Kaley Chiles ist zugelassene Therapeutin im Bundesstaat Colorado. Als praktizierende Christin, so heißt es in einem Gerichtsdokument, sei sie davon überzeugt, Menschen entwickelten sich dann am besten, „wenn sie im Einklang mit Gottes Schöpfung leben – einschließlich ihres biologischen Geschlechts“.

Mit Hilfe einer konservativen Interessenorganisation ficht sie vor dem Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten deshalb Colorados Gesetz an, das „Konversionstherapien“ für homosexuelle oder transsexuelle Minderjährige verbietet. Chiles spricht von einem „Maulkorberlass“, der ihr das Recht auf freie Meinungsäußerung nehme. Und eine Mehrheit der konservativen Richter schien sich dieser Lesart in einer Anhörungen vor dem Obersten Gerichtshof am Dienstag anzuschließen.

In einer der schärfsten Äußerungen nannte Richter Samuel Alito das Gesetz von 2019, das in ähnlicher Form in etwa zwei Dutzend weiteren Staaten besteht, eine „eklatante Diskriminierung aufgrund von Standpunkten“. Der Bundesstaat Colorado verweist in seiner Argumentation zu einem auf den medizinischen Konsens: Es gebe zunehmend Studien, die zu dem Schluss kämen, dass sogenannte Konversionstherapien „unwirksame, schädliche Behandlungen“ seien. Infolgedessen litten Jugendliche vermehrt unter Depressionen, Angstzuständen und Suizidgedanken.

„Mediizischer Konsens wurde politisiert“

Dieses Argument stellte Alito am Dienstag unter Verweis darauf in Frage, ob der medizinische Konsens in einigen Fällen nicht auch früher schon „politisiert“ und „von bestimmten Ideologien übernommen“ worden sei. So habe das Oberste Gericht 1927 die Zwangssterilisation von Menschen für verfassungsmäßig erklärt, die als geistig behindert galten.

Die Therapeutin Chiles sagt über sich selbst, sie wolle ihre Klienten nicht bekehren, aber denen helfen, die bereitwillig Hilfe dabei suchten, „unerwünschte sexuelle Anziehungskraft zu verringern“. Ihr Vertreter, der Anwalt des Justizministeriums Hashim Moopan, argumentierte am Dienstag, es handele sich um einen „einfachen Fall“, denn „alles, was hier passiert“ sei eine „Äußerung“, keine Handlung.

In dem Gesetz ihres Bundesstaates heißt es, als „Konversionstherapie“ gelte jede Praxis oder Behandlung durch eine registrierte oder lizenzierte Fachperson, „die darauf zielt oder vorgibt, die sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität einer Person zu ändern“. Konkret ist die Rede vom Bemühen, Verhaltensweisen oder geschlechtliche Ausdrucksformen zu ändern, ebenso wie die sexuelle Anziehung oder Gefühle zum selben Geschlecht zu unterdrücken.

Unterstützung ja, „Bekehren“ nein

Colorados Anwältin Stevenson hob am Dienstag hervor, das Gesetz beziehe sich allein auf Behandlungen und stehe deshalb nicht im Konflikt mit dem ersten Verfassungszusatz, der freie Rede garantiert. Außerhalb der Therapie habe jede Person das Recht, ihre Meinung zu äußern; das gelte auch für kirchliche Ansprechpartner oder nicht lizenzierte Berater. Im Falle medizinischen Fachpersonals müsse man jedoch strengere Regeln anlegen. Diese Leute hätten eine fundamental andere Beziehung“ zu den Klienten.

Der Vorsitzende Richter John Roberts verwies dazu auf vorherige Entscheidungen des Gerichts, in denen es abgelehnt hatte, das Recht auf Meinungsfreiheit im beruflichen Kontext einzuhegen. Nur weil Therapeuten ihren Beruf ausübten, „heißt das nicht, dass ihre Worte keinen Schutz genießen“. Nach Argumentation des Bundesstaats Colorado dürfte ein Therapeut einer homosexuellen Person unter dem bestehenden Gesetz dabei helfen, mit der Situation zurechtzukommen. Er dürfte jedoch nicht versuchen, die Sexualität „umzukehren“.

Auch eine der linksliberalen Richterinnen, Elena Kagan, äußerte sich skeptisch über die Auslegung des Gesetzes. Am Beispiel der homosexuellen Person fragte sie, warum nur einer der beiden Ansätze – die Unterstützung, nicht die „Umkehrung“ – erlaubt sei. Das scheine eine „Diskriminierung des Standpunkts“ zu sein, Die Anwältin Stevenson verwies an dieser Stelle darauf, dass eine „medizinische Behandlung“ anders bewertet werden müsse.

Die finale Entscheidung gilt in einer Zeit, in der die amerikanische Regierung dem angeblichen „Wokeismus“ von links den Kampf angesagt hat, als weitere Wegmarke für die Rechte von Homosexuellen und Transpersonen in den Vereinigten Staaten. Der Oberste Gerichtshof hatte im Sommer entschieden, dass Tennessee Behandlungen zur Geschlechtsumwandlungen für Minderjährige verbieten darf. In einem anderen Fall sah die konservative Mehrheit es als legitim an, dass religiöse Eltern Kinder an öffentlichen Schulen aus dem Unterricht nehmen dürfen, wenn Bücher zu Sexualthemen behandelt werden, die im Widerspruch zu ihren Überzeugungen stehen.

Im Fall des „Konversionstherapie“-Gesetzes hat die Regierung Donald Trumps ihre gesteigertes Interesse an dem Fall ausgedrückt. In einem Dokument des Justizministeriums hieß es, man habe ein „erhebliches Interesse“ an diesem Fall, um die „verfassungsmäßigen Rechte der Bürger auf freie Meinungsäußerung zu schützen“.