Influenza ist mit einer Vielzahl respiratorischer und nicht-respiratorischer Komplikationen verbunden. Neben Pneumonie und Myokarditis gehören auch neurologische Manifestationen zum Spektrum der Erkrankung. Besonders schwerwiegend ist die akute nekrotisierende Enzephalopathie (ANE), die seit den späten 1970er-Jahren zunächst in Japan beschrieben wurde und seither sporadisch weltweit dokumentiert ist. Charakteristisch sind akute neurologische Verschlechterung mit radiologischen Nachweisen bilateraler thalamischer Läsionen.
Nationale Erhebung zu Influenza-assoziierter ANE in den USA
Ausgehend von klinischen Berichten über eine Zunahme pädiatrischer ANE-Fälle in den Influenzasaisons 2023/2024 und 2024/2025 initiierte eine US-amerikanische Arbeitsgruppe eine multizentrische Untersuchung, deren Ergebnisse in ‚JAMA‚ publiziert wurden. Die Studie umfasste Kinder und Jugendliche bis 21 Jahre mit akuter Enzephalopathie, laborbestätigter Influenza und thalamischen Läsionen in der Bildgebung.
Hoher Anteil gesunder Kinder mit schweren neurologischen Befunden
Über Fachgesellschaften, Gesundheitsbehörden und direkte Anfragen an 76 akademische Zentren wurden zwischen Oktober 2023 und Mai 2025 insgesamt 58 Fälle aus 23 Kliniken erfasst, von denen 41 die Einschlusskriterien erfüllten. Das mediane Alter lag bei fünf Jahren. 76 % der Kinder waren zuvor gesund, 12 % hatten komplexe Vorerkrankungen.
Häufige Symptome waren Fieber (93 %), Enzephalopathie (100 %) und Krampfanfälle (68 %). Laborchemisch zeigten sich erhöhte Leberenzyme (78 %), Thrombozytopenie (63 %) und erhöhte Liquorproteinspiegel (63 %). Bei 32 Patienten erfolgte eine genetische Testung, wobei bei 47 % Risikovarianten identifiziert wurden. Darunter fanden sich bei 34 % Mutationen im RANBP2-Gen, das ein Kernporenprotein kodiert und seit längerem mit einer genetischen Prädisposition für ANE beschrieben ist.
Überwiegend Influenza A, Impfschutz nur bei wenigen Kindern dokumentiert
Bei 95 % der Kinder wurde Influenza A nachgewiesen, am häufigsten die H1N1pdm09-Variante. Influenza B trat in zwei Fällen auf. Von 38 Patienten mit dokumentiertem Impfstatus hatten lediglich 16 % eine altersgerechte saisonale Grippeimpfung erhalten.
Hohe Sterblichkeit trotz intensiver immunmodulatorischer Therapie
Die meisten Patienten erhielten kombinierte immunmodulatorische Behandlungen, insbesondere Methylprednisolon (95 %), intravenöse Immunglobuline (66 %), Tocilizumab (51 %), Plasmapherese (32 %), Anakinra (5 %) sowie intrathekales Methylprednisolon (5 %).
Die mediane Aufenthaltsdauer betrug elf Tage auf der Intensivstation und 22 Tage im Krankenhaus. Elf Kinder (27 %) verstarben im Median drei Tage nach Symptombeginn, überwiegend infolge einer Hirnherniation. Von den Überlebenden wiesen 63 % nach 90 Tagen eine moderate bis schwere Behinderung auf.
Forderung nach konsequenter Impfung und frühzeitiger Intensivtherapie
In einem begleitenden Editorial betonte Timothy M. Uyeki, Chief Medical Officer der Influenza-Division am National Center for Immunization and Respiratory Diseases des U.S. Centers for Disease Control and Prevention (CDC) in Atlanta, die außergewöhnliche Schwere der Erkrankung und hob den dringenden Bedarf an klinischen Standards für Diagnostik und Therapie sowie an einer nationalen Surveillance hervor. Zudem erinnerte er an die Empfehlung zur jährlichen Influenzaimpfung für alle Kinder ab sechs Monaten in den USA.
Im Gegensatz dazu empfiehlt die Ständige Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut (RKI) die saisonale Influenzaimpfung in Deutschland nicht für gesunde Kinder, sondern nur für Kinder ab sechs Monaten mit erhöhtem Risiko aufgrund bestimmter Vorerkrankungen – etwa chronische Atemwegserkrankungen wie Asthma oder Mukoviszidose sowie andere ernsthafte Grunderkrankungen.
Die hohe Sterblichkeit und die häufigen bleibenden Behinderungen unterstreichen die Notwendigkeit präventiver Maßnahmen, insbesondere einer konsequenten Influenzaimpfung, sowie einer frühzeitigen, intensivmedizinisch gestützten Therapie.
Fazit: Früherkennung, Intensivtherapie und Prävention entscheidend
Die Fallserie weist bei überwiegend zuvor gesunden Kindern eine hohe Mortalität und Morbidität der Influenza-assoziierten ANE aus. Die Autoren heben Prävention, frühzeitige Erkennung, intensive Behandlung und standardisierte Managementprotokolle als zentrale Erfordernisse hervor; das Editorial unterstreicht zusätzlich den Bedarf an epidemiologischer Überwachung und Leitlinien. Eine spezifische Schutzwirkung der Influenzaimpfung gegen ANE ist nicht belegt; gesichert ist jedoch ihr Nutzen zur Vorbeugung von Influenza insgesamt.