Juden in Deutschland müssen seit dem 7. Oktober 2023 mit einem doppelten Trauma leben: Der gewaltsame Übergriff der Hamas auf Israel hat einerseits die Erinnerung an den Holocaust als kollektives Schlüsselerlebnis wachgerufen, andererseits zu einer spürbaren Bedrohung des jüdischen Lebens im Alltag geführt.
Juden müssen ausgerechnet in Deutschland wieder erleben, dass sie sich eigentlich nur dann sicher fühlen können, wenn sie unsichtbar sind. Sie lassen sich vom Taxi nicht vor ihrem Haus absetzen. Sie bestellen unter dem Namen von Nachbarn, um Rückschlüsse auf ihr Judentum zu vermeiden.
Sie sprechen in der Öffentlichkeit kein Hebräisch und tragen den Davidstern lieber unter dem Pullover oder gar nicht. Jüdische Einrichtungen müssen Tag und Nacht streng bewacht werden. Jüdische Kinder können ihre Schule nicht betreten, ohne viele Sicherheitsschleusen durchlaufen zu haben.
Selbst an Universitäten
Je öfter das „Nie wieder“ beschworen wird, desto stärker steigen die antisemitischen Straftaten. Das ist der ernüchternde Befund am Gedenktag des 7. Oktobers. Antisemitismusbeauftragte können manches leisten, sie dürfen aber nicht zur Gewissensentlastung für jeden Einzelnen werden, gegen noch so subtile Formen des Judenhasses einzutreten.
Das gilt für alle gesellschaftlichen Schichten. Denn judenfeindliche Äußerungen sind längst wieder salonfähig geworden – leider auch in gebildeten Kreisen.
Es scheint, als habe der 7. Oktober die Gespenster der alten Vorurteile und kollektiven Schuldzuweisungen wieder zu neuem Leben erweckt – selbst an Universitäten, die es besser wissen müssten und oft genug mit feigem Abwarten reagieren, anstatt von ihrem Hausrecht Gebrauch zu machen.
Links- und rechtsextremistischer Antisemitismus verbinden sich mit islamistischem Judenhass und antiisraelischem Affekt, gespeist durch den Gazakrieg. Kritik an Israel ist legitim, aber von Hass und Vernichtungsphantasien zu unterscheiden. Auch das ist im Internetzeitalter schwierig geworden.