Eigentlich hatte Carolin Bohl schon am Abend des 6. Oktober 2023 nach Tel Aviv abreisen wollen, um den Rückflug nach Deutschland anzutreten. Kurzfristig entschied sie sich allerdings, die Nacht doch noch im Kibbuz Nir Oz zu verbringen. Dem „Himmel auf Erden“, wie sie ihrer Mutter mitgeteilt hatte. Doch dann kam alles anders. Per Messenger-Nachricht schrieb die 22-Jährige ihrer Mutter am nächsten Morgen, es herrsche Krieg. Aber sie solle sich keine Sorgen machen, sie seien im Bunker. Um 8.06 Uhr erreichte Sonja Bohl-Dencker die letzte Nachricht ihrer Tochter. „Ich liebe dich mit meinem ganzen Herzen, Mommichen. Und bin dir unendlich dankbar für alles, alles, alles.“

Bei der Gedenkkundgebung der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) unter dem Motto „Für Frieden und Freiheit“ am späten Dienstagnachmittag stand die Rede von Sonja Bohl-Dencker im Mittelpunkt. Die 58-Jährige aus Otersen im Landkreis Verden erinnerte an ihre einzige Tochter, zu der sie eine „sehr enge Bindung“ gehabt hatte. Mit ihrem guten Freund Danny, einem britisch-israelischen Staatsbürger, war die Studentin nach Israel gereist. Er wollte ihr den Ort zeigen, an dem seine Mutter gelebt hatte. Den Kibbuz Nir Oz, zwei Kilometer entfernt vom Gazastreifen. Zusammen mit Danny wurde die lebensfrohe junge Frau am Morgen des 7. Oktober von Hamas-Terroristen ermordet. „Der Bunker wurde zur tödlichen Falle“, sagte ihre Mutter. „Der Himmel auf Erden wurde zur Hölle.“

Mehrere Hundert Teilnehmer gedenken der Opfer

Mehrere Hundert Teilnehmer hatten sich anlässlich des zweiten Jahrestages des Hamas-Massakers auf dem Marktplatz eingefunden. Der DIG-Vorsitzende Hermann Kuhn schätzte die Teilnehmerzahl auf rund 500, die Polizei auf bis zu 350. Israel-Flaggen waren zu sehen, auch einige Poster mit Aufschriften wie „Wir denken an die Opfer in Palästina und Israel“. Auch Lorenz P. Tews hatte sich eingefunden, das Gesicht weiß geschminkt, weiß auch seine Armbinde als Zeichen des Friedens. Auf dem Kopf ein englischer Helm, eine Theaterrequisite. „Konflikte werden immer mit Uniformen verbunden“, sagte der 66-Jährige über sein ungewöhnliches Outfit. Um seine Friedensbotschaft zu unterstreichen, verteilte der Pazifist ein Gedicht, das er kurz nach dem Massaker der Hamas geschrieben hatte. In einem Konflikt gebe es nur die eine Lösung, gegenseitigen Frieden und Versöhnung.

Ähnlich äußerte sich Hermann Kuhn. Der 20-Punkte-Plan des US-Präsidenten Donald Trump habe die Tür geöffnet für ein demokratisches Gemeinwesen der Palästinenser. Allerdings könne es mit der Hamas keinen Frieden in der Region geben. Auch Bürgerschaftspräsidentin Antje Grotheer erinnerte daran, dass die Terrororganisation den Gaza-Krieg entfacht hatte. „Die Hamas weigert sich, die Waffen niederzulegen“, sagte sie. „Die Hamas trägt damit auch die Verantwortung für das Leid der eigenen Zivilbevölkerung.“ Ein dauerhafter Friede sei das Ziel, daran müssten alle Seiten arbeiten.

Wie schwer das ist, wie viel den Angehörigen abverlangt wird, zeigte sich in der Rede der Mutter von Carolin Bohl. „Der Schmerz um den Verlust meiner Tochter ist kaum auszuhalten“, sagte sie – um dann den Bogen zur aktuellen Stimmungslage zu schlagen. „Nicht auszuhalten ist auch, dass es in Deutschland Menschen gibt, die die Mörder meiner Tochter feiern.“ Dennoch versuche sie, den Konflikt zu verstehen. „Ich würde mir wünschen, dass das auch andere tun würden“, so Sonja Bohl-Dencker. Sie schäme sich für jeden Deutschen, der Juden beleidigt, anpöbelt oder körperlich angreift. „Und ich schäme mich auch für jeden Deutschen, der so ein Verhalten nicht unmissverständlich verurteilt.“

Sonja Bohl-Dencker erinnerte an ihre Tochter Carolin Bohl, die am 7. Oktober 2023 von Hamas-Terroristen ermordet wurde.

Sonja Bohl-Dencker erinnerte an ihre Tochter Carolin Bohl, die am 7. Oktober 2023 von Hamas-Terroristen ermordet wurde.

Foto:
Frank Thomas Koch

Die Sitzung der Bürgerschaft wurde für die Kundgebung unterbrochen. Etliche Abgeordnete fanden sich vor dem Gebäude ein, auch Bürgermeister Andreas Bovenschulte gesellte sich hinzu. Vertreter von SPD, CDU, Grünen, Linken und FDP erinnerten in kurzen Ansprachen an das Schicksal von sechs Geiseln mit deutscher Staatsangehörigkeit, die sich noch immer in der Hand der Hamas befinden. Wegen des Laubhüttenfestes war die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, Elvira Noa, nicht anwesend, sie ließ ein Grußwort verlesen. Zum Schluss sprach Propst Bernhard Stecker für die christlichen Kirchen im Land Bremen.

Eine massive Polizeipräsenz beschützte die Veranstaltung, auf der Langenstraße waren Absperrgitter aufgestellt. Während der 45-minütigen Kundgebung kam es zu keinen Störungen. Erst als sich die meisten Teilnehmer schon zerstreut hatten, tauchten vor der Baumwollbörse plötzlich zwei Mütter auf, deren kleine Kinder große palästinensische Flaggen schwenkten. „So erzieht man Kinder zum Hass“, rief ein verbliebener Teilnehmer.

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