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Interkontinentale Gärten © Interkontinentale Gärten
Nach zwei Sommern endet das preisgekrönte Gemeinschaftsprojekt an Offenbachs Hauptbahnhof. An der Bismarckstraße warten Bauarbeiten.
Offenbach – Er muss noch Gassi gehen und morgen früh raus, also kappt Nachbar Peter um kurz vor 22 Uhr den Strom. Er reicht das orange Kabel aus dem zweiten Stock – und setzt den Schlusspunkt zu einem Projekt, das die Nachbarschaft des historischen Stellwerks verzaubert hat. Mit einem Fest zu Erntedank verabschieden sich die Interkontinentalen Gärten endgültig von Offenbachs Hauptbahnhof.
Und damit auch von zwei Sommern, in der die Brachfläche an der Bismarckstraße einem Netz von Erdhügeln wich, auf denen koreanische Gewürze blühten, italienische Brechbohnen, Tomaten und goldene Kürbisse. Genau wie giftige Beerchen, Mohnblumen und wilde Gräser. Gepflanzt und bewässert von Stadtmenschen, die Lust hatten auf ein bisschen Grün. Wer im Juli inmitten der Hügel stand – die Insekten schwirrten rechts und links, um sich auf den Blüten niederzulassen – dachte: Ich stehe in einem Biotop, aber nicht in der Offenbacher Innenstadt.
Zwei Sommer, in denen Kräuterbutter produziert, Hochbeete für die Pflanzen geschraubt wurden. Etwa mithilfe des Projekts „Honjok“ von KIZ Offenbach, das gemeinsam mit seinen Teilnehmenden gegen die Einsamkeit kämpft. Zwei Sommer, in denen Verbindungen wuchsen zwischen Menschen, die sonst immer aneinander vorbeigelaufen wären. Der Kunststudent, der den Bagger steuern kann. Die Rentnerin, die seit 40 Jahren in der Mittelseestraße wohnt. Der Azubi von GKN Driveline. Und der Garten wusste das zu feiern. Zum Beispiel mit sonntäglichen Workshops, die fragten: Wie schreibe ich über Natur? Wie verfasse ich mein eigenes Gedicht? Geleitet von der Lyrikerin Katharina Eismann oder der Offenbacher Autorin Ingrid Walter.
Aber auch mit richtigen Partys: einem Fest zu Ehren des selbst geformten Lehmofens etwa, in dem Brot und Pizza aufgehen. Oder dem Kunstfestival „Cargo“ im vergangenen Oktober, dessen Spuren bis heute am Stellwerk zu entdecken sind. Am anliegenden Wohnhaus hat der Italiener Aris, Meister der Güterzugmalerei, ein Gemälde in Schwarz und Weiß hinterlassen. Zu sehen: Menschen, Jung und Alt, die inmitten eines offenen Waggons ihr persönliches Gartenparadies schaffen.
Auch am Sonntag glimmen die Feuerschalen, über denen Besucherinnen und Besucher ihre Stockbrote garen. Es gibt selbst gemachte Gemüsesuppe, mit Kürbis aus dem Garten, später Glühwein und heißen Apfelsaft. Fähnchen überspannen die verblühten Sonnenblumen, ein DJ legt mitgebrachte Schallplatten auf. Warum das jetzt alles zu Ende gehen muss? Die Gemeinnützige Baugesellschaft Offenbach (GBO) plant auf dem Areal mit der Hausnummer 118 bekanntermaßen ein Mehrgenerationenhaus. Die Fläche hatte die Kommune bereitgestellt, um die Zeit bis zum Baubeginn zu überbrücken, das Projekt auch mit einem kostenlosen Wasseranschluss, Budget für die Hochbeete, einem Müllservice ausgestattet. Jetzt beginnt zunächst die Sanierung des Stellwerks.
Was wiederum bedeutet: Bis Anfang kommender Woche braucht es Platz. Das von der Hochschule für Gestaltung (HfG) geleitete Projekt, zuletzt prämiert mit dem Zukunftspreis des Großen Frankfurter Bogen, erlebt am Hauptbahnhof ein ziemlich schnelles Ende. Dazu passt: Unbekannte hatten den Garten wohl in der Nacht zum Samstag ausgeraubt. Aus dem geknackten Bauwagen auf dem Gelände entwendeten sie Elektronik im Wert von über Tausend Euro.
Erstmal durchschnaufen, dann aufräumen. Und wer weiß – vielleicht kann der Garten an anderer Stelle neu erblühen. Derzeit laufen Gespräche über eine Nutzung des Areals an der Alten Post am Aliceplatz.