Es ist ein poetischer Text, den Maria Milisavljević geschrieben hat, obwohl es um harten Stoff geht: Gewalt gegen Frauen, auch Femizide. Am Samstag feierte „Staubfrau“ am Schauspiel Leipzig Premiere. Das Stück, das bei den Mülheimer Theatertagen 2025 mit dem Dramatikerpreis und dem Publikumspreis ausgezeichnet wurde, erzählt von weiblicher Gewalt-Erfahrungen über drei Generationen hinweg.
Stück über Gewalt gegen Frauen: Drei Generationen und ein Chor von Stimmen
Virtuos mischt Milisavljević darin mehrere Ebenen. Im Fokus steht zunächst eine namenlose Frau, Mitte 30, Mutter von schulpflichtigen Kindern, die halbtags arbeitet und sich um die Familie kümmert. Von ihrem Ehemann zunehmend unter Druck gesetzt, psychisch und physisch, will sie ihn verlassen. Am Abend, als die Kinder schon schlafen, wird sie ihrem Mann sagen, dass sie geht – und er wird sie deswegen umbringen.
Sie bleibt nicht allein auf der Bühne: Zwei weitere Frauen, die ihre Mutter und Großmutter sein könnten, erzählen eigene Geschichten zu Erfahrungen mit männlicher Gewalt. Von Selbstmord-Absichten ist die Rede. Von einer Freundin aus Kindheitstagen, die von einem Onkel missbraucht wurde, was damals offenkundig als so normal empfunden wurde, dass es keine weitere Beachtung fand. Mit Mutter und Großmutter kommt die Zeit ins Spiel, Familienbiografien, Erfahrungen über Generationen hinweg. Zwischen den drei Frauen entspinnt sich so ein Abschiedstrialog, der wirkt wie ein Monolog innerer Stimmen. Eine Art Selbstvergewisserung vor der folgenreichen Entscheidung, einen gewalttätigen Mann zu verlassen.
Der Mann bleibt Stimme – und Bedrohung
Der Mann kommt in diesem Setting nur als „knarzige Stimme“ auf die Bühne. Und zwar immer dann, wenn eine der drei Frauen zum Mikrofon greift. Vernehmen lassen sich dann meistens kurze Sätze; Vorwürfe an die Frau; Beleidigungen: Sie sei eine Psychopathin, schizophren. Eine übliche Strategie, solche Dinge abzutun.
Am Ende des Stücks kommt eine weitere Ebene dazu. Da werden wie auf einem Zeitstrahl, der aus der Gegenwart in die Vergangenheit zielt, Fälle von Femiziden aufgezählt. Dabei wird jeweils ein genaues Datum genannt, ein genauer Ort des Todes, und dann heißt es: „Ich wurde 43 Jahre alt“, „Ich wurde 56 Jahre alt…“ Diese vielen „Ichs“ stehen für Frauen, die Opfer männlicher Gewalt wurden. Sie verschmelzen nach und nach zu einer zentralen Figur: der namenlosen Frau, die im Laufe des Stücks schließlich einen Namen erhält – Ophelia, angelehnt an Shakespeares tragische Figur im „Hamlet“, die ins Wasser geht.
So steigt die Frau auf der Bühne in ein großes Aquarium, das Metapher ist für einen Fluss. Zuvor hat sie sich ein zartes durchscheinendes Kleid mit aufgestickten Blumen übergezogen, was an das berühmte Bild „Ophelia“ von John Everett Millais erinnert. Wie aufgebahrt wirkt das Opfer hier in dieser eindruckvollsten und poetischsten Szene des Abends, fast heilig. Gefilmt wird sie mit einer Videokamera, die in dieser Inszenierung fast permanent im Einsatz ist und Details in Großaufnahmen projiziert.
Opfer und Täter sezieren auf einer Bühne zwischen Kochstudio und Labor
Die Inszenierung von Kamila Polívková nutzt den gesamten Raum der Bühne: Ein langer, schwarz furnierter Tresen mit Edelstahlarbeitsplatte zieht sich über die ganze Breite, was wirkt wie eine Mischung aus edlem Kochstudio und Labor. Darauf breiten die drei Schauspielerinnen den ganzen Familienalltag aus: Alltagsgegenstände und am Ende, auf Playmobil-Größe geschrumpft, auch das Mehrfamilienhaus der namenlosen Frau, in dem vielleicht schon ihre Ahninnen lebten. Die Tat selbst, der Femizid wird als ein wilder Tanz beschrieben, als „Pas de deux“ mit Begriffen aus der Welt des Balletts. Teil des Bühnenbilds ist das Aquarium, das auch Metapher ist für den langen Strom der Gewalt. Darin werden die Tatwerkzeuge, die Kleider der Opfer, ja die Opfer selbst entsorgt. Diese Raumidee zwischen Kochshow und Selbsterforschungslabor geht gut auf.
Starke Darstellerinnen, sehenswerte Inszenierung
Bei der Premiere brauchen die drei Schauspielerinnen etwas Zeit, um in ihre Rollen zu finden. Irene Kugler spielt die Großmutter, Katja Gaudard die Mutter und Pauline Bittner die namenlose Frau, die im Laufe des Stücks zur Ophelia wird – auch in Anspielung auf Heiner Müllers „Hamletmaschine“, ein Schlüsseltext des 20. Jahrhunderts, in dem sich Ophelia mit einem radikalen Entschluss gegen die zerstörerische patriarchale Welt stellt: keine Krieger mehr zu gebären, um die Menschheit aussterben zu lassen.
Katja Gaudard zeigt als Mutter viel Wut und Zynismus – eine kämpferische Energie, die Irene Kugler als Großmutter nicht mehr aufbringen kann. Sie hat mit der Männerwelt abgeschlossen und strahlt Ruhe aus. Klar und reflektiert positioniert sich die jüngste Figur. Pauline Bittner spricht einen zentralen Satz, der ihre Haltung zusammenfasst: „Ich habe eine Stimme in mir, eine Mischung aus Unterbewusstsein, Bauch und Verstand. Ich nenne sie schlichtweg mein schlaues Ich.“ Am Premierenabend spielen sich alle drei frei, ihre Figuren wirken stimmig und überzeugend – Chapeaux!
Unterm Strich ist diese Inszenierung unbedingt sehenswert, sie scheint sich einzureihen in aktuelle künstlerische Auseinandersetzungen mit patriarchaler Gewalt und generationsübergreifenden Traumata – wie im großen Kinoerfolg des Herbstes, Mascha Schilinskis „In die Sonne schauen“ oder wie in „Prima Facie“, einem großartigen Soloabend mit Henriette Hölzel am Staatsschauspiel Dresden, die ähnliche Themen behandeln. Warum diese Häufung in Kino und im Theater? Sind das auch noch Nachwirkungen von Corona, wo Autorinnen im Lockdown, zurückgeworfen auf sich selbst, Zeit hatten, eigene Familiengeschichten grundlegend und neu zu erkunden, die über viele Generationen einfach nur so weitergetragen wurden? Jetzt bietet die Leipziger Inszenierung einen neuen Raum, um sie neu zu betrachten.
Quelle: MDR KULTUR (Stefan Petraschewsky, Theaterredakteur), Redaktionelle Bearbeitung: ks