Rötha. Walter Christian Steinbach kommt kaum dazu, seine Tasse Kaffee auszutrinken. So viel hat er zu erzählen von seinem neuen Projekt im Leipziger Land: der Internationalen Bauausstellung. Bisher wissen nur wenige, was das ist und was das soll. Trotzdem sitzt der 81-Jährige lächelnd da und sagt: „Das wird gut.“ Widerspruch und Skepsis ist er gewohnt – seit Jahrzehnten. Seine Biografie erzählt viel vom Wandel der Region.
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Dieser Mann war und ist ein Macher. Als am 30. Mai 1968 die Universitätskirche in Leipzig aus Ideologiegründen gesprengt wurde, war der 24-Jährige entsetzt. „Das geht gar nicht“, sagte er sich. Gerade hatte er sein Studium in Physik und Mathematik beendet. Er studierte aus Protest Theologie und wurde Pfarrer in Rötha. Daneben lag das Braunkohlenwerk Espenhain, auch „Dreckschleuder“ genannt. Mölbis, nur wenige Kilometer entfernt, sollte später als „dreckigstes Dorf Europas“ bekannt werden.
Vom Pfarrer zum Umweltschützer
Die Lebenserwartung in der Region lag sechs Jahre unter dem Landesdurchschnitt, die Krebshäufigkeit war extrem. Kinder hatten in hohem Maße Haut- und Atemwegserkrankungen. Steinbach gehörte zu den Gründern des Christlichen Umweltseminars Rötha und setzte auf friedlichen Protest.
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Tausende Menschen kamen zu den Umweltgottesdiensten. „Eine Mark für Espenhain“ war die größte nicht genehmigte Unterschriftenaktion der DDR. Ende der 1980er-Jahre saßen regelmäßig Stasi-Mitarbeiter im Trabant vor seinem Haus.
Nach der politischen Wende war er 20 Jahre lang Chef des Regierungspräsidiums, einer wichtigen Entscheidungsbehörde. Die gestaltete wesentlich das Leipziger Neuseenland. Eine Landschaft voller Tagebaulöcher sollte zur Seenplatte werden. Damals, Anfang der 90er, sagten die meisten: „Ihr spinnt doch, das wird nie was!“ Doch Europas größter Landschaftsumbau gelang.
Beim Neuseenland haben viele mitgewirkt, und es hat der Region im Tief der Arbeitslosigkeit geholfen.
Walter Christian Steinbach
ehemaliger Regierungspräsident
Trotz schwieriger Verhältnisse. Von 56.000 Menschen, die in Mitteldeutschland im Bereich Bergbau, Chemie und Energie arbeiteten, sei damals etwa die Hälfte arbeitslos geworden. Es gab Frustration und Unsicherheit. Steinbach bewertet heute: zu viel Siegerpose damals, zahlreiche Menschen hatten „viel erlitten“.
Anfangs Skepsis beim Neuseenland
Was ihm damals wie heute wichtig ist: „Verwaltung sowie Bürgerinnen und Bürger müssen sich auf Augenhöhe begegnen.“ Als er in die Behörde wechselte, sagte er zu seinen Beschäftigten: „Ich möchte, dass Eure erste Frage beim Bürgerkontakt nicht ist ‚Bin ich zuständig?‘, sondern ‚Wie kann ich Ihnen helfen?‘.“
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Das Neuseenland sei im engen Austausch mit Städten und Gemeinden, Bürgerschaft und Wirtschaft entstanden, „es haben viele daran mitgewirkt, und es hat der Region im Tief der Arbeitslosigkeit geholfen“.
Den Bergmännern, die ihre jahrzehntelangen Arbeitsorte – Kraftwerke wurden gesprengt, an den Böschungen der Seen arbeiteten meist die einstigen Kumpel – sei seiner Meinung nach bei diesem großen Wandel zu wenig gedankt worden.
Den Neubau des Kraftwerkes Lippendorf, eröffnet im Jahr 2000, sieht er nach wie vor als Meilenstein. „Mich ärgert die Häme, die ich heute zum Teil wahrnehme.“ Schon damals sei klar gewesen, dass Nutzung von Braunkohle nicht dauerhaft möglich ist, doch es sei eine wichtige Übergangstechnologie gewesen, „die Region brauchte das Kraftwerk“. Wesentlich war auch der Bau der Autobahn 38. Als die Trasse 2009 fertig war, gab es dort ein Volksfest, so was sei selten in Deutschland.
Jetzt stehe das Leipziger Land vor dem zweiten großen Wandel – und da laufe so einiges nicht rund, findet Steinbach, der CDU-Mitglied ist. „Energie hat mit Physik zu tun und nicht mit Ideologie“, sagt er. Wesentliche Fragen seien: Was erfordert der Klimawandel? Was kostet das? Und dann müsse mit Bürgern auf Augenhöhe diskutiert werden: Was können wir gemeinsam ertragen?
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Hier setzt nun das neue Projekt an, das er seit einigen Jahren mit Akteuren der Region vorbereitet und das 2027 starten soll: die Internationale Bauausstellung im Leipziger Land. Solche Ausstellungen gibt es seit Jahrzehnten deutschlandweit, um städtebaulichen und landschaftlichen Wandel mit neuen Ideen voranzutreiben. Dabei geht es um soziale, wirtschaftliche und ökologische Aspekte.
Was heißt das konkret für die hiesige Region? Steinbach will hier „Leuchttürme“ aufstellen, Projekte vor Ort verwirklichen und zum Nachahmen anregen. Themen sind zum Beispiel:
Erstens: „Das Bauwesen ist für 40 Prozent der globalen CO₂-Emissionen verantwortlich, da müssen wir ran“, sagt er. Eine Bauwende sei angesagt. Es gehe darum, mit CO₂-freiem Beton und mit Holz zu bauen. Ein Hochhaus, der Torso aus Beton, ummantelt mit Holz, soll entstehen, Holzindustrie sich ansiedeln.
Zweitens: Umbau statt Abriss und Neubau. Hier gebe es enorme Ressourcen. Das Leipziger Land könne zu einer Modellregion für klimaneutrales und zukunftsorientiertes (Um)-Bauen werden.
Drittens: „Wir haben zu wenig Bürgerbeteiligung“, sagt er. Es müsse mehr Dialog geben und nicht nur Erklärungen, was nicht geht. „Eine Energiewende gegen Bürger ist aussichtslos.“
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Viertens: Sozialen Wohnungsbau neu denken. „Es geht nicht um billigen Wohnraum, sondern um eine Art des Bauens, das soziales Leben fördert“, meint er.
Fünftens: Das Neuseenland solle endlich komplett werden. Es fehlen immer noch die Verbindungen zwischen den Seen, „wir müssen neue Wege anstoßen“.
2027 soll es losgehen
Kontakte zu Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Kommunen sind geknüpft. Anfang 2027 soll eine mehrköpfige Mannschaft starten, die Wettbewerbe ausschreibt, gute Projekte aussucht und bekanntmacht, bei der Fördermittelsuche und Umsetzung hilft.
Ja, es gebe wieder Zweifler und Kritiker. Doch daran ist Steinbach schon lange gewöhnt. Er setzt auf positive Visionen und will die auch in der Realität bauen.
LVZ