Hamburg – Morgens bohren, abends ein dickes Auto fahren – das ist das Klischee vom Zahnarztleben. Wenn Stefan Schmidt (47) aus Hamburg freitags aus seiner Praxis kommt, erfüllt er dieses Vorurteil: Er setzt sich dann ans Steuer eines Linienbusses.
Seit dem 10. Mai fährt Schmidt im Mini-Job für die Verkehrsbetriebe Hamburg-Holstein (VHH). Das Unternehmen gehört zum Hamburger Verkehrsverbund und ist einer der größten Busbetreiber Norddeutschlands. Sein Lohn: 23,26 Euro pro Stunde, plus Zuschläge. Maximal 22,74 Stunden im Monat sind im Minijob erlaubt.
Kindheitstraum auf vier Rädern
Schon als kleiner Junge war der Bus sein Lieblingsort. „Ich fand die roten Knöpfe zum Türöffnen so faszinierend“, erinnert sich Schmidt. „Bei jeder Fahrt zu meiner Oma saß ich vorne rechts, um auch wirklich nichts zu verpassen.“
Stefan Schmidt (47) trat in die Fußstapfen seines Vaters, wurde Zahnarzt. Dabei träumte er eigentlich davon, Busfahrer zu werden. Mittlerweile macht er einfach beides
Foto: Sybill Schneider
Zurück zu Hause, verwandelte er dann das Wohnzimmer in einen Bus: Kuscheltiere und Geschwister hielten als Fahrgäste her, dazu ein Buslenkrad vom Sperrmüll und eine Kassette mit selbst aufgenommenen Haltestellen-Ansagen. „Ich habe sogar Fahrscheine verkauft – mit der Spielzeugkasse.“
Endlich darf er die drei roten Knöpfe zum Türöffnen selbst drücken, die ihn als Kind so fasziniert hatten
Foto: Sybill Schneider
Zahnarztpraxis statt Fahrerkabine – vorerst
Nach dem Abitur entschied er sich für Zahnmedizin, wie sein Vater. Doch der Traum vom Bus blieb.
2024, am Küchentisch mit seiner Frau, kam das Thema wieder auf: „Sie meinte: ,Mach das doch einfach’.“ Gesagt, getan. Schmidt meldete sich im Juni 2024 in einer Fahrschule an und machte privat den Busführerschein (Klasse D). Für ihn ist das ein Hobby: „So wie Reiten für meine Frau. Mich entspannt das komplett – sogar mit dem Gelenkbus im Berufsverkehr oder in zugeparkten Straßen.“
Auch wenn er sich gar nicht so förmlich anziehen müsste, liebt es der Zahnarzt, mit Krawatte und Sakko hinter dem Lenkrad zu sitzen
Foto: Sybill Schneider
Von Null zum Busfahrer – auch für andere möglich?
‣ Voraussetzungen: Mindestalter 21, Klasse B, Deutschkenntnisse (B1).
‣ Führerschein Klasse D + Schlüsselzahl 95 (Qualifikation zum Berufskraftfahrer) werden übernommen, wenn man sich für 2 Jahre an die VHH bindet.
‣ Ideal für Umsteiger, Späteinsteiger oder Frührentner.
Bei Schmidts Jungfernfahrt am 10. Mai stiegen an jeder Haltestelle Familienmitglieder ein, darunter seine Frau, seine Kinder und seine Eltern
Foto: Sybill Schneider
Immer mit Krawatte hinter dem Lenkrad
Dr. Omnibus fährt meist freitags oder am Wochenende. Seine erste Tour von Wedel nach Blankenese ist ihm besonders in Erinnerung geblieben: An fast jeder Haltestelle stieg jemand aus der Familie zu.
Die Fahrgäste, mit denen er nicht verwandt ist, sind meist freundlich. „Viele freuen sich einfach, dass ich immer Krawatte trage und jeden begrüße“, so Schmidt, über den die Hamburger Morgenpost zuerst berichtete.
BILD-Reporterin Franziska Ringleben (35) besuchte Dr. Omnibus an beiden Arbeitsplätzen zum Interview
Foto: Sybill Schneider
Manche Patienten fragen schon besorgt: War es das bald mit dem Zähnebohren? „Nein, die Praxis bleibt – im Moment jedenfalls“, sagt Schmidt. Heißt also: Er wechselt weiter zwischen Bohrer und Blinker.