Lühr beriet Rostocks Oberbürgermeister und blickt zum Tag der deutschen Einheit zurück.
Die Mauer war gefallen, die Wiedervereinigung formal vollzogen. Über eine kommunale Verwaltung aber verfügte Rostock im Frühjahr 1990 noch nicht und musste Strukturen schaffen, die jenen der westdeutschen Kommunen entsprachen.
Der Bremer Senat stellte ein Team aus Verwaltungsexperten zusammen, die Rostock beim Aufbau der Verwaltung unterstützen sollten. Mit dabei war auch der spätere Finanzstaatsrat und heutige Hochschullehrer Henning Lühr, damals Referatsleiter im Finanzressort. Neun Monate stand er Rostocks Oberbürgermeister Klaus Kilimann (ebenfalls SPD) zur Seite. buten un binnen hat mit Lühr über seine Zeit als Berater des Rostocker Oberbürgermeisters gesprochen.
Die Lange Straße in Rostock 1990: Die Zigarettenwerbung aus dem Westen überlagert das Treiben auf der Bummelmeile.
Bild: Imago | Roland Hartig
Herr Lühr, wie ist es dazu gekommen, dass Sie 1990 als Bremer Verwaltungsbeamter zum persönlichen Berater des Rostocker Oberbürgermeisters wurden?
Nach dem Mauerfall musste alles neu sortiert werden. Rostock war Bremens Partnerstadt und damit war klar: Bremen müsste Rostock helfen. Schon vor der ersten Kommunalwahl im Frühjahr 1990 bin ich mit einer Bremer Delegation zweimal dort gewesen. Mein damaliger Chef, Finanzsenator Claus Grobecker, und Sozialsenator Henning Scherf hatten mich darum gebeten. Wir mussten klären, welche Hilfen in Frage kämen, was für Leute gebraucht würden.
Der Staatsaufbau der DDR war vollkommen anders als bei uns. Die Kultur zum Beispiel spielte sich nicht in der Stadt ab, sondern im VEB (Volkseigener Betrieb, die Redaktion) Kultur. Die Stadtverwaltung beschäftigte sich im Grunde nur mit der Arbeitsverwaltung, hinzu kamen ein paar Haushalts- und Personalangelegenheiten. Aber beispielsweise ein Sozialamt gab es nicht. Auch die Wirtschafts- und die Häfenverwaltung waren in einem Kombinat zusammengefasst, das Gesundheitswesen mit seinen ganzen Polikliniken auch. Rostock musste eine neue Stadtverwaltung aufbauen.
Information zum Thema
Was versteht man unter Volkseigenen Betrieben?
Der Volkseigene Betrieb (VEB) war in der ehemaligen DDR eine Rechtsform. In der Regel handelte es ich dabei um ehemals private, verstaatlichete Industrie- und Baubetriebe. Ihre Eigentümer waren bis 1949 von der sowjetischen Militäradministration oder später von der DDR enteignet worden. Hinter vorgehaltener Hand sagten einige DDR-Bürger daher zu den VEB „Vaters ehemaliger Betrieb“.
Ende der Information zum Thema
Bei den Kommunalwahlen im Frühjahr 1990 wurde die SPD stärkste Fraktion, gefolgt von der CDU. Wie ging es dann weiter?
Rostock hatte infolge der Wahlen nun einen Rat, einen Senat und Dezernenten. Aber: Das waren 25 Leute an der Spitze der Stadt, die noch nie eine funktionierende Verwaltung von innen gesehen hatten. „Wer geht da freiwillig hin?“ hieß es bei uns in Bremen. Zusammen mit einem Kollegen habe ich mich gemeldet. Wir sind dann hingefahren, um noch einmal den Bedarf zu erheben: Die Wirtschaftsverwaltung wollte Leute haben, ebenso das Ordnungswesen.
Bisher hatte das alles die Volkspolizei abgewickelt. Alle Blaulicht-Berufe waren in der DDR Bestandteil der Volkspolizei, auch der Rettungsdienst und die Feuerwehr. Jetzt musste alles neu aufgeteilt werden. Die Polizei wurde Ländersache. Wir sind dann im Juni 1990 mit zehn Leuten aus Bremen nach Rostock gekommen, haben in einem Gästehaus des Senats in Warnemünde gelebt. Von dort aus sind wir dann jeden Morgen zum Dienstbeginn um sieben Uhr in die Stadt gefahren.
Was genau war Ihre Aufgabe?
Ich kam direkt in die Kanzlei des Oberbürgermeisters, Klaus Kilimann. Ich habe ihn und sein Team jeden Tag von morgens bis abends betreut. Man muss sich das klarmachen: Da gab es eine neue politische Führung aus Leuten, die großteils keine politische Erfahrung hatten und schon gar keine Verwaltungserfahrung. Kilimann war ein Philosophie-Professor und sein Büroleiter war Dozent an einer Musik-Akademie. Wenn es galt, Aufgaben zu verteilen, wollte Kilimann am liebsten jeden Anruf selbst erledigen. Die anderen standen dann – humorvoll ausgedrückt – da und haben gefragt: „Und was sollen wir machen?“
Wir haben dann Arbeitspläne gemacht. Dazu haben wir festgelegt, wer grundsätzlich was machen soll, was ein persönlicher Referent ist, und was ein Grundsatzreferent macht. Auch haben wir erklärt, wer die Senatsvorlagen „abcheckt“, bevor sie rausgehen. Wir haben geholfen, Behörden aufzubauen, darunter das Ordnungsamt für den Innensenator. Dazu musste man alte Zuständigkeiten der Volkspolizei quasi rauslösen. Auch das Passamt mussten wir von der Vopo zur Stadtverwaltung überführen und eine Meldestelle einrichten, um nur ein paar Beispiele zu nennen.
Diesen Ausweis erhielt Henning Lühr 1990 für seine Tätigkeit als Berater des Rostocker Oberbürgermeisters.
Bild: Radio Bremen | Alexander Schnackenburg
Wie haben Sie dafür gesorgt, dass die einzelnen Behörden wussten, wer nun genau was zu tun hätte?
Wir haben damals, ab Ende Juni 1990, eine ständige Besprechung aller Amtsleiter mit der Kanzlei des Oberbürgermeisters etabliert. Jeden Mittwoch kamen wir zusammen. Und dann haben wir sie in ihren neuen Aufgaben geschult. Das konnten wir, weil wir dazu viele Verwaltungsabläufe, die uns aus dem Westen vertraut waren, lediglich auf Rostock übertragen mussten.
Wir haben den Amtsleitern auch gesagt, wie man eine Senatsvorlage schreibt, was genau reingehört, wie man ein Problem benennt und einen Lösungsvorschlag unterbreitet und wie man einen politischen Beschluss juristisch sauber vorformuliert. Denn natürlich kann ein Senat nicht alles bis ins kleinste Detail ausdiskutieren.
Viele Menschen in der ehemaligen DDR waren alles andere als begeistert darüber, dass auf einmal lauter Westdeutsche zu ihnen kamen und ihnen erklärten, wie sie was zu tun hätten. Wie fühlten Sie sich aufgenommen?
Inwiefern es damals zu Konflikten zwischen Ost- und Westdeutschen kam, hatte ganz viel damit zu tun, mit welchem Selbstverständnis die Westdeutschen auftraten. Ich habe in den Gesprächen immer vermittelt: „Ich bin kein Kolonialoffizier, der sagt, wo es lang geht, noch bin ich Beratungstourist.“ Es war ja so: Damals haben sich auch einige gemeldet und für sich irgendwelche Kompetenzen als Berater reklamiert, um einfach mal einen Sommer an der Ostsee zu verbringen und ein bisschen zu segeln. Das hat natürlich zu Auseinandersetzungen geführt! Das waren aber keine Bremer.
Ich habe mich als demokratischer Vermittler verstanden und mich selbst als „aufgeklärten Bürokraten“ bezeichnet. Ich habe gesagt: Zu einer guten Demokratie gehört eine ordentliche Verwaltung. Eine Verwaltung ist dazu da, die Demokratie zu unterstützten und nicht zu ersetzen. Vor diesem Hintergrund habe ich den Dialog gesucht. Und damit bin ich in der Rostocker Bürgerschaft gut angekommen, nicht nur bei den SPD-Abgeordneten, sondern auch bei Christdemokraten und Grünen. Man hat mir – wie den anderen aus Bremen auch – abgenommen, dass wir es ehrlich meinen. Wir waren nicht als „Besserwessis“ verschrien.
Wie hat sich Bremens Partnerstadt Rostock aus Ihrer Sicht seit 1990 entwickelt?
Rostock hat in den neunziger Jahren etwa 50.000 Einwohner verloren, ein Fünftel der gesamten Bevölkerung. Durch Aufbauprogramme und neue Institutionen wie den Deutschen Wetterdienst sind aber viele neue Leute nach Rostock gekommen. Die Universität hat einen riesigen Aufschwung erfahren.
Aber ich finde schon erschreckend, dass es in der Stadt, in einigen Stadtteilen besonders, ein sehr großes rechtes Potential gibt. Rostock ist eine sehr lebenswerte Stadt, aber auch eine mit einigen Erosionserscheinungen am Rande.
Information zum Thema
Zur Person: Henning Lühr
Henning Lühr ist Rechtsanwalt und Honorarprofessor für Verwaltungswissenschaften an der Hochschule Bremen. Von 2003 bis 2020 war er Staatsrat für Finanzen. Der heute 75-jährige war nach seiner Ausbildung zum Diplom-Verwaltungswirt und seinem Jura-Studium in verschiedenen öffentlichen Verwaltungen tätig, leitete in den 1980er Jahren die Abteilung „Öffentliches Dienstrecht, Personal- und Verwaltungsmanagement, eGovernment“ beim Bremischen Senator für Finanzen. Auf Wunsch der damaligen Senatorin Claus Grobecker (Finanzen) und Henning Scherf (Soziales) wurde Lühr nach der Wiedervereinigung Berater des Oberbürgermeisters von Rostock für den Aufbau der kommunalen Verwaltung.
Ende der Information zum Thema
Quelle:
buten un binnen.
Dieses Thema im Programm:
buten un binnen, 2. Oktober 2025, 19.30 Uhr
				
	

