Liebe Leserin, lieber Leser,

was
würden Sie tun, wenn Sie jeden Monat 1.350 Euro bekämen? Einfach
so. Ohne was dafür zu tun.

Am
Sonntag dürfen Hamburgerinnen und Hamburger bei einem Volksentscheid
darüber abstimmen, ob es in der Stadt einen dreijährigen
Modellversuch zum bedingungslosen Grundeinkommen geben soll. Daran
würden 2.000 Menschen teilnehmen. Sie bekämen, je nach Einkommen,
bis zu 1.346 Euro pro Monat plus Kranken- und Pflegeversicherung,
ohne Gegenleistung. Mehr Informationen dazu gibt es hier.

2016
habe ich eine Reportage über das bedingungslose Grundeinkommen
geschrieben. Ich wollte verstehen, was es bewirkt. Kann es die
Gesellschaft zum Besseren verändern? Oder ist es bloß eine teure
Spinnerei, ein sozialromantisches Experiment? Damals hatte ein
Berliner Verein ein solches Einkommen an mehr als 40 Menschen
verlost. Sie bekamen ein Jahr lang 1.000 Euro im Monat. Für den
Artikel habe ich drei Gewinner besucht, und was sie mir erzählten,
hat mich tief berührt.

In
Bad Oldesloe sprach ich mit einer alleinerziehenden Mutter von drei
Kindern, die einen öden Lohn-und-Brot-Job hatte. Anfangs war die
damals 52-Jährige über das Geld bloß erleichtert, etwa weil sie
den Kindern endlich Weihnachtsgeschenke kaufen konnte. Später
geschah etwas Wesentliches: Sie erfüllte sich einen Traum und
leistete sich eine Ausbildung zur Trauerrednerin. Der Raum der
inneren Möglichkeiten habe sich durch das Geld erweitert, sagte die
Frau.

© ZON

Newsletter
Elbvertiefung – Der tägliche Newsletter für Hamburg

Vielen Dank! Wir haben Ihnen eine E-Mail geschickt.

Prüfen Sie Ihr Postfach und bestätigen Sie das Newsletter-Abonnement.

In
Kassel traf ich einen Mann, der die chronisch-entzündliche
Darmerkrankung Morbus Crohn hatte. Er war seit Langem
krankgeschrieben. Das Grundeinkommen habe ihn davon entlastet, dem
Arbeitgeber und der Kasse immer wieder nachweisen zu müssen, dass er
zu krank zum Arbeiten sei, erzählte er. Der Druck nahm ab, und er
leistete sich eine Therapie. Als ich ihn traf, hatte er schon länger
keine Schübe mehr. Für den 29-Jährigen war es wichtig, dass er das
Geld bekam, ohne sich dafür zu rechtfertigen.

In
Oberschwaben in Mittelbiberach besuchte ich eine Krankenschwester,
deren Ehemann und die zwei Kinder. Der achtjährige Sohn hatte das
Grundeinkommen gewonnen. Die Mutter bestimmte darüber, wofür es
ausgegeben wurde, und bei einem Glas Wein vertraute mir die
46-Jährige an, was das Geld auch bewirkte: Sie hatte auf einmal mehr
Mitsprache in der Familie, weil nicht mehr nur ihr Mann als
Hauptverdiener über die großen Ausgaben entschied. Später las ich
etwas dazu in einem Buch des verstorbenen dm-Gründers Götz Werner.
Er benannte dort die größten Gegner des Grundeinkommens: Ehemänner,
die den Machtverlust fürchten.

Eines
ist mir bei der Recherche übrigens nicht begegnet: Menschen, die
wegen des Grundeinkommens das Arbeiten einstellten. Das ist einer der
Hauptkritikpunkte der Gegner. Der zweite große Kritikpunkt ist, dass
das Hamburger Experiment, es soll mindestens 46 Millionen Euro
kosten, viel zu teuer sei.

Ich
schätze das anders ein: Hamburg kann sich dieses Experiment leisten,
und wir brauchen neue Entwürfe für unseren Sozialstaat. Sorgt das
Grundeinkommen wirklich für Traumjobs, mehr Gesundheit oder
Gleichberechtigung in Beziehungen? Es wäre zukunftsweisend, wenn wir
das in dieser Stadt herausfinden.

Ich
wünsche Ihnen einen schönen Tag!

Ihre
Kristina Läsker, freie Autorin

WAS HEUTE WICHTIG IST

Am
zweiten Jahrestag des Angriffs der Terrormiliz Hamas auf Israel am 7.
Oktober 2023 findet heute ab 12.30 Uhr eine Mahnwache
auf dem Rathausplatz

statt. Unter dem Motto „Flagge zeigen“ soll dort der Geiseln der Hamas und weiterer Opfer gedacht werden. Insgesamt
starben am 7. Oktober über 1.200 Menschen durch den Terrorangriff
der Hamas, mehr als 240 wurden als Geiseln in den Gazastreifen
verschleppt.
Auch in anderen Städten finden Gedenkveranstaltungen statt, darunter
Stralsund, Berlin und Wuppertal.

© Robert Michael/​dpa

Der
Sirenenalarm in Hamburg am Sonntagabend ist laut Angaben der Polizei
durch
einen Bedienfehler
 in deren Lagezentrum ausgelöst worden. Eigentlich hätte wegen des Hochwassers nur am
Vordeichgebiet Overwerder ein Alarm ausgelöst werden sollen.
Stattdessen heulten um 21.29 Uhr sämtliche Sirenen in der Stadt los.
Beim Notruf der Polizei gingen innerhalb einer halben Stunde wohl
mehr als 500 Anrufe ein. Auch bei der Feuerwehr meldeten sich viele
Menschen und fragten, ob sie sich Sorgen machen müssen und was sie
tun sollen. Die Warn-Apps NINA oder KATWARN wurden nicht aktiviert.

Die
Wohnanlagen des Studierendenwerks Hamburg sind zum Start des
Wintersemesters vollkommen
ausgelastet.

Rund 1.900 Bewerberinnen und Bewerber warten aktuell noch auf ein
Zimmer. Erfahrungsgemäß entspanne sich die Situation nach
Semesterbeginn etwas, sagte eine Sprecherin des Studierendenwerks.
Laut dem Moses-Mendelssohn-Institut müssen Studierende in Hamburg im
neuen Wintersemester mit durchschnittlichen Wohnkosten von 620 Euro
rechnen. In den Wohnanlagen des Studierendenwerks liegen die Mieten
den Angaben zufolge zwischen rund 310 und 480 Euro monatlich.

In aller Kürze

• Die Gewerkschaft
der Polizei (GdP) in Hamburg hat auf die starke
Belastung der Polizistinnen und Polizisten

hingewiesen. Weltweite Krisen und die damit einhergehenden
Demonstrationen führten zu einer enormen Einsatzbelastung, hinzu
kämen Fußballspiele von zwei Bundesligisten und diverse
Großveranstaltungen•
Das Hamburger Modelabel Closed wird zukünftig von dem Modemanager
Dieter Holzer und der Unternehmerfamilie Böck

geführt, die hinter der Modemarke Marc O’Polo steht – die
innerstädtischen Filialen blieben erhalten, aber von den 200
Beschäftigten in der Zentrale in Hoheluft würden rund 25 gekündigt,
teilten die neuen Eigentümer mit •
Das wegen der Sturmflut im Hamburger Hafen festsitzende
Kreuzfahrtschiff „Aidaperla“ hat am Montagmorgen seine Reise
in Richtung Norwegen fortgesetzt

THEMA DES TAGES

© imago images

Jetzt
bloß nicht dumm stellen

Diese
Woche stimmen die Menschen in Hamburg ab, ob die Stadt bis 2040
klimaneutral werden soll. Das schafft sie zwar nie. Dennoch kann der
Volksentscheid viel bewirken. Lesen Sie hier einen Auszug aus dem
Artikel von ZEIT:Hamburg-Redakteur Frank Drieschner.

Es
ist verlockend, sich dumm zu stellen, wenn am 12. Oktober der
Volksentscheid zum Klimaschutz stattfindet. Wer sich dumm stellt,
kann sich einreden, beim Hamburger Zukunftsentscheid stünden zwei
Wege in eine klimafreundliche Zukunft zur Wahl: ein einfacher, der
ein paar Jahre länger dauert, und ein schwieriger und teurer, der
dafür früher zum Ziel führt.

Für
die vermeintlich einfache Alternative steht der rot-grüne Hamburger
Senat. Er behauptet, die Stadt auf den Weg in eine klimaneutrale
Zukunft im Jahr 2045 gebracht zu haben, dem sie nun nur noch folgen
müsse. Sollten dabei irgendwann Maßnahmen erforderlich werden, die
Einwohnerinnen und Einwohner beunruhigen oder gar belasten würden,
dann hat der Senat davon bisher nichts verlauten lassen. Das schöne
Ziel der klimaneutralen Stadt scheint in dieser Version der Hamburger
Zukunft praktisch von selbst erreicht zu werden, weshalb es
zusätzlicher Anstrengungen nicht bedürfe. Konsequent lehnen die
Senatsvertreter darum den Volksentscheid ab oder halten sich in ihren
Stellungnahmen zurück.

Die
Initiative Hamburger Zukunftsentscheid wirbt nun für einen angeblich
schnelleren Weg zur klimaneutralen Stadt. Mehr Gerechtigkeit, mehr
Wohlstand, eine leistungsfähigere Wirtschaft – all das sei
machbar, sagt die Initiative, wenn die Bürgerschaft einfach das
Klimaschutzgesetz der Stadt ändere. Eine klimaneutrale Zukunft ab
2040 soll gesetzlich vorgeschrieben werden. Und wenn sie sich nicht
einstellt oder der Weg dorthin verfehlt zu werden droht, soll die
Bürgerschaft nicht näher beschriebene Maßnahmen ergreifen, um die
Stadt auf Kurs zu bringen. Zur Not sollen Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler Vorschläge machen.

Man
muss es so deutlich sagen: Mit der Wirklichkeit haben beide Versionen
der Hamburger Zukunft wenig zu tun.

Wieso
ein Erfolg der Volksinitiative trotzdem viel bewirken könnte, lesen
Sie weiter in der ungekürzten Fassung auf zeit.de

DER SATZ

© Julia Sang Nguyen für DIE ZEIT

„Die
Suche danach [meiner deutschen Seele] ist für mich immer ein Thema
meiner Filme. Es sind eigentlich alles Heimatfilme, wenn auch von
verschiedenen Heimaten.“

Wie
deutsch er sei, das fragt sich Gastarbeiterkind Fatih Akin immer
wieder. In „Amrum“ erzählt er die Geschichte von dem Sohn eines
überzeugten Nazis, aus dem später sein Freund und Mentor Hark Bohm
wurde. Das
ganze Interview lesen Sie hier

DAS KÖNNTE SIE INTERESSIEREN

Zum
Start der „Aktionswoche der Seelischen Gesundheit“ lädt die
Fürstenberg Foundation am 10. Oktober zur Vernissage der
Fotoausstellung „Aus der Dunkelheit ins Licht“ ins
Ernst Deutsch Theater ein. Der Abend mit vielen bekannten Gästen und
Künstlern verbindet persönliche Geschichten und gesellschaftliche
Perspektiven zur mentalen Gesundheit mit Musik und Kunst. Im
Mittelpunkt steht die Fotoreihe des Hamburger Fotografen Bertram
Solcher, der den
Krankheitsverlauf seiner Tochter Janne dokumentiert hat
. Beide engagieren sich gegen die Stigmatisierung psychischer
Erkrankungen.

Vernissage
zur Fotoausstellung „Aus der Dunkelheit ins Licht“ – ein Abend
für Kopf und Herz; 10.10., 18:30 Uhr; Ernst Deutsch Theater,
Friedrich-Schütter-Platz 1; kostenlose
Anmeldung online

MEINE STADT

Blick vom Bunker bevor da alles zuwächst © Eva Reimer

HAMBURGER SCHNACK

Ein
Mädel trifft in der Nähe der Uni auf ihre Freunde und sagt: „Boah,
habt ihr die Sirenen gestern Nacht gehört? Alter, ich hab gedacht,
das war’s jetzt, und ich hab noch nicht mal fertig studiert!“

Gehört
von Natalie Wulf

Das war
die Elbvertiefung, der tägliche Hamburg-Newsletter der ZEIT. Wenn Sie
möchten, dass er täglich um 6 Uhr in Ihrem Postfach landet, können Sie
ihn hier kostenlos abonnieren
.