Die letzte Oper Jean-Philippe Rameaus hatte am Badischen Staatstheater Karlsruhe Premiere in der Übernahme einer Produktion aus Oldenburg von 2022. Ein großer Abend.

Die Oper wurde vor 50 Jahren uraufgeführt. Sie stammt aber aus dem 18. Jahrhundert. Jean-Philippe Rameaus letzte Oper „Les Boréades“ wurde damals nicht aufgeführt und erst Ende des 20. Jahrhunderts neu belebt. Sie ist ein Meisterwerk ersten Ranges und wurde jetzt am Badischen Staatstheater in eindrucksvoller Weise zur Premiere gebracht – in einer Produktion des Oldenburgischen Staatstheaters von 2022.

Durch die Händel-Festspiele hat ja die Barockoper am Badischen Staatstheater in Karlsruhe ihren festen Platz im Repertoire. Es war immer mal wieder die Rede davon, bei dem Festival auch Werke von Zeitgenossen aufzuführen. Immerhin gab es schon Opern von Reinhard Keiser und eine von Alessandro Scarlatti. Aber trotz der geografischen Nähe zu Frankreich noch keine von Jean-Philippe Rameau, der gerade mal zwei Jahre älter als Händel war und diesen um fünf Jahre überlebte.

Szene mit Anastasiya Taratorkina, Kihun Yoon, Sébastian Monti und dem Badischen Staatsopernchor (von links). Szene mit Anastasiya Taratorkina, Kihun Yoon, Sébastian Monti und dem Badischen Staatsopernchor (von links).Foto: Felix Grünschloss

Doch nun gab es als Karlsruher Erstaufführung die Premiere von Rameaus letzter Tragédie lyrique „Les Boréades“, die seinerzeit nicht aufgeführt worden war und die Sir John Eliot Gardiner erst 1975 in London konzertant und 1982 in Aix szenisch uraufgeführt hatte. Regie führte dabei Jean-Louis Martinoty, der in Karlsruhe die erste Phase der Händel-Festspiele prägte. 1996 gab es eine halbszenische Version mit dem Ludwigshafener Frieder Bernius in Stuttgart, aber erst 2022 die erste „richtige“ szenische Produktion der Oper in Deutschland. Am Staatstheater in Oldenburg. Nun ist deren Führungsmannschaft von vor drei Jahren ja jetzt in nicht geringen Teilen in Karlsruhe tätig – und da lag eine Übernahme nahe. Für die Fans der Musik von Rameau ist das ein Fest und wie Ostern und Weihnachten zusammen.

Warum? Weil „Les Boréades“ ein Geniestreich ist, eines der großartigsten Werke des Musiktheaters im 18. Jahrhundert und der schönste Beleg für die Bedeutung ihres Schöpfers, der der französischen Tragédie lyrique, wie die Oper dort hieß, in der Tradition Lullys neue Ausdrucksdimensionen erschlossen hat. Rameau hat vor allem durch ariose Teile ein immenses expressives Potenzial entfaltet und auch in puncto Harmonik weit in die Zukunft gewiesen. Auch in dem Stück um die Windgötter, die Boréaden, gibt es neben gehobener Deklamation, Chöre und Tänzen viele „Arien“ von packender Intensität.

Szene mit Anastasiya Taratorkina, Chor und Ballett. Szene mit Anastasiya Taratorkina, Chor und Ballett.Foto: Felix Grünschloss

Operndirektor Christoph von Bernuth, der in der vergangenen Spielzeit einen großen Erfolg mit der etwas jüngeren französischen Opern „Phèdre“ von Jean-Baptiste Lemoyne hatte, setzte die „Boréades“ in Oldenburg und jetzt in Karlsruhe in Szene. Er betont die Modernität des Stoffes, der in seiner aufklärerischen Haltung und seiner Betonung von Freiheit und Demokratie auf Ideale der Französischen Revolution vorausweist. Er macht deshalb in der Ausstattung von Oliver Helf (Bühnenbild) und Karine Van Hercke (Kostüme) kein höfisches Spektakel, sondern findet in klaren Einstellungen eine konsequente Darstellung seines Konzeptes. Es gibt keine billigen Modernismen, dafür eine angemessene Betonung der universellen Aussage des Stücks. Gegen die rohe Gewalt von Borée und seinen Söhnen wird als positives und humanes Bild die Liebe der Königin Alphise und ihres Geliebten Abaris, der sich am Ende als Sohn des Lichtgottes Apollon erweist, gesetzt. Die Lichtmetaphorik spielt deshalb eine große Rolle. Die Choreographie von Antoine Jully bietet keine Galanterie, sondern setzt auf kunstvollen, aber expressiven Ausdruckstanz. Das Staatsballett tanzt dabei ganz ausgezeichnet und hochvirtuos.

Als Conductor in Residence setzt Attilio Cremonesi am Pult der Badischen Staatskapelle auch jetzt wieder seine Kenntnis der und Affinität zur Barockoper nachhaltig ein. Er lässt das Orchester leicht und flexibel spielen. Die Kühnheit und Vielfalt der Partitur wird bestens vergegenwärtigt. Nicht zuletzt die Bläserstimmen erklingen großartig.

Armin Kolarczyk und das Staatsballett. Armin Kolarczyk und das Staatsballett.Foto: Felix Grünschlos

Zwei Gäste wirken im Solistenensemble mit. Den Abaris gibt Mathias Vidal, der die Rolle auch in der vorzüglichen CD-Aufnahme der Oper unter Václav Luks singt. Er ist ein wahrlich kongenialer Rameau-Tenor mit einer prachtvollen, aber beweglichen Stimme sowie faszinierend genauer Diktion. Der andere Gast ist Sébastian Monti als Calisis, der hell und leicht singt. Bruder Borilée wird von Kihun Yoon markant vorgestellt. Auch Konstantin Gorny als Vater Borée setzt kraftvolle Akzente.

Anastasiya Taratorkina überzeugt als Alphise durch die Verbindung von leuchtendem Timbre und und ausdrucksvoller Gestaltung. Martha Eason ist als Sémire einmal mehr eine Sopranistin von großer Ausstrahlung. Armin Kolarczyk stattet als Adamas einmal mehr eine Partie in einer Barockoper mit bestechender Stimmkultur und Wohllaut aus. Die kleineren Rollen sind ebenfalls blendend besetzt. Sehr gut agiert der Chor in der Einstudierung von Ulrich Wagner.

Das Premierenpublikum war zu Recht von der Produktion begeistert.

Info

Weitere Vorstellungen sind am 11. und 18. Oktober, 1. und 9. November, 13. und 26. Februar sowie 7. März. www.staatstheater.karlsruhe.de, 0721 933333.