Da ist ein Geflügelzüchter aus Norditalien. Er zahlte Löhne nicht und tauschte sich in einer Whatsapp-Gruppe aus, wie er seine Arbeiter*innen am besten kontrollieren könne. 2022 wurde er zu einer Haftstrafe verurteilt. Im selben Jahr bekam er 90.000 Euro Agrarsubventionen von der Europäischen Union (EU). Als er 2023 seine Strafe im Gefängnis absaß, waren es sogar 110.000 Euro.
Oder ein Landwirt und Lokalpolitiker aus Spanien. 2024 wurde er wegen schwerer Ausbeutung von zwei migrantischen Arbeitern zu neun Monaten Haft verurteilt. Außerdem muss er 44.000 Euro zahlen. Die Strafe hätte er fast vollständig mit den Subventionen begleichen können, die er im selben Jahr bekommen hat: 41.000€.
Die EU unterstützt Landwirt*innen jedes Jahr mit über 50 Milliarden Euro Subventionen. Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) macht etwa ein Viertel des gesamten EU-Haushalts aus. Das Geld soll Landwirt*innen unterstützen und Lebensmittel bezahlbar halten.
In einer internationale Recherche gemeinsam mit DeSmog, L’Humanité, L’Espresso, Profil, El Salto Diario und der Taz haben wir herausgefunden: Von diesem Geld profitieren auch landwirtschaftliche Betriebe, die nachweislich gegen Arbeitsrechte verstoßen oder gegen die Ermittlungen laufen. Manche der Landwirt*innen sind sogar strafrechtlich verurteilt, häufig wegen Arbeitsausbeutung.
Monatelang haben wir Medienberichte, Gerichtsdokumente und Aussagen von Arbeiter*innen in Deutschland, Österreich, Frankreich, Spanien und Italien ausgewertet und sie mit EU-Agrarzahlungen aus den vergangenen zehn Jahren abgeglichen. In 30 Fällen haben landwirtschaftliche Betriebe trotz Verurteilungen oder während laufender Ermittlungen weiterhin Subventionen in Millionenhöhe erhalten.
Farmsubsidy.org – Wer bekommt wie viele Agrarsubventionen?
Landwirt*innen in Europa bekommen jedes Jahr mehr als 50 Milliarden Euro Subventionen von der Europäischen Union – etwa ein Viertel des gesamten EU-Budgets. Dabei gilt das Prinzip: Je mehr Fläche, desto mehr Geld. Wer wie viel bekommt, veröffentlichen Behörden in den einzelnen Ländern meist jedoch nur für die vergangenen zwei Jahre. Wir haben die Agrarzahlungen aus allen EU-Ländern seit 2014 gescrapet und auf der Plattform farmsubsidy.org veröffentlicht. Die Angaben können nach Namen von Landwirt*innen, Betrieben oder Regionen gefiltert werden.
Auch in Deutschland profitieren Landwirt*innen
Als Levani Idadze 2021 in das Flugzeug von Georgien nach Deutschland stieg, um Erdbeeren zu pflücken, schien in seinem Vertrag alles klar geregelt: Drei Monate Arbeit, maximal 48 Stunden pro Woche, 9,50 Euro pro Stunde, damals deutscher Mindestlohn.
Doch Idadze und rund 20 weitere Saisonarbeiter*innen aus Georgien erlebten das Gegenteil. Akkordarbeit, eine verschimmelte Unterkunft und vor allem: zu wenig Lohn. „Die zwei Monate in Deutschland waren für uns eine Beleidigung“, sagt Idadze heute. Der erste Betrieb in Süddeutschland, auf dem Idadze mehrere Wochen arbeitete, zahlte ihm nur rund die Hälfte von dem, was er selbst berechnet hatte. Auf dem zweiten Betrieb wurde er gar nicht bezahlt, nach knapp drei Wochen streikte Idadze mit einem Schild am Hoftor. Bis heute wartet er auf seinen Lohn.
Gemeinsam mit seinen Kolleg*innen hat Idadze gegen beide Betriebe geklagt. Im Sommer 2023 haben sie mit dem ersten Betrieb einen Vergleich geschlossen, das zweite Verfahren dauert bis heute an. Seit Idadze und seine Kolleg*innen für ihren Lohn kämpfen, haben die beiden Landwirte insgesamt 63.000 Euro von der EU erhalten.
Unsere Ergebnisse haben wir dem Völkerrechtler Didier de Schutter gezeigt. Er ist UN-Sonderberichterstatter zu extremer Armut und Menschenrechten und Co-Vorsitzender des Thinktanks IPES-Food, der sich für nachhaltige Ernährungssysteme einsetzt.
Die Ausbeutung von Landarbeiter*innen sei in Europa weit verbreitet, sagt er. „Noch skandalöser ist, dass die EU große Summen öffentlicher Geldern in landwirtschaftliche Betriebe fließen lässt, denen Arbeitsrechtsverletzungen vorgeworfen werden – und die sogar verurteilt wurden.“ Die Menschen in Europa wollten Lebensmittel, die unter fairen Bedingungen hergestellt seien. „Die Gemeinsame Agrarpolitik sollte dafür ein Instrument sein.“
Dranbleiben
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Wir streiten uns mit dem Zoll vor Gericht
Die Fälle, die wir zusammengetragen haben, zeigen vermutlich nur einen kleinen Ausschnitt des Problems. Denn häufig bleiben entscheidende Daten unter Verschluss. Arbeitsbehörden stellen in den unterschiedlichen Ländern jährlich Tausende Verstöße fest, verweigern jedoch die Auskunft über die Namen der Betriebe. Auch in Medienberichten oder Datenbanken zu Gerichtsurteilen sind Betriebsnamen häufig anonymisiert.
In Deutschland kontrolliert die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) beim Zoll landwirtschaftliche Betriebe und überprüft etwa die Einhaltung des Mindestlohns. Zwischen 2019 und 2023 hat die FKS wegen möglicher Mindestlohnverstöße mehr als 200 Verfahren eingeleitet. In derselben Zeit verhängte sie Bußgelder von knapp neun Millionen Euro gegen landwirtschaftliche Betriebe.
Doch die Namen der sanktionierten Betriebe nennt die Finanzkontrolle Schwarzarbeit nicht. Deshalb sind wir vor Gericht gezogen und haben in erster Instanz teilweise Recht bekommen. Das öffentliche Interesse an den Informationen sei höher zu gewichten als der Datenschutz, entschied das Verwaltungsgericht Karlsruhe. Weil sowohl wir als auch der Zoll Beschwerde eingelegt haben, befasst sich nun der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg mit der Angelegenheit. Wir sind überzeugt: Wenn ein Betrieb gegen Gesetze verstößt, darf eine Behörde den Namen nicht geheim halten.
Eine Reform, die wenig ändert
Eigentlich gibt es eine Regel, die verhindern soll, dass verurteilte Landwirt*innen ungehindert Subventionen erhalten: die „soziale Konditionalität“. Das Prinzip: Wer gegen bestimmte Arbeitsrechte verstößt, dem werden Subventionen gekürzt. Seit 2025 gilt sie in der gesamten EU, auch in Deutschland. Frankreich, Österreich und Italien haben sie aber schon 2023 eingeführt, Spanien im Jahr 2024.
Unsere Auswertung in diesen Ländern zeigt: Landwirt*innen haben wenig zu befürchten, denn bislang gab es kaum Kürzungen.
- Frankreich hat in zwei Jahren keine Sanktion ausgesprochen.
- Österreich hat nur bei einem Landwirt Subventionen gekürzt. In zwei aufeinanderfolgenden Jahren musste er insgesamt 3.000 Euro zurückzahlen – etwa vier Prozent des Geldes, das er in derselben Zeit bekommen hat.
- In Spanien gab es im Jahr 2024 insgesamt 227 Subventionskürzungen, im Schnitt wurden drei Prozent der erhaltenen Subventionen abgezogen. Nicht viele Fälle, wenn man bedenkt, dass spanische Behörden 2023 über 7000 Arbeitsrechtsverstöße festgestellt haben.
- Deutschland hat die Regel 2025 eingeführt. Bislang wurden noch keine Sanktionen ausgesprochen.
Enrico Somaglia, Generalsekretär des europäischen Gewerkschaftsbunds EFFAT sagt: „Bislang hat die Gemeinsame Agrarpolitik arbeitenden Menschen nicht geholfen.“ Die soziale Konditionalität könne ein mächtiges Werkzeug sein. „Aber sie muss richtig umgesetzt und gestärkt werden.“
Somaglia und EFFAT haben jahrelang für die Einführung der sozialen Konditionalität gekämpft. EFFAT fordert höhere Strafen und eine Ausweitung auf weitere Verstöße, etwa gegen den Mindestlohn. Die Regeln beziehen sich bislang nur auf sehr grundlegende Dinge: Es muss einen schriftlichen Arbeitsvertrag geben und es müssen gewisse Standards beim Arbeits- und Gesundheitsschutz eingehalten werden.
Ausnahme für 70 Prozent der Betriebe
Gerade verhandeln Politiker*innen in Brüssel die Gemeinsame Agrarpolitik für die kommenden sieben Jahre. Statt jedoch auf den Schutz von Arbeitsrechten zu pochen, möchte die EU-Kommission die Regel aufweichen. Die Kommission hat vorgeschlagen, Betriebe unter einer Größe von 10 Hektar von der Regel auszunehmen. Das wären laut EFFAT 70 Prozent der Betriebe in der EU.
Der Georgier Levani Idadze lebt mittlerweile in Deutschland. Am 30. Oktober findet der Gerichtstermin gegen den Landwirt aus Norddeutschland statt, der ihn bislang gar nicht bezahlt hat. In erster Instanz haben er und seine Kolleg*innen Recht bekommen, aber der Landwirt ging in Berufung. Idadze wird stellvertretend für alle nach Hannover fahren und erneut aussagen. „Wir haben gute Chancen zu gewinnen“, sagt Idadze, die Arbeitszeiten seien gut dokumentiert. Nach vier Jahren vor deutschen Gerichten könnte die Gruppe endlich Recht bekommen.
→ Zur erstinstanzlichen Entscheidung
Diese Recherche wurde von JournalismFund Europe unterstützt. Sie ist auch erschienen bei: