Zuletzt schrieb Axel Hacke in „Aua!“ äußerst witzig über körperliche Befindlichkeiten und er erwies sich mit „Über die Heiterkeit in schwierigen Zeiten“ als kluger Beobachter unserer Gegenwart. Wenn man mit dem Bestseller-Autor über sein neues Buch „Wie fühlst du dich? Über unser Innenleben in Zeiten wie diesen“ redet, landet man indes unweigerlich in der Politik. Warum es so wichtig ist, unsere Gefühle zu verstehen, damit wir nicht von Populisten manipuliert werden können, erklärt der 69-Jährige im Gespräch. Und er verrät, warum er dennoch positiv in die Zukunft blickt.
Herr Hacke, Sie schildern gleich im ersten Kapitel, dass Sie im Vorfeld des Buches fast ein wenig überfordert waren. Woran lag es?
Axel Hacke: Ich habe schnell gemerkt, dass man viel für so ein Buch lesen muss, weil es unzählige neue Erkenntnisse in den Neurowissenschaften gibt. Das sorgt bei mir dafür, dass ich großen Respekt vor einem Thema bekomme, weil ich natürlich denke, es gibt Leute, die erheblich klüger sind als ich und die haben schon sehr viel schlaue Sachen darüber geschrieben. Meine Spezialität ist ja eher, ein Thema in Verbindung mit mir selbst und dem eigenen Leben zu bringen. Das war diesmal viel mehr Arbeit, als ich mir vorgestellt hatte.
Geboren 1956 in Braunschweig und dort aufgewachsen, zog Axel Hacke erst nach Göttingen um Politische Wissenschaften zu studieren, dann nach München, wo er zudem um die Deutsche Journalistenschule besuchten. Er arbeitete von 1981 bis 2000 bei der Süddeutschen Zeitung, zunächst als Sportreporter, dann als politischer Kommentator sowie als Autor vieler Reportagen und ab 1997 einer wöchentlichen Kolumne für das SZ-Magazin. Seit 2000 ist er freier Schriftsteller. Seine Bücher wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt. Für seine Arbeit wurde er vielfach ausgezeichnet. Axel Hacke ist mit der Sängerin und Autorin Ursula Mauder verheiratet und lebt mit ihr in München und im Chiemgau. Im Dezember liest er an zwei Abenden in Berlin aus seinem neuen Buch und aus den heitersten Texten aus seinem Gesamtwerk.
Sie ordnen Gefühle kulturgeschichtlich ein und gehen aus verschiedenen Perspektiven an das Thema ran. Was war Ihre Intention beim Schreiben?
Ich bin kein Psychotherapeut oder Psychologe, sondern jemand, der selbst etwas verstehen will. Das wollen ja viele. Da unterscheide ich mich nicht von anderen Menschen, außer dass die nicht unbedingt die Zeit haben, ein Buch zu schreiben. Das mache ich dann eben und das macht mir Spaß. Ich gehe bei jedem Buch von der Frage aus, was interessiert mich eigentlich? Ich habe immer festgestellt, dass das, was mich interessiert, auch viele andere Leute interessiert.
Es geht in mehreren Kapiteln auch darum, dass öffentliche Debatten heute oft nicht mehr mit Vernunft, sondern mit Gefühlen geführt werden. Was bedeutet das für uns?
Es bedeutet, dass wir unsere Gefühle besser verstehen müssen, was populistischen Politikern, auch Rechtsradikalen, ziemlich gut gelungen ist, und dass die da jetzt einen großen Vorsprung haben. Donald Trump hätte die Wahl nicht gewonnen, wenn er nicht instinktiv verstanden hätte, unter welchen emotionalen Problemen die Arbeiter in den USA leiden, die ihren Job verloren haben. Da ist die Scham, dass man seine Familie nicht mehr ernähren kann, dass man den Respekt vermisst. Trump hat versucht, diesen Menschen den Respekt zurückzugeben. Was näher betrachtet natürlich kompletter Unsinn ist. Es ergibt keinen Sinn, als Arbeiter Donald Trump zu wählen, außer man fühlt sich emotional von ihm repräsentiert. Das zeigt, wie wichtig das Thema ist.

Donald Trump bespielt wie kaum ein anderer Politiker die sozialen Medien. Warum sind TikTok und Co. verantwortlich für die „Gefühlsgewitter“, wie Sie es nennen und die wir heute in vielen Lebensbereichen erleben?
Weil sie emotionsbasiert sind. Und eine der stärksten Emotionen, die es nun mal gibt, ist Wut. Die Algorithmen dieser Systeme funktionieren so, dass sie die Leute auf ihren Plattformen halten wollen. Wenn sie besonders stark auf wütende Emotionen reagieren, wird auf Postings gesetzt, die diese Gefühle hervorrufen. Darauf reagieren die User wiederum mit ihrer Wut. Das steigert sich dann immer weiter und hält die Leute so auf der Plattform. Das ist im wirtschaftlichen Interesse derjenigen, denen das soziale Medium gehört, Facebook zum Beispiel. Deswegen begünstigen sie wütende und hasserfüllte Postings und eine zunehmend emotionalisierte Auseinandersetzung. Das macht die Plattformen mittlerweile auch für viele Leute vollkommen uninteressant. Man hat ja keine Lust, sich dort mit anderen Leuten anzuschreien. Das führt ja zu nichts, wenn jeder zweite Dialog auf Facebook binnen allerkürzester Zeit zu irgendeiner Brüllerei führt.
Bei Ihnen nehmen elementare Gefühle wie Angst, Wut, Sorgen und Einsamkeit viel Raum ein. Warum ist es so wichtig, diese negativen Emotionen zu verstehen?
Wenn man sie nicht versteht, kann man sie nicht ins Positive drehen. Es hat ja keinen Sinn, Angst zu verdrängen. Das würde sie im Zweifel nur noch größer machen. Daher ist es so wichtig, sich auch die Emotionen, die man nicht mag, genau anzuschauen und zu verstehen. Angst ist zunächst einmal ein extrem hilfreiches System. Es gäbe die Menschheit nicht mehr, wenn wir sie nicht hätten. Viele wesentlichen Errungenschaften sind uns gelungen, weil sie etwas mit Angst zu tun haben, denn sie schützen uns. Deshalb ist Angst auch ein so sensibel eingestelltes System, dass es oft überreagiert. Nach dem Motto: Lieber einmal mehr Angst als einmal zu wenig. Viele Menschen sind ums Leben gekommen, weil sie keine Angst hatten.
Sie gehen auch sehr offen mit Ihren eigenen Gefühle um. Etwa, wie Sie es als Kind erlebt haben, dass der Vater zornig wurde oder die eigentlich liebevolle Mutter Sie verprügelt hat. Beeinflusst das noch heute Ihr Gefühlsleben?
Ja, natürlich. Wenn man nicht gelernt hat, differenziert über Gefühle zu reden, dann beeinflusst einen das extrem stark, weil man keine genauen Abstufungen treffen kann. Wenn man nur sagen kann, ich bin wütend, ist das relativ wenig, denn es gibt ja hunderte von Abstufungen. Je nuancierter man sie wahrnimmt, desto besser kann man mit einer Emotion umgehen. Wenn man sie genauer benennen kann, empfindet man sie exakter. Das macht einen großen Unterschied und es hilft Menschen sehr, wenn sie besser darüber reden können. Ich konnte das in meiner Kindheit überhaupt nicht. Ich hatte Kopfweh statt Gefühl, was aber auf einem Gefühl basierte. Auf Anspannung, auf Verhärtung. Es wäre schön gewesen, wenn die Generation meiner Eltern darüber mehr hätte reden können. Aber sie wussten das alles nicht. Woher denn auch?

Sie zeigen auch, dass wir heute zwar über Gefühle reden, aber viele Menschen Schönheitsoperation oder Fernreisen brauchen, um sich wohl und bestätigt zu fühlen. Wo sind wir da falsch abgebogen?
Mit all dem lässt sich viel Geld verdienen. Wenn man den Menschen predigt, sie könnten ihr persönliches Glück nur dadurch finden, dass sie besser aussehen oder dass sie in der Welt herumkommen, ist es das, wonach sich die Menschen schließlich sehnen. Ich halte von diesen Glücksversprechen nicht viel, weil sie einen stark unter Druck setzen und eine Verpflichtung beinhalten. Du kannst glücklich sein. Warum bist du es dann nicht? Du bist selbst dafür verantwortlich. Ich glaube, wenn man mit aller Macht glücklich sein will, ist das ein guter Weg, um unglücklich zu werden.
Sie plädieren ja mit dem Medientheoretiker Douglas Rushkoff dafür, dass wir uns vom Egoismus abwenden und eine tiefere Beziehung zu Menschen und Natur eingehen sollen. Sehen Sie darin eine Möglichkeit, sich mit den eigenen Gefühlen zu versöhnen?
Wir leben ja in einer Zeit extremsten Egoismus. Die Herausbildung einer Oligarchie in Amerika, die Wahl eines Präsidenten, der nichts anderes kennt als sich selbst, ist ein Exzess dieses Egoismus. Meiner Meinung nach wird es eine Gegenbewegung geben, in der man erkennt, dass das Wesen des Menschen nicht nur im Ego begründet ist, sondern im Zusammensein, der Zusammenarbeit und der Verbundenheit mit anderen. Das ist unausbleiblich in meinen Augen. Rushkoff hat recht, wie ich finde, wenn er sagt, dass diese Art von Suche nach Verbundenheit mit anderen Menschen und mit dem, was uns hier beherbergt, nämlich die Natur, zentral ist für unser Sein. Davon bin auch ich fest überzeugt.

Axel Hacke: Wie fühlst du dich? Über unser Innenleben in Zeiten wie diesen. Dumont, 256 S., 22 Euro.
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Wie ging es Ihnen mit Ihren Gefühlen nach dem Beenden des Buches? Hat sich da etwas verändert?
Ja. Ich glaube schon, dass ich einiges besser verstanden habe und jetzt besser einschätzen kann. Ich bin kein Wissenschaftler, der Erkenntnisse vorlegt, die er in Jahren und Jahrzehnten erarbeitet hat, sondern ich versuche das, was ich lese, mit meinem eigenen Leben und dem, was ich beobachte, zu verbinden. Insofern lerne ich bei jedem Buch dazu. Und Lernen bedeutet, sein Verhalten zu ändern. Das ist auch so und geht übrigens noch weiter. Ich habe so viel Literatur zu dem Thema entdeckt, dass ich am liebsten immer weiterlesen würde.
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