Fassungslosigkeit, Entsetzen, „eine neue Form der Eskalation“ – selten waren sich die Herner Parteispitzen von SPD, CDU, Grünen und FDP so einig: Sie alle sind schockiert über einen Brief, den Jürgen Köhne und Horst Schröder als Vorsitzende der Bürgerinitiative „Für das Hallenbad Eickel“ an das Gelsenkirchener Gauß-Gymnasium geschrieben haben. Das Schreiben richtet sich gegen den Grünen-Stadtverordneten Fabian May, der als Lehrer an der Schule im Gelsenkirchener Süden unterrichtet. Auch innerhalb der Bürgerinitiative gibt es Kritik an dem Brief. In Kürze befasst sich der Rat mit dem Schreiben.
Sieht sich aufgrund seiner politischen Tätigkeit mit einem Brief an seinen Arbeitgeber konfrontiert: der Grünen-Stadtverordnete Fabian May.
© FUNKE Foto Services | Rainer Raffalski
Beleidigung, verbale Demütigung und Mobbing: All dieser Vergehen habe sich May in der Debatte ums Hallenbad Eickel schuldig gemacht, so Köhne und Schröder. In ihrem (der WAZ vorliegenden) Brief an das Gymnasium führen sie mehrere Beispiele aus der WAZ und den sozialen Medien an. So habe der Grüne über Köhne auf Facebook geschrieben, dass dieser einen „Horizont von der Wand zur Tapete“ habe. Auch in weiteren Fällen habe May die BI und ihre Sprecher herabgesetzt und beleidigt sowie der Lüge bezichtigt. Die Grenzen der Toleranz, Offenheit und gegenseitigen Achtung seien missachtet und überschritten worden.
Herner Initiative bittet Gymnasium um „offenes und klärendes Gespräch“
Aufgrund der wiederholten beleidigenden öffentlichen Äußerungen Mays habe man beschlossen, „dagegen vorzugehen“, so Köhne und Schröder. Und weiter heißt es in dem Schreiben an die Schule: „Bevor wir entsprechende Maßnahmen ergreifen und gegen den Verfasser vorgehen, bieten wir ein offenes und klärendes Gespräch an, um gemeinsam Lösungen zu finden.“ Der Vorgang werde jetzt insgesamt lückenlos aufgearbeitet und müsse zu „Konsequenzen“ führen.
Jürgen Köhne ist Co-Sprecher der Bürgerinitiative für das Hallenbad Eickel.
© FUNKE Foto Services | Rainer Raffalski
Als die BI-Spitze Kenntnis über WAZ-Recherchen zu dem Vorgang erhält, reagiert sie mit einer langen Stellungnahme, in der sie die Vorwürfe und ihre Haltung bekräftigt. Aus ihrer Sicht seien die Straftatbestände der Beleidigung, der Verleumdung und der üblen Nachrede „vermutlich erfüllt“. Sie handelten aus „Notwehr nach wiederholter, öffentlicher Schmähkritik gegenüber Mitgliedern der BI und der BI als Ganzes“. Und: „Wenn man weiß, dass Herr May Lehrer ist und beamtengleich arbeitet, ist deutlich mehr Zurückhaltung bei öffentlichen Äußerungen gefordert, als man es von ,Otto Normalverbraucher‘ erwarten kann und darf.“
Sicherlich würde erst eine juristische Aufarbeitung zeigen, ob Mays Äußerungen strafrechtlich relevant seien, heißt es weiter. Das anzuschieben, sei der BI bislang aber als „übermäßige Eskalation“ erschienen. Deshalb habe man zunächst das Gymnasium als Dienstherrn um eine „Mediation“ gebeten. Dieser Bitte entsprach die Schule allerdings nicht: Auf Nachfrage der WAZ erklärten Köhne und Schröder, dass die Schulleitung geantwortet habe, sich nicht einmischen zu wollen. Auch gegenüber der WAZ erklärte die Gauß-Leiterin, sich zu der Situation nicht äußern zu wollen.
Horst Schröder (Bild) ist wie Jürgen Köhne Sprecher der Bürgerinitiative für das Hallenbad Eickel.
© FUNKE Foto Services | Klaus Pollkläsener
Und nun? Horst Schröder erklärte gegenüber der WAZ, dass die BI sowie Jürgen Köhne und er als Privatpersonen keinen Wert darauf legten, die Sache weiterzuverfolgen, wenn Fabian May sich entschuldigen würde. Außerdem müsste der Grüne eine Erklärung unterzeichnen, nach der er „weitere vergleichbare Schmähkritiken oder persönliche Beleidigungen“ künftig unterlassen werde. Dem will der Grünen-Politiker nicht nachkommen.
Herne-Newsletter: Jetzt kostenlos anmelden!
Nachrichten, Service, Reportagen: Jeden Tag wissen, was in unserer Stadt los ist.
Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der
Werbevereinbarung
zu.
Die Entscheidung, vor einer weiteren Rechtsverfolgung den Dienstherren, in diesem Fall also die Schule, um eine „Mediation“ zu bitten, sei im Vorstand der Bürgerinitiative abgesprochen und bei einer Enthaltung beschlossen worden, so Köhne und Schröder weiter. Die BI-Mitglieder Susanne Adami und Veronika Buszewski hätten nicht an dieser Sitzung teilgenommen. Beide fänden das Vorgehen zwar im Nachhinein grundsätzlich in Ordnung, hätten sich aber von der „Anfrage“ an die Schule distanziert.
Zankapfel Hallenbad Eickel: Die Bürgerinitiative kämpft seit Jahren um den Erhalt. Die breite politische Mehrheit ist anderer Ansicht.
© FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald
Linken-Politikerin: „Die Nerven lagen offenbar blank“
Veronika Buszewski, Vorsitzende der Linkspartei im Rat, bestätigt dies gegenüber der WAZ: „So geht das nicht. Diese Herangehensweise missfällt mir, auch wenn ich ein gewisses Verständnis dafür habe, dass man hier irgendwie tätig wird.“ Vor dem Absenden des Briefes habe sie keine Kenntnis davon gehabt. Die interne Kommunikation sei damals aber aufgrund von Krankheit und Urlaub „etwas schwierig“ gewesen. Sie habe allerdings auch erfahren, dass es sich eher um eine „private Sache“ von Köhne und Schröder gehandelt habe. Zum Hinweis der WAZ, dass das Schreiben an die Schule den Briefkopf der BI trägt, sagt sie, dass dies von den beiden wohl nicht beabsichtigt gewesen sei.
BI-Mitglied und Linken-Stadtverordnete Veronika Buszewski distanziert sich von dem Brief der beiden BI-Sprecher.
© FUNKE Foto Services | Rainer Raffalski
„Die Nerven lagen offenbar blank“, so Buszewskis Versuch einer Erklärung für das Schreiben von Köhne und Schröder ans Gauß-Gymnasium. Fabian May sei in seinen Äußerungen „aber auch nicht faul“. Das rechtfertige für sie und für die Linken-Ratsfraktion aber nicht, auf diese Weise vorzugehen. Sie bedauere den Vorgang, werde aber keine Konsequenzen daraus für ihre Arbeit in der BI ziehen, so Buszewski abschließend auf Nachfrage.
Was sagt Fabian May? „Ich lasse mich nicht einschüchtern“, erklärt der 30-jährige Grünen-Politiker, der nicht mehr im nächsten Rat vertreten sein wird. Er sei stets hart in der Sache und teile aus, könne aber auch Gegenwind vertragen. Die Grenze sei überschritten, wenn es ins Berufs- oder Privatleben herüberschwappt, so der 31-Jährige. Ihm werde von der BI die Fähigkeit abgesprochen, Kinder zu unterrichten. Und: Wenn man Politik mache, müsse man sich auf nachvollziehbare Fakten berufen und fair miteinander umgehen: „Beides hat die Bürgerinitiative nicht gemacht. Darauf habe ich reagiert.“
Rückenwind für Herner Politiker von SPD, CDU, FDP und seiner Partei
Sehr deutlich äußern sich die Spitzen von SPD, CDU und FDP, die von Fabian May über den Brief ans Gauß-Gymnasium informiert worden sind. Der FDP-Stadtverordnete Thomas Bloch verurteilt den BI-Brief „aufs Schärfste“: „Hiermit wird versucht, einen politisch aktiven Menschen, der seine eigene Meinung und Position vertritt, einzuschüchtern, um die eigenen Interessen durchzusetzen.“ Man könne in der Hallenbad-Debatte trefflich streiten und unterschiedlicher Meinung sein, aber am Ende des Tages müsse man mit fairen Mitteln Argumente austauschen. May erhalte von ihm die vollste Unterstützung – „und ich bin überzeugt, dass er diese auch von den übrigen demokratischen Parteien in Herne erhalten wird“, so Bloch abschließend.
FDP-Politiker Thomas Bloch spricht von „Einschüchterung“.
© FUNKE Foto Services | Gero Helm
Dem wollen SPD-Chef Hendrik Bollmann und CDU-Vorsitzender Christoph Bußmann nicht widersprechen. Er sei entsetzt über das Vorgehen der BI, sagt der Sozialdemokrat. Auch Bußmann und die CDU verurteilen den Schritt der BI: „Den Arbeitgeber eines Ratsmitgliedes mit in eine politische Diskussion zu ziehen, weil man mit der Meinung nicht leben kann, ist schon eine neue Dimension von Eskalation innerhalb von politischen Debatten.“ Persönliche und berufliche Existenzen dürften nicht zum Ziel politischer Auseinandersetzungen gemacht werden: Demokratie lebe von Meinungsfreiheit und nicht von Einschüchterung. Daher stünden sie hinter Fabian May und unterstützten ihn.
Nachrichten aus Herne – Lesen Sie auch:
Auch aus seiner Partei erfährt May breite Unterstützung. „Ich bin fassungslos. Das ist eine Grenzüberschreitung, die ich in meinen 26 Jahren in der Kommunalpolitik noch nie erlebt habe“, sagt Grünen-Fraktionsvorsitzender Thomas Reinke. Einen Mandatsträger bei seinem Arbeitgeber in einer anderen Stadt zu diffamieren und denunzieren, sei unglaublich. Solche Machenschaften seien in autoritären Systemen üblich, nicht aber in einer Demokratie. Dass die BI als eine auf demokratischer Grundlage agierende Initiative sich noch von Köhne und Schröder vertreten lasse, wundere ihn. Die Grünen hätten die Stadt und die Polizei über den Vorgang informiert, außerdem habe man sich juristischen Beistand genommen, so Reinke. Auf eine Anzeige würden sie aber verzichten.
„Ich bin fassungslos“: Grünen-Fraktionsvorsitzender Thomas Reinke sieht in dem Schreiben der BI eine Grenzüberschreitung.
© FUNKE Foto Services | Rainer Raffalski
Die Stadt und Oberbürgermeister Frank Dudda wollen sich auf Anfrage der WAZ nicht zu dem Fall äußern. Das muss nicht das letzte Wort gewesen sein. Auf Vorschlag von SPD, CDU, Grünen und FDP wird sich der „alte“ Rat am Dienstag, Oktober, in seiner letzten Sitzung mit dem „Sachstand Hallenbad Eickel“ befassen. Dabei soll auch der Brief der Bürgerinitiative an das Gauß-Gymnasium zur Sprache kommen. Auch Frank Dudda könnte dann in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Rates zu diesem Vorgang Stellung nehmen, so ist zu hören.
Die in Rats-TV auf herne.de gestreamte Ratssitzung beginnt um 16 Uhr im großen Sitzungssaal des Rathauses, Friedrich-Ebert-Platz 2.