Es war fast zu schön, um wahr zu sein: Bei meinem Besuch in Kopenhagen bewegte ich mich ausschließlich zu Fuß und mit dem Fahrrad durch die Stadt. Ich fühlte mich sicher und entspannt, keine Motorhaube kam mir zu nah, niemand hupte und schrie sich an. Was kann Kopenhagen, was Berlin nicht kann?

Es ist nicht so, dass die dänische Hauptstadt den motorisierten Individualverkehr sofort und komplett verbannen will – auch wenn der Stadtrat ab 2030 keine Verbrenner mehr im Stadtgebiet zulassen will. Vielmehr setzt die dänische Regierung bereits seit den 1970er-Jahren eine Verkehrspolitik um, die nicht nur auf ein umsichtiges Miteinander im Straßenverkehr ausgerichtet ist, sondern vor allem auf die Förderung von Alternativen zum privaten Pkw.

Fahrerlose U-Bahnen

U-Bahnen fahren ausnahmslos fahrerlos und vollautomatisch, und das rund um die Uhr in enger Taktung. Rund 400 Kilometer gut gepflegte Fahrradwege und Fahrradbrücken durchziehen die knapp 180 Quadratkilometer Fläche der Stadt und mehr als die Hälfte der Einwohnerinnen und Einwohner legt ihre alltäglichen Wege mit dem Zweirad zurück. Zum Vergleich: In Berlin, das sich über 892 Quadratkilometer erstreckt, gibt es 871 Kilometer Vorrangnetz und ungefähr 1500 Kilometer Ergänzungsnetz – letzteres ist in vielen Fällen allerdings in miserablem Zustand und birgt Gefahren für die Nutzenden.

Zügig und trotzdem sicher unterwegs? In Kopenhagen, Alltag für Radler:innen.

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In Kopenhagen sind die Radwege hingegen längst an die steigende Nutzung angepasst. Ein Großteil der Strecken ist mindestens 2,20 Meter breit – in eine Richtung – und bei stark genutzten Wegen sogar bis zu vier Metern. Oft sind Autoverkehr und Radweg räumlich durch eine Parkspur getrennt und es gibt fast überall separate Ampelschaltungen für Fahrradfahrende – gebrüllte Anschuldigungen und Tritte gegen die Karosserie, weil irgendwer irgendwem zu nahegekommen ist, gibt es aus diesem Grund in Kopenhagen kaum.

Und am allerbesten: Die Grünphasen für Fußgängerinnen und Fußgänger sind an großen Kreuzungen – selbst bei solchen mit Mittelinsel – so lang, dass sogar Menschen mit Rollator ohne Hektik bequem in einem Rutsch auf die andere Seite gelangen.

Reflexhafte Ablehnung

„Berlin ist nicht Bullerbü“, antworten konservative Politikerinnen und Politiker oft reflexhaft auf Vergleiche mit anderen Städten wie Paris oder eben Kopenhagen; bei dem Gedanken an breite, abgetrennte Fahrradwege bricht unserem Regierenden Bürgermeister Kai Wegner vermutlich nach wie vor der Angstschweiß aus.

Der Ausbau von Fahrradwegen wird unter dem schwarz-roten Senat dementsprechend stiefmütterlich behandelt; die Finanzierung für Radwege sowie für Fußgänger und Verkehrssicherheit wird erneut gekürzt. Kiezblocks, wie es sie auch in Kopenhagen gibt, haben sowieso ganz schlechte Karten. Stattdessen wird die Anordnung von Tempo 30 auf zahlreichen Straßen zurückgenommen – weil die Luftverschmutzung dort gesunken ist.

Natürlich ist Berlin mit derzeit knapp über 3,8 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern fast fünfmal so groß wie Kopenhagen und nicht in jeder Hinsicht vergleichbar. Hinzu kommt die offensichtliche Krise, in der sich BVG und S-Bahn befinden: Überfüllte U-Bahnen und tägliche Zugausfälle bei der S-Bahn sind kein Anreiz, das Auto stehenzulassen; erst recht nicht, wenn man außerhalb des S-Bahn-Rings wohnt.

Wie soll der Verkehr in Zukunft aussehen?

Doch was Berlin fehlt, ist nicht nur eine lückenlose Infrastruktur für Fahrräder und den ÖPNV – sondern vor allem eine Vision, wo die Stadt in Sachen Verkehr in Zukunft überhaupt hin möchte. Zu sehr ist die Politik von den aktuellen Vorlieben des jeweils regierenden Senats bestimmt, der mit wenig durchdachten Schnellschüssen wie der Sperrung der Friedrichstraße unter Rot-Grün-Rot und der Rücknahme der Sperrung unter Schwarz-Rot vor allem Symbolpolitik für seine Wählerinnen und Wähler macht.

Schlangestehen vor historischer Kulisse – meist nicht von Dauer, denn die Infrastruktur für Radfahrende in Kopenhagen ist vorbildlich.

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Es ist keine übertriebene Forderung, dass sich Berlin endlich mal ein Beispiel nimmt an unseren skandinavischen Nachbarn und aktiv dafür sorgt, dass sich im öffentlichen Raum auch all jene langfristig sicher fühlen, die nicht von einer Tonne Blech umgeben sind.

Wo ist das „Miteinander“ geblieben, das der Regierende zu Beginn seiner Amtszeit so vollmundig für Berlins Straßen ankündigte?

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Dass der Senat sich auf den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs konzentriert und sicherstellt, dass dieser Vorrang hat – anstatt ihn, wie im Falle des neu eröffneten Autobahnabschnittes am Treptower Park, auszubremsen. Das muss auch ohne millionenschwere Luftschlösser wie eine Magnetschwebebahn oder Flugtaxis möglich sein. Wo ist das „Miteinander“ geblieben, das der Regierende zu Beginn seiner Amtszeit so vollmundig für Berlins Straßen ankündigte?

Erst die eine Ideologie, dann die andere

Eine Verkehrsinfrastruktur lässt sich nicht von heute auf morgen komplett überarbeiten. Die vorauseilende Ablehnung von einfachen Maßnahmen wie in Kopenhagen, die sich auch in Berlin – wo die Straßen ähnlich breit sind – umsetzen ließen, lässt die Entscheidungsträger jedoch bloß wie Sturköpfe wirken. Die Berliner CDU, die dem rot-grün-roten Senat seinerzeit Ideologie zugunsten der Radfahrenden vorwarf und nun ihrerseits eine Ideologie zugunsten von Autos mit der Brechstange durchsetzt, will das wohl einfach nicht.

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Kopenhagen meldete für das Jahr 2023 übrigens insgesamt zwei Verkehrstote – in Berlin kamen im gleichen Jahr 33 Menschen im Straßenverkehr ums Leben. In diesem Jahr sind wir, Stand Mitte September, bereits bei 28 Verkehrstoten; 17 davon waren Radfahrende und Fußgänger. Liebe Landesregierung: Das ist ein Armutszeugnis.