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Im Osten der Ukraine verliert Russland Tausende Soldaten. Kiew meldet Geländegewinne bei Dobropillja – der Vormarsch von Putins Armee stockt.
Kiew/Dobropillja – Hier tobt der Ukraine-Krieg derzeit besonders heftig: Die Gegend rund um Pokrowsk und Dobropillja ist seit Wochen von intensiven Gefechten geprägt. Nach Tagen zunehmender Angriffe zeichnet sich ein zähes Ringen um Gelände und Nachschubwege ab. Beide Seiten, Kiew und Moskau, setzen auf kleine, bewegliche Verbände und Drohnen, während Artillerie den Druck auf Knotenpunkte hochhält.
Oleksandr Syrskyj (Foto links, Mitte) bei einer Lagebesprechung in der Ostukraine. Kiew meldet schwere russische Verluste – Putin spricht dennoch von Fortschritten. © Foto links: Facebook/@GeneralStaff.ua | Foto rechts: IMAGO / ZUMA Press
Ukrainische Militärstellen sprechen von spürbaren Erfolgen bei der Abwehr russischer Vorstöße in mehreren Teilabschnitten. OSINT-Projekte (Open Source Intelligence) – also die Auswertung öffentlich zugänglicher Informationen aus Bildern, Videos und offiziellen Berichten – verzeichnen bislang nur geringe Verschiebungen an der Front, die sich im Gesamtverlauf jedoch bemerkbar machen. Zugleich warnen Analysten, dass sich die Lage rasch wenden kann und Aussagen aus dem Gefecht oft zeitverzögert einlaufen.
Putins Truppen erleiden im Ukraine-Krieg massive Verluste bei Dobropillja
Ukrainische Militärstellen berichten von erheblichen Verlusten auf russischer Seite. Allein im Abschnitt Dobropillja habe die Armee Wladimir Putins seit Beginn der ukrainischen Gegenoffensive im August rund 3.520 Soldaten verloren, davon 1.988 getötet, teilte Oberbefehlshaber Oleksandr Syrskyj am Sonntag (5. Oktober) via Facebook mit. Für die jüngste 24-Stunden-Periode bezifferte er die russischen Ausfälle dort auf 47 Soldaten, 32 davon „irreversibel“. Zudem seien bislang 991 Fahrzeuge und Artilleriesysteme beschädigt oder zerstört worden. Unabhängig bestätigen lassen sich diese Zahlen freilich nicht.
Syrskyj erklärte weiter, die ukrainischen Kräfte hätten „die Effizienz der Bekämpfung gegnerischer Sammelpunkte erhöht“ und träfen gezielt russische Logistik im Raum Dobropillja. Gemeinsam mit Kommandeuren vor Ort habe man Maßnahmen zur Verbesserung der Koordination, Logistik und Verwundeten-Evakuierung besprochen.
Putins Verbündete: Diese Länder stehen im Ukraine-Krieg an der Seite RusslandsFotostrecke ansehenFrontabschnitt Jampil: Lage stabilisiert, Such- und Schlagoperationen
Auch im benachbarten Frontabschnitt Jampil, nahe der Stadt Lyman, scheint sich die Lage nach ukrainischer Darstellung stabilisiert zu haben. In den vergangenen Tagen führten Einheiten der Spezialkräfte, der Landstreitkräfte und der Nationalgarde gezielte Suchaktionen durch, um russische Sabotagegruppen auszuschalten. Ziel sei es, verbliebene Gegner in den Wäldern und Ortschaften aufzuspüren.
„Die Lage ist stabilisiert“, schrieb Syrskyj in einem Facebook-Beitrag. „Einheiten der Spezialkräfte, des Heeres und der Nationalgarde führen Schlag- und Suchoperationen durch, um Reste von Sabotagegruppen des Gegners aufzuspüren.“ Diese Einschätzung deckt sich mit den Beobachtungen unabhängiger Militäranalysten und den Kartenprojekten Deep State Map und Liveua24, die seit Tagen kaum Veränderungen im Gebiet Lyman verzeichnen.
ISW: Russischer Vormarsch verlangsamt sich deutlich
Nach einer aktuellen Analyse des Institute for the Study of War hat sich der russische Vormarsch seit Mitte September spürbar verlangsamt. Während Moskau im Juli noch 634 Quadratkilometer Gelände in der Ukraine unter seine Kontrolle bringen konnte, waren es im August 594 und im September nur noch 447. Besonders in der Region Donezk sei der russische Angriff ins Stocken geraten.
Die Experten des ISW gehen davon aus, dass Russland seine Erfolge zunehmend propagandistisch überhöht. Der Kreml versuche, durch übertriebene Erfolgsmeldungen den Eindruck einer unaufhaltsamen Offensive zu erzeugen. In Wirklichkeit verlaufe der Vormarsch schleppend und verlustreich, während die ukrainische Armee gezielt auf russische Nachschublinien schlage.
Bedeutung des Abschnitts Dobropillja für die Front im Ukraine-Krieg
Der Raum Dobropillja hat für beide Seiten strategisches Gewicht. Für Russland wäre ein Durchbruch hier ein wichtiger Schritt, um die ukrainische Verteidigungslinie bei Pokrowsk zu gefährden. Für Kiew wiederum geht es darum, diesen Zugang zu sichern und russische Kräfte zu binden, um Entlastung für andere Frontabschnitte zu schaffen.
Die ukrainische Armeeführung berichtet, dass die Einheiten dort immer häufiger präzise Angriffe auf russische Nachschubpunkte und Munitionsdepots führen. Diese Taktik solle verhindern, dass Russland weitere Reserven an den Frontbogen verlegt. OSINT-Beobachtungen bestätigen, schreibt t-online, dass die ukrainischen Truppen in der Region kleinere Geländegewinne erzielt und mehrere Ortschaften gesichert haben.
Warum Dobropillja im Ukraine-Krieg strategisch wichtig ist
Dobropillja gilt als einer der entscheidenden Brennpunkte an der Front im Osten der Ukraine. Die Stadt liegt zwischen den stark umkämpften Achsen Pokrowsk und Kramatorsk und bildet damit einen zentralen Verkehrsknoten im Donezker Industriegebiet. Über Straßen- und Eisenbahnverbindungen verlaufen hier wichtige Versorgungsrouten, die sowohl für russische als auch für ukrainische Operationen von Bedeutung sind.
Das Gelände rund um Dobropillja ist offen und von Feldern geprägt – ein Vorteil für Drohnenaufklärung und präzise Artillerieeinsätze. Gerade deshalb konzentrieren beide Seiten dort seit Wochen ihre Aufklärungsmittel und taktischen Reserven. Gelingt Russland ein Durchbruch, könnte es die ukrainischen Linien bei Pokrowsk von Süden her unter Druck setzen.
Umgekehrt würde eine stabile ukrainische Verteidigung den russischen Vormarsch in der gesamten Region Donezk erheblich bremsen. Nach Einschätzung militärischer Analysten schwächt jeder ukrainische Teilerfolg bei Dobropillja den russischen Druck entlang der südlichen Front und verbessert Kiews Chancen, die Nachschubwege nach Westen offenzuhalten.
Stimmung an der Front: Zermürbung auf beiden Seiten
Inzwischen wächst auf beiden Seiten die Erschöpfung. Ukrainische Soldaten berichten, so das ISW, von rund um die Uhr andauernden Drohnen- und Artillerieangriffen, während russische Einheiten laut ukrainischen Angaben schlecht versorgt und unterbesetzt seien. Der Herbst bringe Schlamm und Nebel, was insbesondere für gepanzerte Einheiten neue Schwierigkeiten bedeute.
Auch politische Beobachter sehen den Krieg zunehmend in einer Phase der Zermürbung. Der ukrainische Befehlshaber Syrskyj schreibt dennoch von „Disziplin und Entschlossenheit“ seiner Truppen. Russland dagegen versuche, durch massive Mobilisierung und Propaganda Stärke zu zeigen, während die tatsächlichen Fortschritte überschaubar bleiben.
Ausblick für den Ukraine-Krieg: Kämpfe dürften weiter zunehmen
Für die kommenden Wochen rechnen Analysten, wie etwa das ISW, mit einer weiteren Intensivierung der Kämpfe. Besonders im Donbass werden neue russische Offensivversuche erwartet, um vor Beginn des Winters Geländegewinne zu sichern. Gleichzeitig bereitet sich die Ukraine auf verstärkte Verteidigungsoperationen und präzise Gegenangriffe vor.
Während die internationale Aufmerksamkeit zuletzt auf politische Entwicklungen rund um US-Hilfspakete und Waffenlieferungen gerichtet war, bleibt die militärische Realität vor Ort brutal. Der Abschnitt um Dobropillja könnte zu einem Prüfstein werden – sowohl für die russische Angriffsfähigkeit als auch für die ukrainische Widerstandskraft. (Quellen: t-online, Facebook/Generalstab der Streitkräfte der Ukraine, Institute for the Study of War, Deep State Map, Liveua24) (chnnn)