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„Spezielle Mittel“ für „wichtige Ziele“ droht Kim Jong-un an: Gemeint sind die Hwasong-11Ma und Südkorea. Womöglich wird aber erst die Ukraine leiden.

Pjöngjang – „Das Gesamtkonzept ist auf taktische und operative Einsätze abgestimmt. Typische Ziele sind Start- und Landebahnen, Depots, Kommandoposten sowie kritische Batterien und Sensoren“, schreibt Army Recognition. Das Magazin beschreibt die ballistische Kurzstreckenrakete vom Typ Hwasong-11Ma, die jetzt in Kim Jong-uns Hauptstadt auf einer Rüstungsmesse vorgestellt worden ist. Die Waffe soll das Zeug haben, US-amerikanische Patriots oder THAADs (Terminal High Altitude Area Defense) in Südkorea auszukontern und könnte Wladimir Putins Ass im Ärmel im Ukraine-Krieg darstellen.

Der nordkoreanische Führer Kim Jong Un schreitet vorbei an Raketen bei der Militärausstellung „Defence Development 2025“.Visuelle Botschaft an die USA und Seoul: Der nordkoreanische Führer Kim Jong Un bei der Eröffnungszeremonie der Militärausstellung „Defence Development 2025“ in Pjöngjang. Dort wurde auch die neue Kurzstreckenrakete mit einem gleitflugfähigen Kopf vorgestellt. © KCNA via KNS/AFP

Nordkoreas Diktator hat aber vor allem eigene Ziele: „Der nordkoreanische Machthaber Kim Jong-un gab auf einer Ausstellung der Rüstungsindustrie bekannt, dass das Land ,spezielle Mittel‘ für ,wichtige Ziele‘ auf der koreanischen Halbinsel bereitgestellt habe und erklärte, es sei im Falle eines Konflikts bereit, südkoreanisches Territorium anzugreifen“, schreibt Yang Ji-ho. Mit der Intensivierung des US-Militäraufmarsches in Südkorea habe auch „unser strategisches Interesse an der Region zugenommen“, zitiert der Autor des südkoreanischen Mediums The Chosun Daily den nordkoreanischen Diktator. Deshalb könnte der Ukraine-Krieg für Pjöngjang die Generalprobe für die Tauglichkeit seiner neuen Rakete bedeuten. Die Hwasong-11Ma gehöre zur KN-23/Hwasong-11-Familie, erläutert Army Recognition.

Patriots bekommen Probleme: Eine niedrigere Flugbahn verkürzt den Radarhorizont und die Reaktionszeit

Sie ähnele damit den russischen Iskander-Raketen, und soll Reichweiten ermöglichen zwischen 600 und 800 Kilometern – das läge nahe dem oberen Rand von Short-Range Ballistic Missiles (SRBM), so Army Recognition. Damit nicht genug: Die Hwasong-11Ma sei darauf optimiert, der Luftabwehr das Leben zu erschweren: Den Unterschied mache der Sprengkopf, der an eine Gleitbombe erinnere und der mit mehr als fünffacher Schallgeschwindigkeit fliegen können soll, schreibt das Magazin: „Wenn sich der Gleitkörper nahe dem Höhepunkt der Startphase sauber ablöst, kann er einen flachen Winkel einnehmen und in dichterer Luft mit Hyperschallgeschwindigkeit fliegen. […] Eine niedrigere Flugbahn verkürzt den Radarhorizont und die Reaktionszeit. Sanfte S-Kurven oder Höhenänderungen erschweren die Vorhersage und verschlechtern die Abfangjäger-Voraussagen.“

„Die Anfang Oktober vorgestellte Hwasong-11Ma basiert auf dem gleichen technischen Rückgrat wie die KN-23 und soll durch eine gleitende Frontsektion das Einsatzfenster des Verteidigers weiter verkürzen. Für regionale Planer bedeutet dies, Frühwarnsensoren anzupassen, die Abfangsequenzen zu überprüfen und koordinierte Salven anstelle isolierter Starts zu antizipieren.“ 

Zu allem Übel ist Russland auf diese Waffe angewiesen – davon jedenfalls geht Oleh Aleksandrov aus: „Nordkorea deckt derzeit 35 bis 50 Prozent des russischen Munitionsbedarfs“, äußert der Offizier des ukrainischen Auslandsgeheimdienstes (SZRU) gegenüber der ukrainischen Nachrichtenagentur Ukrinform. „Er wies darauf hin, dass Pjöngjang bereits Raketenwerfer und Raketen für ballistische Kurzstreckenraketen vom Typ KN-23 und KN-24 an Russland geliefert habe“, ergänzt United24. Laut dem ukrainischen Nachrichtenportal vermutet Aleksandrov, dass Nordkorea für die Lieferung der Hardware wichtige Informationen über deren Defizite im Fronteinsatz erhält und ausbügelt. Da die neue Rakete auf bewährten Plattformen fußt, gilt das Interesse offenbar der seitlichen Manövrierfähigkeit während der Gleitphase, weil die gegnerische Luftabwehr zu schneller Reaktion dieses schwer zu erfassenden Zieles zwingt.

Nordkorea – Kim Jong-uns abgeschottete DiktaturEin nordkoreanischer Raketenstart. Der nordkoreanische Machthaber Kim Jong Un reitet auf einem weißen Pferd. Kim Il-Sung 1992Fotostrecke ansehen

„Durch paarweises Feuern oder dichte Salven soll Druck auf die Verteidigungsschichten ausgeübt werden“, schreibt Army Recognition über die zu erwartenden Einsatz-Szenarien. Das heißt: Erstens sind möglicherweise die von den USA in Aussicht gestellten Tomahawk-Batterien gefährdet, zweitens sollen die Luftabwehr-Kapazitäten erschöpft werden. Das Magazin nennt die gleichermaßen in Südkorea sowie in den USA genutzten „Patriot PAC-3 zur Punktverteidigung, Marine-Aegis-BMD in bestimmten Szenarien und THAAD in größeren Höhen“. Man geht davon aus, dass die neue nordkoreanische Waffe die optimalen Einsatzhöhen der Luftabwehr unterfliegen oder deren Sensorik zu verfrühten Schüssen verführen könnte. Beides würde die Luftabwehr an ihre Kapazitätsgrenzen führen beziehungsweise die Abschussrampen für Angriffswaffen Gefahren aussetzen.

Kims Messe sendet klare Warnung: „dass es besser wäre, sich von den US-Militärstrategien fernzuhalten“

Allerdings liegen die Tomahawk-Stellungen mit ihrer potenziellen Reichweite von 2500 Kilometern oder darüber möglicherweise außerhalb der Reichweite der nordkoreanischen Waffe. Dennoch dürfte gerade diese Bedrohung für Putin die gefährlichste darstellen – entsprechend erbost hatte er reagiert auf die Ankündigung der USA, diese Waffen letztendlich wohl doch liefern zu wollen. Laut der Nachrichtenagentur Reuters habe Russland erklärt, wichtig sei, ob die USA auch die Zieldaten für den Abschuss der Tomahawks zur Verfügung stellen wollten. „Die Frage ist nach wie vor: Wer kann diese Raketen abfeuern? Können nur die Ukrainer sie abfeuern oder müssen das amerikanische Soldaten tun?“, habe Kremlsprecher Dmitri Peskow gefragt. „Wer bestimmt die Zielrichtung dieser Raketen? Die amerikanische Seite oder die Ukrainer selbst?“

Reuters zufolge wolle Russland das genau prüfen; Peskow habe aber klargemacht, dass nach russischer Ansicht auch diese Waffe außerstande sei, eine Wende zu bringen. Umgekehrt: Ist die Hwasong-11Ma imstande, eine wodurch auch immer geartete Wende abzuwenden? Offenbar ist das für Kim Jong-un ein zweitrangiges Ziel. Park Chan-kyong hält die Rüstungsmesse „Defense Development-2025“ für eine visuelle Warnung an seine Erzfeinde: „Es ist auch eine Botschaft an die Regierung von Lee Jae-myung [in Südkorea], dass es besser wäre, sich von den US-Militärstrategien fernzuhalten und die feindlichen Aktivitäten gegen den Norden einzustellen“, schreibt der Autor der South China Morning Post.

Für Trump das alte Spiel: Die neuen Waffen folgen der gewohnten offensiven Außenpolitik

Allerdings müsse die unter den gegebenen Umständen eher ausgebaut werden, behauptet Choong-Koo Lee. Im Magazin War on the Rocks macht er aktuell klar, dass eine Entwicklung wie die Hwasong-11Ma dazu zwinge, Kims Aktionsradius einzuschränken: „Als Reaktion darauf sollte sich das Bündnis zwischen den USA und Südkorea darauf vorbereiten, künftige nordkoreanische Provokationen in verschiedenen Bereichen, insbesondere bei Boden- und Luftoperationen, zu verhindern.“ Die Abschreckung beginne jetzt, wo der Ukraine-Krieg noch läuft, und Kim beschäftigt ist. Nach Abklingen der Kampfhandlungen seines Verbündeten Wladimir Putin kann sich der nordkoreanische Diktator zu eskalierenden Schritten mutig genug fühlen.

„Mit dem Ausklingen des russisch-ukrainischen Krieges wird Nordkorea voraussichtlich modernere Raketen und Artilleriegeschosse mit verbesserter Produktionskapazität erhalten und gleichzeitig seine Kampfflugzeuge mit der während des Krieges gesicherten russischen Militärunterstützung verbessern“, schreibt Choong-Koo Lee. Ein Dorn im Auge des nordkoreanischen Präsidenten ist die ständige Präsenz von US-Truppen in Südkorea in der Größenordnung von fast 30.000 Kräften. Der britische Independent erinnert an eine gemeinsame Militärübung von südkoreanischen und US-amerikanischen Truppen, die kurz vor der jetzigen Rüstungsmesse stattgefunden hatte. „Der Feind […] wird sich Gedanken darüber machen müssen, in welche Richtung sich sein Sicherheitsumfeld entwickelt“, zitiert der Independent Kim im Rahmen der Vorstellung der neuen Hyperschall-Rakete.

Nach Äußerungen von Wladimir Putin wollen offenbar zwei Nebendarsteller der Weltgeschichte ihren Platz auf der großen Bühne freikämpfen; laut Newsweek hat Putin die Schuldzuweisung für den Ukraine-Krieg an die NATO auch auf Ost-Asien projiziert – zum Nachteil seines politischen Intimus Kim Jong-un: „Sie haben uns einfach zu einer Reaktion gezwungen. In diesem Sinne haben sie erreicht, was sie wollten. Mir scheint, dasselbe passiert in Asien, auf der koreanischen Halbinsel“, habe Putin gesagt. Die neuen Waffen folgen der gewohnten offensiven Außenpolitik, mit der Kim seit Jahren die Welt provoziert – allen Sanktionen zum Trotz. Das verleiht dem politischen Theaterdonner aus Pjöngjang zumindest etwas Verlässlichkeit und Vorhersehbarkeit – was jetzt auch für die gleitfähigen Sprengköpfe gilt, wie Army Recognition zusammenfasst.

„Die Anfang Oktober vorgestellte Hwasong-11Ma basiert auf dem gleichen technischen Rückgrat wie die KN-23 und soll durch eine gleitende Frontsektion das Einsatzfenster des Verteidigers weiter verkürzen. Für regionale Planer bedeutet dies, Frühwarnsensoren anzupassen, die Abfangsequenzen zu überprüfen und koordinierte Salven anstelle isolierter Starts zu antizipieren.“ (Quellen: Reuters, Ukrinform, Army Recognition, The Chosun Daily, United24, South China Morning Post, War on the Rocks, The Independent, Newsweek) (hz)