Finanzinstitute leiden bekanntermaßen nicht an einer Unterregulierung. Banken, die bereits der ­Institutsvergütungsverordnung (IVV) unterliegen, ­haben den Vorteil, dass sie schon einige Schritte weiter in Richtung EU-Entgelttransparenzrichtlinie sind als andere Unternehmen. Jedoch sind auch sie noch nicht am Ziel, wie Lisa Marie Schmedding, Head of Performance & Reward bei der ING Deutschland, im Gespräch mit COMP & BEN berichtet.

COMP & BEN: Frau Schmedding, als Sie die EU-Entgelttransparenzrichtlinie das erste Mal gelesen haben, war Ihnen da unmittelbar klar, welche Auswirkungen die Direktive für Ihr Finanzinstitut hat und welche Arbeit auf Sie zukommt?

Lisa Marie Schmedding,
Head of Performance &
Reward, Human Resources,
ING Deutschland

Lisa Marie Schmedding: Mein Ersteindruck war positiv: Ich habe mich über die Initiative gefreut und halte die Richtlinie im Kern für gut und richtig. Auch die europaweite Einheitlichkeit ist ein angebrachter Schritt. Eine faire, geschlechtergerechte Bezahlung darf nicht länger aufgeschoben werden. Ich bin überzeugt davon, dass hierfür klare Regelungen notwendig sind, um den Druck zu erhöhen und dauerhaft nachhaltig Erfolge zu produzieren. Gleichzeitig wurde mir sofort bewusst, dass die Umsetzung einen erheblichen Aufwand produziert: von systematischen Analysen bis hin zu Berichtspflichten, von strategischen Maßnahmen bis hin zur Kommunikation auf allen Ebenen.

Gibt es weitere Herausforderungen?

Ja. Es ist auch für einen internationalen Konzern wie die ING eine große Herausforderung, die Daten zusammenzustellen – selbst wenn Banken schon eine große Dichte diverser Regularien und erforderlicher Dokumentationen gewohnt sind.

Geschlechtsneutrale Vergütung kennen Banken schon aus der Institutsvergütungsverordnung.

Richtig. Wir haben uns in der Vergangenheit ohnehin mit gendergerechter Vergütung auseinandergesetzt, da die IVV spezifische Anforderungen an Vergütungssysteme von Finanzinstituten stellt. Sie müssen so ausgestaltet sein, dass eine Benachteiligung wegen des Geschlechts ausgeschlossen ist. Die ING erfüllt die formellen Erwartungen der Aufsichtsbehörde und kann geschlechtsneutrale Vergütungssysteme vorweisen, die in regelmäßigen Abständen überprüft werden. Daher erwischt uns die Entgelttransparenzrichtlinie, die auf die Förderung der Entgeltgleichheit zwischen Männern und Frauen bei gleicher Arbeit abzielt, nicht unvorbereitet.

Info

Über das Unternehmen

Mit über zehn Millionen Kundinnen und Kunden ist ING Deutschland die drittgrößte Bank in Deutschland. Ihre Kernprodukte sind Girokonten, Baufinanzierungen, Spargelder, Verbraucherkredite und Wertpapiere. Das Geschäftskundensegment Business Banking richtet sich an kleine und mittlere Unternehmen sowie Selbstständige. Im Bereich Wholesale Banking bietet die Bank Dienstleistungen für große internationale Unternehmen an. Das Finanzinstitut hat etwa 5000 Mitarbeitende. Sein Hauptsitz ist in Frankfurt am Main.

Wo stehen Sie aktuell in der Umsetzung der EU-Richtlinie?

Wir haben den Vorteil, dass wir 2021 unternehmensweit ein einheitliches Grading-System eingeführt haben. Es wurde in einem mehrjährigen Projekt entwickelt, ist international anwendbar und wird permanent nachgeschärft. Das Stellen­bewertungssystem bildet eine sehr gute Basis für die Umsetzung der EU-Richtlinie. Trotzdem haben wir noch einiges zu tun. 2021 haben wir gemeinsam mit unseren globalen Kollegen begonnen, ein internes Dashboard zu entwickeln, um die Gender-Pay-Gaps – bereinigt und unbereinigt – zu ermitteln sowie eine detaillierte jährliche Equal-Pay-for-Equal-Work-Analyse zu erheben.

Wir sind überzeugt, dass
wir nur durch langfristige
personalpolitische
Maßnahmen
eine Schließung
der Gender-Pay-
Gaps erreichen können.“

Welche Daten erheben Sie dabei?

Bei dieser Analyse schauen wir auf spezifische Jobs sowie auf die Gehaltsstrukturen und ermitteln, ob wir Ausreißer in bestimmen Jobprofilen haben. Diese prüfen wir gesondert und passen sie ­gegebenenfalls an. Die frühzeitige Beschäftigung mit der Thematik hat uns einerseits geholfen, die ­Methoden weiter zu verbessern. Andererseits konnten wir die Ergebnisse analysieren und schon mal Erkenntnisse gewinnen, bevor wir den ersten Reporting-Verpflichtungen nachkommen mussten. Zum Beispiel, ob und wo es Ungleichheiten bei der Entlohnung von Frauen und Männern gibt. Daher sind wir gut vor­bereitet auf die nationale Umsetzung.

Welcher Gender-Pay-Gap wurde bei den ersten Analysen festgestellt?

Beim bereinigten Gap liegen wir bei unter fünf Prozent, also unter der kritischen Grenze, bei der nach der aktuellen Fassung der EU-Direktive eine gemeinsame Entgeltbewertung mit der Arbeitnehmervertretung erforderlich ist. Wir haben uns aber trotzdem angeschaut, welche Gründe die Gehaltsunterschiede haben, und leiten daraus interne Maßnahmen ab. Karrieren von Frauen bis zum ­Senior-Management zu fördern ist beispielsweise eine der wesentlichen Maßnahmen.

Info

Was sind die Unterschiede zwischen IVV und EU-Entgelttransparenzrichtlinie?

Die Institutsvergütungsverordnung (IVV) enthält keine ausdrückliche Regelung zur Vermeidung des Gender-Pay-Gaps, wohl aber eine indirekte. Sie definiert Mindestanforderungen an Vergütungssysteme von Finanzinstituten, um übermäßige Risikobereitschaft zu verhindern. Zwar sind Banken und Finanzinstitute verpflichtet, ihre Vergütungspolitik diskriminierungsfrei zu gestalten, aber diese Vorgabe dient in erster Linie der Bankenaufsicht.

Im Hinblick auf geschlechtsneutrale Vergütung bestehen Überschneidungen zwischen der IVV und der EU-Entgelttransparenzrichtlinie, doch beide verfolgen verschiedene Zielsetzungen und wenden verschiedene methodische Vorgehensweisen an. Die IVV schreibt keine formale Stellenbewertung vor. Finanzinstitute müssen lediglich sicherstellen, dass ihre Ver­gütungssysteme diskriminierungsfrei sind. Wie dieser Nachweis erfolgt, bleibt ihnen überlassen.

Die EU-Richtlinie geht weiter als die IVV: Der Grundsatz „gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit“ ist rechtlich durchsetzbar; sie verschafft Beschäftigten einklagbare Rechte. Arbeitgeber sind verpflichtet, objektive und geschlechtsneutrale ­Kriterien zur Tätigkeitsbewertung heranzuziehen, um Vergleichbarkeit und Überprüfbarkeit sicherzustellen. Ohne systematische Verfahren und Stellenbewertungen kann die Berichtspflicht nicht erfüllt werden. Unternehmen müssen aktiv nachweisen, dass ihre Vergütung geschlechtsneutral gestaltet ist – durch Transparenz, Kontrollmechanismen, Auskunftsrechte und regelmäßige Berichte.

Wie schließen Sie vorhandene Gehaltslücken?

Wir sind überzeugt, dass wir nur durch langfristige personalpolitische Maßnahmen eine nachhaltige Reduzierung beziehungsweise Schließung der Gender-Pay-Gaps erreichen können. Der Fokus auf Diversität und Gender-Balance als wichtige strategische Ziele des Konzerns ist noch einmal geschärft worden. In manchen Fällen kann auch eine Gehaltsanpassung eine mögliche Maßnahme sein.

Wie sehen die personalpolitischen Schrauben aus, die Frauen gleiche Karrierechancen wie Männern ermöglichen?

Grundsätzlich fokussieren sich unsere Maßnahmen auf drei Bereiche. Erstens auf Chancengleichheit in der externen und internen Personalauswahl zum Beispiel durch Auswahl-Panels, die stets mit Männern und Frauen vergleichbarer Seniorität besetzt sind. Zweitens konzentrieren wir uns auf Entwicklungsförderung, indem wir den Fokus auf das Geschlechterverhältnis im Talent-Management-Prozess und in der Nachfolgeplanung legen. Und drittens richten wir unsere Aufmerksamkeit auf die Mitarbeiterbindung etwa durch interne Kommunikationskampagnen, die Role Models für Chancengleichheit ins Rampenlicht stellen.

Welche weiteren Maßnahmen haben Sie umgesetzt?

Wir haben zum Beispiel eine Familienstartzeit eingeführt, die Männern und Partnern in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften eine bezahlte Freistellung von vier Wochen einräumt. Wir fördern, dass Care-Arbeit gleichberechtigt wahrgenommen werden kann, etwa mit Auszeiten bei Pflege­fällen. Zudem arbeiten wir momentan an einem Top-Sharing-Pilotprojekt, bei dem Führungsverantwortung auf zwei Personen verteilt wird. Damit wollen wir Karrierechancen für Teilzeitarbeitende fördern. Diese Maßnahmen wirken nachhaltig.

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COMP & BEN

Dieser Beitrag ist zuerst im Vergütungsmagazin Comp & Ben erschienen. Das Onlinemagazin berichtet in sechs Ausgaben pro Jahr über aktuelle Themen rund um Compensation & Benefits und betriebliche Altersversorgung. Hier können Sie das Magazin kostenlos herunterladen – und hier können Sie den COMP-&-BEN–Newsletter abonnieren.

Wie bewerten Sie die Richtlinie inhaltlich?

In der Direktive ist beschrieben, dass die Entgelthöhe nicht nur Lohn oder Gehalt umfasst, sondern „alle sonstigen Vergütungen, die ein Arbeitgeber aufgrund des Dienstverhältnisses einem Arbeitnehmer unmittelbar oder mittelbar als Geld- oder Sachleistung“ gibt. Grundsätzlich ist das ein guter Gedanke, aber schwierig umzusetzen. Bonus– und Pensionszusagen lassen sich beziffern, auch ein Firmenwagen lässt sich mit Zahlen hinterlegen. Schwieriger ist es bei geldwerten Benefits wie dem Essenszuschuss oder vergünstigten Beiträgen im Sportstudio.

Und was wünschen Sie sich vom Gesetzgeber?

Vom Gesetzgeber wünschen wir uns, dass es ausreicht, dass wir nachweisen, dass wir ein genderneutrales Benefitsystem haben, das keine Diskriminierung zulässt. Alles andere würde zu einer sehr hohen ­Bürokratie führen, deren Mehrwert fraglich ist. Damit es bei Prüfungen nicht zu Unstimmigkeiten kommt, wünschen wir uns Klarheit.

Wie geht Ihr Geldinstitut mit der Offenlegung des Gehalts für Bewerberinnen und Bewerber um?

Die Frage, wann und wie wir Gehälter im Recruiting­-Prozess offenlegen, haben wir intern diskutiert. Nun warten wir darauf, dass der Gesetzgeber die EU-Richtlinie umsetzt, um darauf basierend die für uns passende Vorgehensweise zu bestimmen. Was aus meiner Sicht nicht hinreichend ­berücksichtigt wird: Eine kommende Offenlegungsregelung sollte in einem engen Fachkräfte- und Spezialistenmarkt für Unternehmen sinnvoll sein. Ob vorab in der Stellenanzeige oder schriftlich vor dem Bewerbungsgespräch: Arbeitgeber müssen auch Personen einstellen können, die aufgrund spezifischer Skills höher eingestuft werden können, ohne dass die Verdienstspanne schon in der Stellen­beschreibung limitiert wird.

Die konkreten Pflichten aus der EU-Direktive werden voraussichtlich am 7. Juni 2026 wirksam. Was empfehlen Sie Arbeitgebern, die bisher noch ­skeptisch sind?

Das Entgelttransparenzgesetz war ein guter Start, aber Entgeltgleichheit zwischen Frauen und Männern lässt sich noch besser machen. Mit der EU-Entgelttransparenzdirektive können Strukturen geschärft sowie Fairness und Transparenz auch nachhaltig verankert werden. Wenn Unternehmen sich in diesen Bereichen gut aufstellen, werden sie von einem Wettbewerbsvorteil bei der Rekrutierung und bei der Bindung von Mitarbeitenden profitieren.

Christiane Siemann ist freie Wirtschaftsjournalistin und insbesondere spezialisiert auf die Themen Comp & Ben, bAV, Arbeitsrecht, Arbeitsmarktpolitik und Personalentwicklung/Karriere. Sie begleitet einige Round-Table-Gespräche der Personalwirtschaft.