Ein abendliches Erlebnis in Stuttgart. Man ist beim Hauptbahnhof zu Fuß unterwegs, hat die Arnulf-Klett-Passage verlassen, will Richtung Königsstraße, wo diverse Kneipen locken. Viele andere Leute sind ebenso unterwegs. Alles entspannt. Dann fällt der Blick aber auf eine einzelne umher huschende Ratte. Eigentlich noch nichts Ungewöhnliches. Beim Hauptbahnhof gibt es viele Imbisse und Fastfood-Betriebe. Immer wieder liegen Essensreste in diversen Ecken. Ratten können hier fett werden. Das schon früher so.
So weit, so schlecht. Dann saust aber die nächste Ratte über Pflaster und Asphalt, dann noch eine. Andere drängen sich in Unterführungen zum Oberen Schlossgarten. Ein solches massives Auftreten kommt einem neu vor. Eine Anfrage bei der Stuttgarter Stadtverwaltung ergibt aber, dass das geballte Auftreten der Nager schon länger bekannt ist. Es gibt sogar schon ein Rattenmanagement.
Giftköderboxen sollen helfen
Die Landeshauptstadt bekämpft die Schädlinge unter anderem mit einer Online-Überwachung an Brennpunkten. Es wurden dafür nach kommunalen Angaben insgesamt 250 Giftköderboxen aufgestellt. Mithilfe einer entsprechenden App kann die Stadt sehen, wenn eine Ratte in einer Falle gelandet ist.
Dies scheint dringend nötig zu sein. Ein Film des SWR aus dem vergangenen Winter zeigt ein munteres Ratten-Treiben zwischen dem Hauptbahnhof und der Fußgängerzone, speziell auf dem Müllentsorgungsplatz der Arnulf-Klett-Passage. Ratten fressen sich durch Mülltüten. Kleinere wie größere Tiere sind unterwegs. Manche springen, andere strecken sich nach Nahrung über sich. Wieder andere suchen auf dem Boden nach Nahrung. Fast schon das gleiche Bild, das man dieser Tage selber in der gleichen Gegend wahrgenommen hat.
Diverse Nachfragen ergeben, dass dies alles nicht überraschend ist – nicht in Stuttgart, nicht anderswo. Demnach hat sich in Deutschland eine regelrechte Rattenplage entwickelt – mit zunehmender Tendenz. Der Schädlingsbekämpfer-Verband schätzt, dass hierzulande in den Städten bereits drei bis vier Ratten auf einen Einwohner kommen. Was einer Gesamtzahl von mehr als 300 Millionen Tieren entsprechen würde. Fast schon eine astronomische Zahl – und dies trotz bestehender Bekämpfungsmaßnahmen.
Für den Schädlingsbekämpfer-Verband ist die Suche nach den Ursachen der Rattenplage recht simpel: wärmere Winter und ein steigendes Nahrungsangebot in den Städten. Insider-Informationen besagen, dass viele Kommunen offenbar nicht mehr so richtig mit der Menge des anfallenden Mülls zurechtkommen. Gerade in Innenstädten würde eine steigende Zahl von Straßenimbissen und Fastfood-Restaurants zu mehr weggeworfenen Essensresten führen. Wobei es dazu keine genauen Statistiken gibt. Die vorhandenen Zahlen besagen bloß, dass die Müllmengen insgesamt zunehmen.
Überträger von über 100 Infektionskrankheiten
Vieles, was mit den Nagern zu tun hat, bewegt sich eher im Schattenbereich – zumal sie sich ja auch gerne im Untergrund aufhalten, seit Alters her speziell im Kanalsystem. Doch die Gesundheitsbehörden sind alarmiert. Ratten übertragen über 100 verschiedene Infektionskrankheiten, darunter potenziell tödliche Erreger wie Hantaviren und Leptospiren. Hantaviren werden beispielsweise durch Kontakt mit Kot, Urin oder Speichel infizierter Nagetiere übertragen.
Legendär sind die großen Pestwellen im Europa des ausgehenden Mittelalters und der frühen Neuzeit. Ratten waren die Verbreiter der damals meist tödlich verlaufenden Krankheit. Sie wird durch das Bakterium Yersinia pestis verursacht. Rattenflöhe übertragen es von Ratten auf den Menschen. Heute stehen aber für die Behandlung einer Infektion verschiedene Antibiotika zur Verfügung.
Kampagne gegen Ratten
Jedenfalls verursacht der Anblick von Ratten traditionell ungute Gefühle bei den meisten Menschen. Wer gegen die Nager vorgeht, hat üblicherweise die Sympathien auf seiner Seite. So haben etwa in der Breisgau-Metropole Freiburg die Stadtväter jüngst eine große Kampagne gegen Ratten gestartet.
In einem Pilotprojekt wird auch die Videoüberwachung von sogenannten Müllsammelstellen getestet. Hier will Freiburg unter anderem überwachen, wie Anwohner ihren Müll entsorgen – ob er einfach auf einen Haufen geworfen wird oder tatsächlich in den vorgeschriebenen Containern landet. Müllsünder sollen bestraft werden.
Ratten auf Nahrungssuche. (Foto: adobe)
Freiburg hat auch Büsche und Gestrüpp an Müllsammelstellen im Stadtgebiet entfernt. Ratten soll es auf diesem Weg schwer gemacht werden, ein leichtes Versteck zu finden. Des Weiteren setzt die Kommunalverwaltung auf Köderboxen mit Gift. Nach den vorliegenden Angaben sind insgesamt 250 Köderstationen platziert worden. Ausdrücklich heißt es, für Hunde und Katzen bestehe deshalb keine Gefahr. Sie würden nicht an das Gift herankommen.
Ein erster Erfolg?
Auch der südbadische Energieversorger Badenova ist bei der Rattenbekämpfung an Bord. Ein beauftragter Schädlingsbekämpfer hat in der Kanalisation über die Stadt 70 Köderstationen installiert. Wie aus dem Rathaus zu hören ist, soll es inzwischen erste Indizien für einen Erfolg geben. Demnach hat die Zahl der Ratten-Sichtungen abgenommen.
Das Beispiel aus einer anderen Stadt zeigt jedoch, dass die Rattenbekämpfung wie ein Kampf gegen Windmühlen sein kann. Deshalb ist das bayerische Starnberg in den vergangenen Wochen in den Medien aufgetaucht. Eigentlich ist der Ort ein Domizil von Reichen, die aus dem nahen München an den Starnberger See geflüchtet sind. Aber Ratten scheinen sich dort ebenso wohl zu fühlen – speziell während sonniger Wochen.
Der Kammerjäger muss jedes Mal aufs Neue kommen
Die Vorort-Information besagt, dass dann Tausende Ausflügler die Seepromenade heimsuchen. Zurück blieben etwa Eiswaffeln, Reste von Leberkäs-Wecken, Apfelbutzen oder Ähnliches. Ein Festmahl für Ratten. Sie tauchen im Folgenden nach den vorliegenden Berichten vermehrt auf. Ein Kammerjäger darf daraufhin jedes Mal aufs Neue ausrücken.
Künftig dürfte der Kampf gegen die Rattenplage aber schwerer werden. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin will einem möglichen überbordenden Gifteinsatz den Riegel vorschieben. Ab dem 1. Januar 2026 gilt ein Verbot für den vorbeugenden Dauereinsatz von Rattengift. Privathaushalte wie professionelle Schädlingsbekämpfer sind davon betroffen. Für letztere bedeutet dies einen höheren Arbeitsaufwand und strengere Dokumentationspflichten.
Warnung vor zu vielen behördlichen Auflagen
Diese Neureglung wird von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin mit der hohen Giftigkeit der Köder für andere Tiere wie Haustiere, Wildtiere und Vögel begründet. Indes zeigt sich der Schädlingsbekämpfer-Verband wenig begeistert. Zunehmende Auflagen würden die Bekämpfung der Rattenplage teurer, aufwendiger und oft auch ineffektiver machen. Alternative Methoden zu Giftköder wie beispielsweise Schlagfallen hätten sich als nicht ausreichend effektiv erwiesen. Die Profi-Kammerjäger gehen deshalb von einer weiteren Eskalation der Rattenplage aus.