Es musste etwas Schlimmes passiert sein. Wer am Freitag Besseres zu tun hatte, als dem 1. FC Nürnberg beim Fußball zuzuschauen – und da dürfte einem eine Menge einfallen –, wer die Partie also nicht gesehen hatte, aber mitbekam, wie Joti Chatzialexiou über den Rasen des Düsseldorfer Stadions lief, musste vom Äußersten ausgehen. Der Club hatte offenbar schon wieder verloren, anders konnte es gar nicht sein. Mehr noch: Es war wohl eine ziemlich heftige Niederlage. Gar eine Blamage? Würde Trainer Miroslav Klose jetzt also entlassen werden?
Chatzialexiou, 49, lief von Spieler zu Spieler und klatschte einen nach dem anderen ab. Dann reichte Nürnbergs Sportvorstand auch Klose die Hand. Es wirkte mechanisch. Chatzialexiou schien ernsthaft betroffen zu sein, sein Gesicht war steinern.
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SZ PlusVon Thomas Hürner und Christof Kneer
Gerade hatte der Club ein turbulentes Duell mit etlichen Aufs und Abs mit 3:2 gewonnen und damit am achten Spieltag den zweiten Sieg eingefahren. Chatzialexiou hatte also allen Grund zu lächeln und lächelte kein einziges Mal. „Ich war fix und fertig nach dem Spiel“, erklärt der Sportvorstand mit etwas Abstand, „normalerweise bin ich jemand, der gerne lacht.“ Aber was ist dieser Tage schon normal, gerade beim 1. FC Nürnberg, einem Verein, der ebenso oft deutscher Meister geworden, wie er aus der Bundesliga abgestiegen ist? Einem Verein, der in einer Krise vor gut 30 Jahren mal seine halbe Elf und nicht den Trainer entlassen hat?
An Chatzialexiou war am Freitagabend gut zu erkennen, wie es gerade um den Club bestellt ist. Der gewaltige Druck setzt den Nürnbergern zu. Aber, und das war die entscheidende Nachricht aus Düsseldorf: Auch unter dem gewaltigen Druck funktionieren sie noch.
Das heißt zwar nicht, dass der FCN jetzt kurz vor der nächsten deutschen Meisterschaft steht – es ist aber auch nicht so, dass die halbe Elf oder der Trainer entlassen werden. Zumindest nicht jetzt, in der zweiten Länderspielpause dieser Saison.
Nach dem 0:3 gegen Hertha verändert Klose seine Nürnberger Elf auf exakt null Positionen
Dabei hatte Klose in Düsseldorf schon allein mit seiner Aufstellung eine spielfeldgroße Angriffsfläche geboten. Nach dem 0:3 in der vorangegangenen Woche gegen Hertha BSC, einem Offenbarungseid, nach dem der Club guten Gewissens nicht nur die halbe, sondern gleich die ganze Elf hätte entlassen können, nahm Klose exakt null Änderungen an seiner Startformation vor. Im Sommer hatte Nürnberg mit Mickael Biron, Adriano Grimaldi, Semir Telalovic, Noah Maboulou, Mohamed Ali Zoma und Artem Stepanov nicht weniger als sechs Stürmer verpflichtet – und am Ende stürmte in Düsseldorf wieder: Rafael Lubach, ein zentraler Mittelfeldmann.
Chatzialexiou nahm es mit Galgenhumor. Er habe, verriet er später, Klose in seiner Aufstellung bestärkt und ihm vor dem Spiel mit einem Augenzwinkern gesagt: „Never change a winning team.“ Als er hinterher ernsthaft in die Analyse ging, betonte Chatzialexiou: „Bei allem Druck hat Miro gezeigt, dass es ihm nicht um sich selbst geht.“
Tatsächlich war das die zweite zentrale Botschaft der 90 Minuten von Düsseldorf: Klose lässt sich weder leiten noch verfällt er in Aktionismus, im Gegenteil. Auch in der Not bleibt Nürnbergs Trainer ganz bei sich und den Inhalten. Er analysiert und trifft dann Entscheidungen. Und diese Entscheidungen können auch inmitten einer tiefen Krise Punkte bringen: Lubach erzielte das 1:0, ehe es in der zweiten Hälfte drunter und drüber ging und der FCN am Ende gewann, ohne dass Chatzialexiou lächelte.
Auch mit etwas Abstand will der Sportvorstand den Sieg nicht so hoch hängen. „Ich weiß nicht, ob man immer gleich von einer Wende sprechen kann“, sagt Chatzialexiou, „aber es war gut, dass wir auf dem Platz Antworten gefunden haben. Man geht ja nicht unbedingt davon aus, dass eine Mannschaft, die noch nicht stabil ist, so mit Rückschlägen umgehen kann.“ Doch der Club konnte es. Und siegte.
So hatten es Klose und seine Mannschaft schon vor einem Jahr getan, als ihr Schicksal an einem Spiel gegen Preußen Münster hing. So hatten sie es getan, als es vor gut zwei Wochen gegen den VfL Bochum wieder ums große Ganze ging. Und so taten sie es auch dieses Mal in Düsseldorf. Wenn eine Katze sieben Leben hat, hat Klose also mindestens genauso viele. Schaden kann das nicht, schließlich ist er ja Trainer beim 1. FC Nürnberg, einem Verein, der alles ist – nur nicht normal.