Ja, was machen sie denn da
bloß alle? Angela Merkel, Olaf Scholz, Annalena Baerbock, Christian Lindner –
und auch Robert Habeck. Also all jene, die uns in den vergangenen Jahren das
eingebrockt haben, woran das Land jetzt laboriert: eine umfassende Krise, nebst
Selbstgefährdung unserer Demokratie. Wobei „eingebrockt“ natürlich ein
ungerechter Begriff ist, schließlich war nicht alles falsch und schlecht,
außerdem waren sie nicht allein, als Deutschland ökonomisch, ökologisch,
sicherheitspolitisch und mental vom Weg abkam. An vorderster Stelle standen sie
allerdings schon.
Was also machen sie alle, was
tragen sie dazu bei, dass dieses Land aus den – im Nachhinein gesehen – vielen
und schweren Fehlern lernt? Sie machen Verschiedenes, manche reden, manche
schweigen, manche betingeln Talkshows. Und einer geht zum Denken ins Theater,
mit sich selbst auf der Bühne. Alle machen jedoch irgendwie auch dasselbe: Sie
verweigern bislang die volle intellektuelle und moralische Anstrengung, die es
bedeuten würde, ihren Anteil an der Krise zu durchdringen. Deutschland ist
zurzeit gefangen in einer Tragödie – aber es will partout niemand Tragödienfigur
sein. Im Gegenteil, sie alle haben oder mimen gute Laune und scheinen, als summten
sie sinatrahaft „I did it my way“ vor sich hin. Angeblich sind sie mit sich im
Reinen. Na toll, und was ist mit uns politisch Hinterbliebenen? Sollen wir
jetzt ganz allein das austragen, was es da alles zu lernen und zu trauern gibt?
Mal ganz abgesehen von den materiellen Folgen von zu wenig Streit (Merkel) und
zu viel (Ampel).
Den Stil vorgegeben hat
Angela Merkel. Ihre Ende 2024 erschienene Biografie ist vielfältig und
passagenweise interessant. Zugleich ist sie am entscheidenden Punkt luftdicht
gegen die Gegenwart und uns Zeitgenossen abgeschlossen. Auf fast jeder Seite
wird mit unendlicher Detailtiefe nachgewiesen, dass das, was Merkel getan hat,
exakt das war, was auch möglich war, alles, was schiefgegangen ist, musste
auch schiefgehen. Das ist schon eine ziemlich harsche Botschaft an eine
Gesellschaft, die gerade mit allen Mitteln versucht, die Tür zum
Möglichkeitsraum wieder aufzustoßen.
© Lea Dohle
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Dabei läge Hoffnung für die
Zukunft ja gerade in den Klüften der Vergangenheit, da wo falsch entschieden
wurde, könnte heute richtig entschieden werden. Da, wo die Wirklichkeit hinter
den Möglichkeiten zurückgeblieben ist, da könnte der Keim von Utopie liegen. Da, wo man sich an falsche Faustregeln gehalten hat, da könnten diese Regeln über
den Haufen geworfen werden. Da, wo bestimmte Annahmen über das Volk zu den
Fehlentwicklungen – auch denen im Verhältnis von Politik und Volk – beigetragen
haben, könnte das Verhältnis zwischen Regierenden und Regierten neu aufgebaut
werden.
Was lief da eigentlich schief?
Angela Merkel gibt zwar beiläufig
ein paar Fehler zu, das ist es dann aber auch. Nur, wenn ihre zentrale These
stimmt, dass sie nämlich fast nie anders handeln konnte, und sich gleichzeitig die
Ergebnisse ihres Handelns auf den meisten Politikfeldern jeden Tag als immer
problematischer erweisen, dann hatten ihre 16 Jahre Kanzlerschaft eben auch
etwas Verhängnisvolles. Statt einer Auseinandersetzung damit sprudelt Angela
Merkel Anekdoten und gute Laune, zusätzlich hat sie sich jetzt noch eine neue
Fanfare zugelegt, und die lautet: „Wenn’s hilft, dann war ich eben schuld“,
siehe zum Beispiel aktuell im Spiegel. Das ist natürlich das Gegenteil eines
Eingeständnisses von Schuld, es ist eine überlegene Geste gegenüber dem
Publikum, das es in seinem kindlichen Unverstand nötig hat, nach einer
Schuldigen zu suchen. Dabei geht es bei all dem ja gar nicht um Schuld, sondern
um die produktive und kreative Kraft von Fehlern, um tiefere Einsicht.
Fröhlich pfeifend geriert
sich auch Annalena Baerbock. Das kleine Sex-and-the-City-artige Video, das
sie bei Instagram der Welt und den Daheimgebliebenen präsentierte, zeigte nur
eines: Ich hab’s geschafft, New York, einen Cream-Cheese-Bagel und ein Taxi bitte!
Und hören wir da schon wieder leise Sinatra, „if I can make it here, I can make
it anywhere“? Feministische Außenpolitik
perdu, Regierung verloren, Grüne in der Krise. War was?
Christian Lindner und Olaf
Scholz haben bisher öffentlich geschwiegen, lassen aber beide wissen, dass es
ihnen gut geht. Was privat betrachtet natürlich erfreulich ist, politisch
gesehen aber vielleicht etwas seltsam. Olaf Scholz hat seine Kanzlerschaft in
den Sand gesetzt und Christian Lindner seine Partei. Da stellen sich doch ein
paar Fragen. Scholz will sich dem Vernehmen nach demnächst mal äußern. Schön. Dass
nun gerade er als Ehemaliger aus dem Gefängnis seiner Rechthaberei ausbrechen
wird, darauf sollte man keine zu großen Hoffnungen setzen. Wo es doch schon
Merkel nicht gelingt, von der man es anders erwartet hätte.
Etwas anders verhält sich die
ganze Vergangenheitssache bei Robert Habeck. Bei ihm handelt es sich tatsächlich
sogar um zwei Tragödien, die ineinander verschachtelt sind. Für ihn fing ja
alles damit an, dass er den richtigen Wahlkampf zur richtigen Zeit nicht führen
durfte, weil Annalena Baerbock ihn ausgebootet hatte. Vier Jahre später wurde er
dann doch Spitzenkandidat, machte seinen richtigen Wahlkampf, nur war die
Zeit darüber hinweggegangen, die Grünen waren anders als 2021 nicht mehr everybody’s
darling, sondern Zielscheibe aller anderen Parteien. Habeck gelang es dann
nicht, seinen Wahlkampf der neuen Lage anzupassen – und er verlor. Und weil er
seine Strategie mit seinem Charakter verwechselte, nahm er dann alles sehr
persönlich. Sein Satz „das Angebot war gut, nur an der Nachfrage hat es
gemangelt“ ist genauso hermetisch und verschnupft wie Merkels „dann war ich
halt schuld“.
Hinzu kommt, dass das
Scheitern der Ampel in der Öffentlichkeit nicht als das wahrgenommen wurde, was
es war: eine Tragödie. Dabei war die Konstellation so verheißungsvoll. Das
grün-gelbe Selfie der Neukoalitionäre aus der Anfangszeit signalisierte ja
etwas sehr Schönes: dass der Kulturkampf innerhalb des liberalen Bürgertums
zugunsten einer mutigen und technokratischen Transformation beigelegt werden könne.
Jetzt aber ist fatalerweise nur noch eine einzige Koalition der Mitte übrig, sie
wirkt wie der letzte Versuch.
Da ist er wieder: Habeck am Mikrofon
Und so steht dann Robert Habeck an diesem Wochenende nun als Moderator auf der Theaterbühne des Berliner
Ensembles, es ist der Auftakt seiner Gesprächsreihe mit wechselnden Gästen, er lächelt
etwas angestrengt. Es ist Sonntag, und es ist Arbeit. Für ihn, für seine Gäste, die
Moderatorin Anne Will und den doppelt ehemaligen FDP-Minister Volker Wissing,
und ein bisschen auch für das Publikum, obwohl es zwischendurch schon sehr auf
seine Kosten kommt. Etwas anstrengend ist die Angelegenheit deswegen, weil eine
Tragödie im Raum ist, ohne wirklich aufgeführt zu werden. Es vergeht eine
Stunde, in der klug über Podcasts, Talkshows und soziale Medien geredet wird,
bis es dann Anne Will ist, die den Vorhang zerreißt. „Ich sitze hier mit zwei
Ministern einer Regierung, die vorzeitig gescheitert ist. Mir fehlt ein
bisschen die Ernsthaftigkeit.“ Da hatte sie ganz recht, Volker Wissing, der
kürzlich seinen Ministerposten verloren hat und obendrein seine Partei, ist
auch schon wieder ganz mit sich im Reinen.
Robert Habeck wiederum
lieferte, wie mit all seinen Auftritten seit der Bundestagswahl, ein
verstörendes und widersprüchliches Bild ab, was man ihm hoch anrechnen muss,
weil er als Einziger durchscheinen lässt, wie sehr ihn das alles schüttelt. Der
Mann, der noch Brücken bauen wollte, als die schon brannten, gönnte sich bei
seinem Abgang als Politiker einige Pöbeleien gegen Markus Söder und Julia
Klöckner. Er kehrt der Politik den Rücken und verbleibt dennoch im politischen
Raum.
Und an diesem Nachmittag im
BE fragt er seine Mitstreiter auf der Bühne zweimal, ob die Demokratie nicht
dadurch wieder gestärkt werden müsse, dass man die äußere Bedrohung entschiedener
betont. Kann sein, aber ist das wirklich Habeck? Der Mutmacher als Angstmacher,
Widerspruch an Widerspruch. Aber vielleicht kann sich das Theaterpublikum mit
Habecks Widersprüchen mehr identifizieren als mit der gepressten Fröhlichkeit
und dem beharrlichen Schweigen seiner Kolleginnen und Kollegen.
Habeck hatte eingangs auf der
Bühne gesagt, man wolle mit seiner neuen Veranstaltungsreihe zeigen, dass es
möglich ist, „ein ganz normales Gespräch zu führen“. Nur ist halt nichts
normal. Das Scheitern der Ampel ist nicht normal, die tragische Rolle des
Gastgebers Habeck ist nicht normal, und die Lage der Welt und des Landes ist
alles andere als normal.
Nächster Habeck-Nachmittag am
Berliner Ensemble ist Ende November. Das Ensemble der Ampeltragödie hält
reichlich Gäste für ein echtes Gespräch über eine echte Tragödie bereit.