26 Tage. Fast einen Monat brauchte Frankreichs neuer Premierminister Sébastien Lecornu, um sein Kabinett zusammenzustellen. Das ist schon sehr lang, wenn man die Liste der Namen studiert, die am Ende des Prozesses geboren wurde: Dreizehn Minister, so erfuhren die Franzosen am Sonntagabend aus dem Palais de l’Élysée, werden zurückgeführt – die hatten schon unter Lecornus Amtsvorgänger François Bayrou gedient. Und unter diesen dreizehn finden sich fast alle zentralen Ressortleiter der Regierung.

Neu besetzt werden nur zwei wichtige Posten. Finanz- und Wirtschaftsminister wird Roland Lescure, ein enger Vertrauter von Präsident Emmanuel Macron, Mitglied des eher linken Flügels des „Macronismus“, im Volk weitgehend unbekannt. Lescure ersetzt Éric Lombard. Neuer Verteidigungsminister wird völlig überraschend Bruno Le Maire, ein alter Bekannter, davor sieben Jahre Finanz- und Wirtschaftsminister; er ersetzt in diesem Amt den wegbeförderten Lecornu.

Sogar die eigenen Leute klagen über die Zusammensetzung der Regierung

Offenbar hatten Lecornu und Macron versucht, andere prominente Leute für ein Mittun in der Minderheitsregierung zu gewinnen. Doch mindestens zwei besonders von ihnen wiesen das Angebot zurück: Die ehemaligen Premierminister Gabriel Attal und Édouard Philippe, die sich wohl beide für Macrons Nachfolge bewerben werden, wollen nicht mit dem innenpolitisch zunehmend dekadenten Fin de règne des Präsidenten in Verbindung gebracht werden. Zumal es ein Rätsel ist, wie lange sich der 39-jährige ehemalige Konservative Lecornu wird halten können.

Im Parlament bringen es die Zentristen zusammen mit ihren Alliierten, den Républicains, auf etwa 210 Stimmen; für eine Mehrheit wären aber mindestens 289 nötig. Der neue Premier braucht also Hilfe von der Opposition, will er die nächsten Wochen und Monate politisch überleben. Womöglich gar die nächsten Tage. Und darum hatte Lecornu nach seiner Berufung mit viel bedeutendem Augenschlag beteuert, mit ihm werde alles anders werden – „nicht nur in der Methode, in der Form, sondern auch in der Substanz“. Das Casting für seine Regierung wirkt jetzt wie ein stures Beharren auf alten Positionen. Die Opposition – die Linke wie die extreme Rechte – halten das Kabinett für eine Provokation.

Selbst Bruno Retailleau, der alte und neue Innenminister und Chef der Republikaner, klagte über die Zusammensetzung der Regierung. Die spiegle den versprochenen Neuanfang nicht, sagte er. Er werde sich mit seiner Partei besprechen müssen.

Debattiert wird vor allem über die Personalie von Bruno Le Maire. Als der vor rund einem Jahr aus der französischen Regierung ausschied, der er unter verschiedenen Premiers seit Macrons Amtsbeginn 2017 angehört hatte, immer in derselben Funktion, hieß es, er zahle damit auch den Preis für die desaströsen Staatsfinanzen des Landes. In den sieben Jahren, in denen er „Bercy“ leitete, wie die französischen Medien das große Wirtschaftsministerium im gleichnamigen Pariser Stadtviertel nennen, waren die Schulden Frankreichs um etwa eine Billion Euro gestiegen. Natürlich war das nicht allein Le Maires Fehler: In Frankreich entscheidet schließlich immer noch der Präsident der Republik, wo die großen Geldflüsse hingelenkt werden.

Le Maire war nur dritte Wahl

Doch Le Maire, ein produktiver und auch mal romantischer Schriftsteller, des Deutschen so mächtig wie wohl kein anderer französischer Politiker, trug eine Mitverantwortung an der Entgleisung der Buchhaltung. Es hatte den Anschein, als ende da seine Karriere. Er wurde Professor in Lausanne, gab die Anstellung aber bald wieder auf, weil ihm von den Rängen der Studentenschaft viel Kritik entgegenschlug. Nun ist Le Maire unerwartet zurück. Er war zwar nur dritte Wahl für den Posten, aber immerhin sitzt er jetzt im Verteidigungsministerium, jenem Ministerium also, das nicht sparen muss, dessen Budget sogar deutlich aufgestockt wird. Es half, dass er Macron und Lecornu ungefähr gleich nahesteht.

Für die Opposition, die Sozialisten wie die Lepenisten, ist die Rückkehr Le Maires ein Beleg dafür, wie wenig Macron und seine Entourage das Land noch spürten.

Lecornu wird am Dienstag in der Nationalversammlung seine Regierungserklärung halten und dabei vor allem die großen Linien für das Budget skizzieren, an dem alles hängt. Es soll ein Sparbudget werden. Das erwartet man so in Brüssel und an den Finanzmärkten. Doch weder die Linke noch die extreme Rechte haben bei den Gesprächen mit dem Premier den Eindruck gewonnen, dass dieser zu maßgeblichen Kompromissen bereit ist, um ihre Gunst zu gewinnen – vor allem die Linke nicht. Die hatte auf eine Steuer für die „Superreichen“ im Land und ein Einfrieren der Rentenreform gedrängt. Doch Lecornu wies beides zurück, auf Geheiß des Chefs.

Emmanuel Macron will keinen Pfeiler seiner politischen Bilanz angetastet sehen. Die Frage ist nur, ob er sich das noch leisten kann. Stürzt auch Lecornu, sein fünfter Premier in zwei Jahren, wird sich alle Aufmerksamkeit auf ihn richten. Und vielleicht lässt sich die Blockade dann nur noch lösen, wenn der Präsident zurücktritt.