„Ich koche, und Merce macht den Abwasch.“ Das war die Antwort des Komponisten John Cage auf die während einer Podiumsdiskussion gestellte Frage nach der Art seiner persönlichen Beziehung zu dem Choreografen Merce Cunningham. Einer der ganz seltenen Hinweise auf die jahrzehntelange Verbindung dieser beiden Galionsfiguren der Moderne. Als Cage 1992, drei Jahre später, starb, wünschte Cunningham, im offiziellen Nachruf sollten keinerlei Hinweise darauf fallen, dass er der hinterbliebene Lebenspartner sei. Erst als Cunningham selbst 2009 starb, war in der New York Times zu lesen: „Viele Jahre wussten nur wenige, dass die Beziehung zwischen Cage und Cunningham sexueller Natur war.“

Im Jahr 1944, als sich die beiden Künstler bereits seit sechs Jahren kannten, verlässt der 1912 geborene Komponist seine Frau und wird zum Partner des 1919 geborenen Cunningham. Beide unterrichten am renommierten, sehr modernen und experimentellen Black Mountain College in North Carolina und treffen dort 1952 auf die jüngeren Studenten Robert Rauschenberg und Cy Twombly. Rauschenberg ist geschieden, beide sind seit 1951 ein Paar. Zwischen den vier Künstlern entwickelt sich eine enge Verbindung, und insbesondere zwischen Cage, Cunningham und Rauschenberg entsteht eine faszinierende künstlerische Partnerschaft und kreative Nähe. Als Beleg dafür stellt das Kölner Museum Ludwig an den Beginn seiner fulminanten Schau „Fünf Freunde“ Cages Partitur zu seinem epochalen Werk über die Stille – Titel: 4‘33‘‘ –, Cunninghams choreografische Notizen zur „Suite for Five“, Rauschenbergs „White Painting“ und nahezu leere Blätter mit nervösen Bleistiftspuren von Twombly in einen Dialog.

Das Quintett wird gesprengt

Jasper Johns’ „Large White Numbers“ kommen hinzu. 1954 hatte er das Freundesquartett erweitert – und schließlich auch gesprengt. Denn Johns wandte sich bald Rauschenberg zu. Twombly wiederum, der sich durch die sich intensivierende Beziehung zwischen seinem Ex und Johns an den Rand der Fünfergruppe gedrängt fühlte, zog 1957 nach Rom, heiratete 1959 Tatiana Franchetti und wurde wenig später Vater.

Warum wir uns mit dem Liebesleben des Quintetts befassen und nicht ausschließlich mit den Werken – wie es Hunderte Ausstellungen über die einzelnen Protagonisten zuvor getan haben? Yilmaz Dziewior, Direktor des Kölner Museums Ludwig und Mitinitiator dieser Köln-Münchner Ausstellung, erklärt dies mit der neuen „queeren Lesart“ der Kunstgeschichte. Hier wird die Geschichte der fünf Freunde neu geschrieben: Dziewior verweist auf mehr oder weniger deutliche Anspielungen und Codes in den Arbeiten, die verklausuliert die jeweiligen Liebesbeziehungen und das sexuelle Begehren thematisieren. Rauschenbergs an der Wand hängendes Bett von 1955 aus dem MoMA, ein Combine aus Malerei, Steppdecke und Laken, ist ein besonders klarer Hinweis. In der Ausstellung wird sichtbar, dass Zuneigung mitunter Motor künstlerischer Kreativität war. Das passt zu folgendem Zitat: „Jasper und ich tauschten buchstäblich Ideen aus. Er sagte: ‚Ich habe eine fantastische Idee für dich‘, und dann musste ich eine für ihn finden.“ Solcherlei gegenseitige Inspirationen gibt es Dutzende in der mit 180 Werken – Malerei, Zeichnung und Objektkunst, Fotos, Video- und Soundmaterial – reich bestückten Schau. Noch tiefer als die Ausstellung dringt der brillante Katalog in die biederen, bedrückenden 1950er Jahre ein. Das Liebesleben des Quintetts spielte sich in dieser Zeit weitgehend unter dem Radar der Öffentlichkeit ab. Im von dem ultrakonservativen Senator Joseph McCarthy befeuerten politischen Klima der 1950er Jahre wurden Kommunisten wie Homosexuelle gleichermaßen als Bedrohung der nationalen Sicherheit betrachtet.

Währenddessen starten die einzelnen Mitglieder des Quintetts durch: Der Choreograf reüssiert mit seiner Merce Cunningham Dance Company, deren musikalischer Leiter Cage wird, der seinerseits seinen Radius nach Europa ausdehnt. Cy Twombly entwickelt seine „Kritzeleien“ auf schmutzigem Weiß, die an Zeichnungen und Malereien auf Häuserwänden und in Pissoirs erinnern. Kollege Donald Judd urteilte nach einem Besuch in der Leo Castelli Gallery in New York bissig: „Es gibt ein paar Kleckse und ein paar Spritzer und hier und dort einen Bleistiftstrich.“ Rauschenberg und Johns hatten Castelli animiert, eine Galerie in seinem Wohnzimmer zu eröffnen, die bald zum Epizentrum der New Yorker Szene und des internationalen Kunsthandels wurde. Rauschenberg zeigte dort seine „Combines“, Johns seine Flaggen und Zielscheiben.

All das entfaltet die Ausstellung mit herrlichen Werken. Sie kann aus dem Vollen schöpfen: Für das Projekt haben das Münchner Museum Brandhorst – mit der weltweit größten Sammlung von Twombly-Arbeiten – und das Kölner Museum Ludwig – mit den umfangreichsten Beständen von Rauschenberg und Johns – ihre Kräfte gebündelt.

Die Durchlässigkeit der Kunst

Breit dokumentiert werden neben den vielen Momenten, in denen einzelne der fünf Protagonisten aufeinander reagierten, auch die kollektiven Produktionen: Johns und Rauschenberg haben wiederholt Kostüme und Bühnenbilder für Cunninghams Choreografien entworfen. Was ist Kunstobjekt, was Bühnenrequisit, wo endet der kreative Alltag und wo beginnt die Kunst?

Diese Durchlässigkeit der Kunst thematisiert Dziewior gleich im Entree: Zu sehen sind die Bühnenelemente zu Merce Cunninghams Stück „Walkaround Time“ (1968), deren Motive Rauschenberg direkt aus einem Schlüsselwerk des 20. Jahrhunderts entlehnte: dem „Großen Glas“ von Marcel Duchamp. Der erfuhr mehr Zuneigung als die Hetero-Machos des Abstrakten Expressionismus, Jackson Pollock und Willem de Kooning, denen Rauschenberg mit seinem ironischen Werk Odalisk eine Spitze versetzte. Und was hielten die Fünf Freunde von Andy Warhol? Der war ihnen schlicht zu tuntig.