Cover, Viktor Schefé: "Zwei, drei blaue Augen"

Stand: 06.10.2025 06:00 Uhr

Der Schauspieler Victor Schefé wuchs in der DDR auf. Über seine Kindheit und Jugend und über seine Ausreise nach West-Berlin drei Jahre vor dem Mauerfall schreibt er nun in seinem ersten Roman „Zwei, drei blaue Augen“.

von Andrea Schwyzer

Tassilo ist ein neugieriger, cleverer und mitfühlender Junge. Zusammen mit seiner Mutter Loni wohnt er in einem Plattenbau in Rostock. Er sammelt Elefanten-Figuren, schreibt und liest gern. Schon in jungen Jahren unterhält er Brieffreundschaften, unter anderem mit der DDR-Leichtathletik-Legende Marita Koch. „Es gibt eine Masse an Briefen eines Neunjährigen, und der Zehnjährige hat angefangen Gedichte zu schreiben“, erzählt Victor Schefé. „Ich bin diesem Tassilo wahnsinnig dankbar, dass er alles aufgehoben und außer Landes geschleust hat, damit ich das jetzt benutzen kann.“

Schefé hat das historische Material, seine „Papierschätze“, wie er sagt, zu einem Collage-artigen Roman verwoben. Im Wesentlichen geht es um das Vertrauen in den angeborenen Freiheitsdrang. „Ich wurde teilweise mit Hundeleine am Warnemünder Strand spazieren geführt, weil ich einen großen Drang hatte, in die große, weite Welt hinauszuschwimmen.“

Der Schauspieler und Sänger Victor Schefé im Portrait

Schauspieler Victor Schefé ist in Rostock geboren und erinnert sich an seine Jugend in der DDR.

Der Sound der 80er

Schefés Roman ist auch eine Jukebox: Der Sound der 80er begleitet den Protagonisten auf seinem Weg vom Kind zum Mann. West-Musik wird ihm von Freunden zugespielt, er liebt aber auch die Songs von Holger Biege.

Aber nicht nur die Playlist im Anhang und die zitierten Liedtextzeilen geben dem Buch seinen Sound. Auch die Sprache klingt: energetisch, witzig, teils schnoddrig. Manche Sätze wirken wie hingeworfen:

Habe in der Hallen- und Freiluftsaison alle Hochsprungwettbewerbe gewonnen, doch schon bei den Bezirksmeisterschaften konnte ich nur noch mit halbem Anlauf springen. Der Adduktor fing wieder zu muckern an. (…) Aus lauter Wut über die Verletzung hab‘ ich mir die Haare abgefatzt, also nicht ganz, aber echt kurz. Gondele nun humpelnd durchs Land. Am liebsten per Anhalter, weil am billigsten.

Leseprobe

Dieses schmissige Erzählen wird immer wieder von Berichten der Staatssicherheit durchbrochen, abgedruckt im Original.

„Zwei, drei blaue Augen“: Ein Zeitzeugnis in Romanform

Irgendwann wird Tassilo klar, dass er verfolgt wird. Als er zum ersten mehrstündigen Verhör abgeholt wird, fließen Informationen, die nur seine Mutter kennt. Zu lesen, wie Mutter und Sohn eine vertraute Einheit bilden, sie ihn dann aber aus Sorge um seine Gesinnung an die Stasi verrät, schmerzt. Trost spendet die unbändige Freude, die Tassilo empfindet, als sein Antrag durchgeht: Er darf nach West-Berlin ausreisen. Es ist der 22. November 1986: „Marlene Dietrichs Lied ‚Wer wird denn weinen, wenn man auseinander geht‘ habe ich mit dem merkwürdigen Humor, den Tassilo auch hat, zum Abschied meinen Freunden an besagtem 22.11. am Tränenpalast gesungen. Die fanden das gar nicht lustig, aber ich konnte mir nicht helfen.“

Dieser Humor, die Wortspielereien, die fast schon naiv offenbarte Ehrlichkeit Tassilos, kontrastiert mit der spießerhaften und perfiden Sprache der Staatssicherheit, machen die Zerrissenheit eines freigeistlichen Heranwachsens in der DDR erlebbar. Ein Zeitzeugnis in Romanform gegossen. Ein bisschen Ausdauer braucht es allerdings: Auf den 470 Seiten kommen viele Briefe, Stasi-Berichte und Tagebucheinträge zusammen. Die Auswahl muss schwergefallen sein. Dennoch: Dies ist ein energetisches und auch feinfühliges, ein lebendiges Buch – so leuchtend wie die blauen Augen des Autors.

Das NDR Buch des Monats im Programm

Die NDR Kultur Redaktionen von Radio, Fernsehen und Online wählen jeden Monat ein belletristisches Buch aus, das besonders gut zu Norddeutschland passt. NDR Kultur sendet die Rezension am 6. Oktober 2025 um 12.40 Uhr und NDR Info um 15 Uhr. Im Kulturjournal des NDR Fernsehens ist der Beitrag auch am 6. Oktober 2025 um 22.45 Uhr zu sehen.

Cover, Viktor Schefé: "Zwei, drei blaue Augen"

Zwei, drei blaue Augen

von Victor Schefé

Seitenzahl:
472 Seiten
Genre:
Roman
Verlag:
dtv
ISBN:
978-3-423-28514-8
Preis:
26 €

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Romane