Es ist mittlerweile unmöglich geworden, sich den britischen Premierminister Keir Starmer ohne eine britische Flagge im Hintergrund vorzustellen. Doch der Labour-Parteitag in Liverpool in dieser Woche hat den extremen Patriotismus der Partei auf ein neues und abstoßendes Niveau gehoben.

Alle Delegierten erhielten kleine britische, englische, schottische und walisische Flaggen, die sie als „stolze Patrioten großartiger Nationen“ schwenken sollten, während Starmer eine Grundsatzrede hielt, in der er insbesondere in der Frage der Migration mit der rechtsextremen Reform UK konkurrieren wollte.

Der britische Premierminister Keir Starmer bei seiner Grundsatzrede auf dem jährlichen Labour-Parteitag in Liverpool am 30. September 2025 [AP Photo/Jon Super]

Labour organisierte dieses Spektakel, nachdem die Zurschaustellung des Georgskreuzes ein Jahr lang assoziiert wurde mit einer beispiellosen rechtsextremen Kampagne gegen Immigranten. Laut Starmer beweist dies, dass Labour die Partei der „nationalen Erneuerung“, der „sicheren Grenzen“ und des Verständnisses für „begründete Sorgen wegen Zuwanderung“ sei. Die Labour Party sei bereit, „die Banden zu zerschlagen“, gegen „illegale Arbeit durchzugreifen“ und „Menschen abzuschieben“.

Während diese Worte fielen, schickte US-Präsident Donald Trump – unter dem Vorwand, eine „Invasion“ illegaler Einwanderer abzuwehren – weitere Nationalgardisten in US-Städte und forcierte damit seine Pläne zum Aufbau einer Diktatur.

Die Rede des Labour-Parteichefs folgte auf Ankündigungen, die britische Regierung werde das unbefristete Aufenthaltsrecht einschränken und unterbreite Vorschläge, das Völkerrecht bezüglich der Kanalüberquerung kleiner Boote „neu zu interpretieren“ – einschließlich Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention, der die Abschiebung von Menschen verbietet, denen in ihrem Heimatland Folter droht.

Starmers nationalistische und migrantenfeindliche Hetztirade wurde absurderweise als Politik des „Anstands“ im Gegensatz zu der „Spaltung“ dargestellt, die von der Reform UK vertreten wird. Deren Parteichef Nigel Farage wurde viermal als Person erwähnt, die „Angst und Zwietracht in unserem Land sät“. Eine „moralische Grenze“ zwischen den beiden Parteien bedeute, dass Labour Großbritannien als „tolerantes“, „mitfühlendes Land“ feiere, das „rassistische Gewalt und Hass“ ablehne.

Starmers trat in seiner Rede für einen Nationalismus ein, der etwas multikultureller, aber genauso chauvinistisch ist, gleichwohl gepaart mit der Mahnung, man solle sich nicht zu Angriffen auf Schwarze oder Asiaten mit britischer Staatsbürgerschaft hinreißen lassen.

Seine Kritik an Farage war ein Versuch, dessen Wählerschaft für sich zu gewinnen. Deren Ansichten stellte er als legitim und als die echte Stimme der Arbeiterklasse dar.

Keir Starmer erklärt: „Labour ist die patriotische Partei.“ [Photo: Labour Party/X]

Er erzählte eine lange Anekdote darüber, wie er in Oldham eine Labour-Wählerin bei Tee und Gebäck getroffen hatte. Sie erzählte ihm von „einer Gruppe von Männern aus Osteuropa“, die „auf ihrer Mauer saßen“, „den Müll nicht rechtzeitig rausbringen“ und „auf den Boden spucken“. Sie traute sich nicht, ihre Abscheu zu äußern, aus Angst davor von „einer Partei, die die arbeitende Bevölkerung unterstützt“, als rassistisch angesehen zu werden.

Doch damit ist Schluss! Labour werde „die Krise in unserem Asylsystem“ und die „berechtigte Forderung“ nach „sicheren Grenzen“ nicht ignorieren.

Starmers Angriff auf die Reform UK wurde dann mit Farages angeblicher Unzuverlässigkeit in wirtschaftlichen und außenpolitischen Fragen verknüpft.

Er warf die Reform UK in einen Topf mit seinen ungenannten Gegnern auf der Linken. Sie würden einer populistischen „ideologischen Fantasie“ anhängen und sich weigern, die Notwendigkeit von „Entscheidungen anzuerkennen, die weder kostenlos noch leicht“ seien, „harten Entscheidungen“, „harten und gerechten Entscheidungen, um unsere Verschuldung unter Kontrolle zu bringen“. Er nannte sie „Quacksalber von rechts und von links [ohne] Interesse an einer nationalen Erneuerung“.

Wie immer diente der Appell an die nationale Gemeinschaft als Deckmantel für einen bösartigen sozialen Krieg der superreichen Minderheit gegen die Mehrheit der Arbeiterklasse.

Wie eine verkleidete Margaret Thatcher versprach Starmer, die „britische Wirtschaft zu entfesseln“, die „Produktivität“ zu steigern und „den Blockierern entgegenzutreten, die eine florierende Privatwirtschaft abwürgen“. Er attackierte die Vorstellung, dass eine „Reichensteuer irgendwie alle Probleme lösen wird“ und erklärte, er werde „Almosen oder Hilfe“ durch „Vermögensbildung“ ersetzen.

Der Labour-Vorsitzende drohte den arbeitenden Menschen, die ein Ende der seit Jahren anhaltenden Krise der Lebenshaltungskosten fordern, mit dem Finger und erklärte: „Egal ob es sich um nicht finanzierte Steuersenkungen oder nicht finanzierte Ausgaben handelt, das Ergebnis ist das gleiche: Man verliert die Kontrolle über die Wirtschaft… Deshalb sind die Haushaltsregeln nicht verhandelbar.“

Er warnte: „Eine Labour Party, die die Ausgaben nicht kontrollieren kann, ist eine Labour Party, die in unserer Zeit nicht regieren kann.“

Auf diese Weise wird Starmer im November einen Haushalt aufstellen, in dem Finanzministerin Rachael Reeves Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen in zweistelliger Milliardenhöhe vorsieht.

Mit seinem zweiten großen Angriff auf die Reform UK beschuldigte Starmer Farage als jemanden, der sich „zweideutig in Bezug auf Putin und die Ukraine äußert“. Labour hingegen bekenne sich dazu, den Nato-Krieg gegen Russland fortzuführen und „in die Verteidigung zu investieren“, um „unseren Kontinent gegen Putins Aggression zu verteidigen“. Seine Prahlerei mit „unserer eisernen und unerschütterlichen Unterstützung für das tapfere Volk der Ukraine“ und „der gelb-blauen Flagge, die auf Kirchen und Rathäusern weht“, brachte ihm stehende Ovationen eines Publikums aus politisch geisteskranken Kriegstreibern ein.

Die britische Regierung hat sich in den letzten Wochen bemüht, sich von dem anderen Blutbad zu distanzieren, das sie unterstützt, dem Genozid in Gaza, u.a. durch die Anerkennung eines Palästinenserstaats. Beim Parteitag ging Starmer nahtlos von diesem leeren Bekenntnis dazu über, Trumps und Benjamin Netanjahus Ultimatum an die Hamas zu begrüßen: „Sklaverei oder Tod“ zu wählen und die ethnische Säuberung sowie die Übernahme des Gazastreifens durch die USA zu akzeptieren.

Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Starmer der unpopulärste Premierminister in der britischen Geschichte ist, wurde der Parteitag in Liverpool als Neubeginn von Starmers Amtszeit und Wendepunkt im politischen Schicksal seiner Regierung dargestellt. In Wirklichkeit hat er nur gezeigt, dass die Labour Party völlig von der Stimmung der großen Mehrheit der Arbeiterklasse, und vor allem der Jugend, losgelöst ist. Deren Reaktion auf Starmers Version der „Last Night of the Proms“ dürfte vor allem Abscheu gewesen sein.

Eine Partei, die nur als Transmissionsriemen zwischen den Banken, den Konzernen sowie dem Militär und der politischen Entscheidungsfindung im Parlament fungiert, ist zum Scheitern bei den Wahlen und zum organisatorischen Zusammenbruch verurteilt.

Was Labour glaubt, über die Arbeiterklasse zu wissen, stammt von der Reform UK und ihrer eigenen „Blue Labour“-Fraktion: dass ihre Leitprinzipien die Parolen von Blue Labour über Flagge, Glauben und Familie sind. Das gleiche gilt für die Medienschaffenden, die seitenlang darüber spekulieren, ob Starmers neue „Leidenschaft“ ausreichen wird, um Wähler von Farage zu gewinnen.

Wenn man die Mainstream-Medien liest, würde man kaum glauben, dass die Reform UK in den Umfragen weniger als ein Drittel der Wähler repräsentiert und die Tories und die Reform UK zusammen weniger als die Hälfte. In der Altersgruppe der 25- bis 49-Jährigen kommen sie zusammen auf kaum ein Drittel, bei den 18- bis 24-Jährigen auf weniger als ein Fünftel.

Die meisten Arbeiter und jungen Menschen wird Starmers Rede nur davon überzeugt haben, dass er und Farage gleichermaßen reaktionär sind und dass die Behauptungen von Labours verbliebenen Corbyn-Anhängern wie John McDonnell, es werde beim Parteitag einen Linksruck geben, glatte Lügen waren.

Millionen Menschen wollen dafür kämpfen, diese Regierung zu Fall zu bringen – eine Regierung des Völkermords, des Militarismus, der Schmeicheleien für die extreme Rechte und für die Faschisten im Weißen Haus, und der erbitterten Feindschaft gegenüber der Arbeiterklasse und ihren sozialen Errungenschaften wie dem National Health Service.

Daraus ergibt sich die entscheidende Frage für die heutige britische Politik: Welche Organisation muss aufgebaut werden, um einen solchen Kampf zu führen?

Der ehemalige Labour-Parteichef Jeremy Corbyn wurde dazu gezwungen, widerwillig die Gründung einer neuen Partei anzuführen, in die alle Hoffnungen auf eine linke Herausforderung gegen Starmer kanalisiert werden.

Doch je weiter die Labour-Regierung gemeinsam mit den Regierungen in Amerika, Deutschland und anderen Ländern ihre Agenda vorantreibt, desto deutlicher wird, dass Corbyn und seine Your Party mit ihrem Programm minimaler Reformen, die durch Rathausstuben und parlamentarische Manöver durchgesetzt werden sollen, ein Weg in die politische Ohnmacht sind.

Die herrschende Klasse auf der ganzen Welt führt eine reaktionäre Offensive, die seit den 1920ern und 1930ern beispiellos ist. Sie mobilisiert die volle Macht des Staats, um Krieg zu führen und den Widerstand im Inneren zu unterdrücken. Ein erfolgreicher Widerstand erfordert die Mobilisierung der gesamten sozialen Kraft der internationalen Arbeiterklasse. Dafür ist eine revolutionäre sozialistische und internationalistische Partei notwendig.