Frau Moumna, Sie sind seit Januar Koordinatorin für kommunale Entwicklungspolitik im Zentraleinkauf der Frankfurter Stadtkämmerei. Was tun Sie?
Als öffentlicher Auftraggeber trägt die Stadt Frankfurt eine besondere gesellschaftliche Verantwortung. Wir wollen, dass alle Menschen, die Produkte für die Stadt herstellen, dies unter menschenwürdigen Bedingungen tun. Dafür gibt es global gesehen viele Herausforderungen. Wir kaufen als Stadt Produkte ein, bei denen es innerhalb der Lieferkette zu Menschenrechtsverletzungen kommen könnte. Meine Aufgabe ist, meine Kollegen und Kolleginnen in der Stadt zu unterstützen, möglichst fair gehandelte und nachhaltige Produkte einzukaufen.
Wie reagieren die Ämter auf Sie?
Ich bin sehr überrascht davon, wie viel Zuspruch ich erhalte. Viele Kollegen haben in ihrem vollen Arbeitsalltag kaum Zeit, sich über Fragen von Menschenrechten in der Produktion unserer Lieferleistungen Gedanken zu machen. Viele würden gern auf mehr Nachhaltigkeit achten, aber fragen sich oft auch: „Was ist denn jetzt wirklich nachhaltig und was ist vielleicht nur Green- oder Fair-Washing?“ Genau in solchen Momenten hilft die Möglichkeit, jederzeit den Hörer in die Hand nehmen und mich kurz anrufen zu können.
Reagiert niemand skeptisch?
Es gibt natürlich ab und zu Bedenken, ob wir mit großem bürokratischem Aufwand oder explodierenden Kosten auf die Kollegen zukommen. Meistens kann ich aber vermitteln, dass wir unterstützen und es meine Aufgabe ist, Hintergrundrecherchen abzunehmen. Es zeigt sich aber auch, dass es sehr viel Potential gibt, wirtschaftlicher zu handeln.
Tamara Moumna, Koordinatorin für kommunale Entwicklungspolitik im Zentraleinkauf der Frankfurter StadtkämmereiStadt Frankfurt
Können Sie Beispiele nennen, was die Stadt Frankfurt „beschafft“?
Frankfurt hat sehr unterschiedliche Aufgaben: Von der Daseinsvorsorge, wie der Bereitstellung von Kitaplätzen, bis hin zu Stadtteilfesten, Bauaufträgen, Grünflächenbetreuung und IT-Infrastruktur ist alles Mögliche dabei. Überall benötigt es nicht nur städtisches Personal, das diese Arbeit leistet, sondern auch Produkte, die als Arbeitsmittel oder zur Unterstützung oder als Baustoffe eingekauft werden.
Wir arbeiten überwiegend in Büros. Die werden mit Möbeln, IT-Produkten und Material ausgestattet. Die stellen wir natürlich nicht selbst her, sondern kaufen dafür Lieferleistungen ein. Unsere Gärtner brauchen genauso Arbeitskleidung wie die Feuerwehr oder das Personal von Palmengarten und Zoo. Bei Bürgerveranstaltungen gibt es oftmals kleinere Cateringaufträge, ebenso bei Sitzungen des Magistrats, Empfängen des Oberbürgermeisters und Sportfesten in der Stadt, um nur einiges zu nennen. Bei allen diesen Aufgaben werden Produkte eingekauft, die Teile ihrer Herstellung in Ländern des Globalen Südens haben und bei denen es zu Menschenrechtsverletzungen am Arbeitsplatz kommen kann. Beispielsweise gibt es nach wie vor global gesehen etwa 138 Millionen Kinder im Alter zwischen 5 und 17 Jahren, die arbeiten müssen, da ihre Familien sie sonst nicht ernähren könnten. Davon sind 60 Prozent der Kinderarbeiter in der Landwirtschaft tätig. Viele arbeiten im Anbau von Kakao, Kaffee, Reis oder Früchten.
Was ist mit der Arbeitskleidung?
Arbeitskleidung für den europäischen Markt wird oftmals in Bangladesch, Pakistan und Vietnam hergestellt. Nach allem, was wir über die Textilproduktion wissen, zahlen die wenigsten globalen Textilunternehmen existenzsichernde Löhne. Brandschutzbestimmungen werden nicht eingehalten – vielleicht erinnern Sie sich an den Brand in der verschlossenen Textilfabrik Ali Enterprises in Pakistan 2012, bei dem über 250 Näherinnen starben, weil die Notausgänge verschlossen waren. Es kommt also zur massiven Missachtung von Arbeitsrechten. Das sind unwürdige Bedingungen für die Menschen, die Produkte für unsere Stadt und letztendlich mit Steuergeldern herstellen.
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Was ist die Besonderheit in Frankfurt?
Die Dezentralität unserer Verwaltung ist eine große Herausforderung. Wir decken im zentralen Einkauf nur den Allgemeinbedarf ab. Doch der Zentraleinkauf der Stadtkämmerei achtet etwa bei Textilien schon auf Menschenrechtsstandards, Unsere Ausschreibungsunterlagen, Textbausteine und Herangehensweisen teilen wir gern mit den anderen Ämtern. Wir haben Handreichungen wie Übersichten zu verlässlichen Siegeln und Textbausteine für die faire Beschaffung erarbeitet.
Gibt es Vorbilder in anderen Städten für Ihre Stelle und Ihre Arbeit?
Es gibt einige Kommunen, die sich schon länger mit den Themen befassen. Stuttgart, Ludwigsburg und Dortmund leisten tolle Arbeit und haben sogar kürzlich beim zweiten Tag der Fairen Beschaffung im Frankfurter Römer Workshops angeboten. Auch Hamburg, Bremen und München machen das vorbildlich. Viele Städte sind ähnliche Wege gegangen, da hilft oftmals ein Anruf, wenn es knifflig wird. Der Austausch auf dieser Ebene funktioniert sehr gut. Es gibt auch bundesweite Vernetzungen wie das Netzwerktreffen „Faire Beschaffung“ von Engagement Global, einer Organisation auf Bundesebene, die im Auftrag des Bundesentwicklungsministeriums arbeitet.
Frankfurt ist seit 2011 Fairtrade-Stadt. Reicht das nicht?
Fairtrade-Stadt zu sein, bedeutet, mehr fair gehandelte Produkte in der Verwaltung und bei Veranstaltungen einzusetzen, die Zivilgesellschaft einzubinden und die Bürger zu sensibilisieren. Die Stelle der kommunalen Entwicklungspolitik mit Schwerpunkt nachhaltige Beschaffung reicht weiter: Wir setzen uns dafür ein, dass nicht nur einzelne Produkte fair gehandelt werden. Wir möchten Veränderungen in den Bereichen erwirken, bei denen wir als Großstadt große Hebel haben. Das ist sehr komplex. Oftmals müssen Unternehmen zu Transparenz verpflichtet werden. Die Siegellandschaft verändert sich stetig, viele Standards, die Nachhaltigkeit versprechen, sind undurchsichtig. Parallel dazu erleben wir immer komplexere Aufgaben in der Verwaltung, und wir möchten, dass dieses Thema nicht herunterfällt, sondern einen hohen Stellenwert erfährt. Meine Stelle wird vom Bundesentwicklungsministerium gefördert. Auch die Bundesebene hat also erkannt, dass Kommunen große Veränderungen bewirken können, sie dafür aber Personal benötigen.
Welches Ziel haben Sie persönlich?
Mir ist es wichtig, dass ich nicht nur Vordrucke und Formulare erstelle, die in der Vergabe von öffentlichen Aufträgen die richtigen Standards setzen. Das sind praktische Unterstützungsmöglichkeiten für die Kollegen, die sind wichtig. Ich möchte aber vor allem im persönlichen Austausch dafür sensibilisieren, dass es Wege gibt, die viele andere Städte schon gegangen sind und die vielleicht gar nicht so steinig sind wie erwartet. Ich hoffe, dass damit das Bewusstsein für unsere globalen Einkaufsmuster geschärft wird. Ich würde mich freuen, wenn wir sagen könnten: Überall, wo es Standards zur Einhaltung von Menschenrechten gibt, haben wir unsere Marktmacht als Stadt genutzt und haben diese Standards eingefordert.