AUDIO: Bildschöne Bücher: „Last Laughs“ von Elliott Erwitt (5 Min)
Stand: 07.10.2025 09:27 Uhr
Elliott Erwitt war hinter der Kamera eine Legende. Er porträtierte viele Prominente, dokumentierte aber auch gesellschaftlich-politische Ereignisse. Ein neuer Bildband zeigt seine Bilder abseits der großen Bühnen.
Ein schnöder, steriler Warteraum in einem Amt. Ein junges Brautpaar um die 20 hat sich rausgeputzt, sitzt Stuhl an Stuhl. Er im Anzug, 60er-Jahre-Tolle; sie trägt ein weißes Minikleid, einen imposanten Stehkragen mit Volants und einen ausladenden Schleier. Trotz des modischen Aufwands ist den Eheleute in spe mulmig vor dem, was kommt – das verraten ihre scheuen Gesichter. Unbewusst starren sie einen ebenfalls wartenden Mann neben sich an. Der greift sich lässig ans Kinn und grinst dabei selbstsicher.
Drei Menschen, drei Perspektiven. Ist der Bräutigam neidisch auf die Sorglosigkeit des Junggesellen? Steht die Braut auf den fremden, coolen Typen? Schmunzelt der Single über seine Freiheit? So kann es sein – oder ganz anders.
Momentaufnahmen aus dem Alltag voller Humor
Der US-amerikanische Fotograf Elliott Erwitt behauptet nichts. Er hält Dinge fest, die ihm im Alltag begegnen. In seinen Bildern liegen Möglichkeiten, ein Kosmos an Andeutungen und „Was-wäre-wenn“. Die Schwarz-Weiß-Aufnahmen im neuen Bildband sind Fundstücke aus seinen Archiven. Vom Ende der 1940er bis zur Jahrtausendwende. Es sind detailreiche, volle Bilder, die man sich lange anschauen kann. Und deren Witz Spaß macht.
Zwei Leute vertieft ins Gespräch. Sie hält eine dicke Mappe unterm Arm, einen Stift in der gestikulierenden Hand. Er hört zu. Beide scheinen komplett unbeeindruckt von ihrer Umgebung. Dutzende Mumien stehen Spalier – hier im mexikanischen „Museo de las Momias“. Durchs Trocknen und Schrumpfen wirken die Mumien-Münder wie aufgerissen, schreiend, schmerzverzerrt. Unter den respekteinflößenden, gruseligen Gestalten sind die beiden Lebenden deplatziert. Ein bizarrer Kontrast. Weil der Szene aber jede Bedrohlichkeit fehlt, bleibt das Bild unbeschwert-lustig.
Elliott Erwitt und sein besonderes Auge
Seine Auftragsarbeiten für Magazine machen Erwitt ab den 50ern berühmt. Diese vor allem privaten Aufnahmen zeigen auch den Menschen hinter der Kamera. Einen mit Sinn für das Absurde. Einen, der sich nicht lustig macht, aber amüsiert ist. Einen, der bei Streifzügen durch die Stadt mehrdeutige Blicke zwischen Menschen aufspürt, skurrile Schilder, unterhaltsame Hund-Herrchen-Gespanne, Museumsbesucher, die unwissentlich zum Ausstellungsstück passen. Über seine Arbeit sprach der 2023 verstorbene Fotograf immer bescheiden, er nannte sich oft Amateur: „Bilder findet man überall. Es geht einfach darum, Dinge wahrzunehmen und zu ordnen. Man muss sich nur mit dem beschäftigen, was einen umgibt, und sich für die Menschheit und die menschliche Komik interessieren.“
Ein Bildband, der menschliche Schwächen liebevoll einfängt
Keines der Fotos ist schnell beschrieben. Immer gibt es diese Tiefe: Noch einen Gedanken, noch eine Frage ans Bild, noch eine interessante Winzigkeit – etwa eine rätselhafte Affenhand an einer Brüstung in einer Menschenmenge. Oder eine Tasse, die entscheidende Körperstellen eines nackten Picknickers verdeckt. Und selbst bei den eigentlich gestellten Bilder sprengt meist das eine Detail die Inszenierung: der aus vollem Herzen lachende Sohn auf dem ansonsten steifen Familienfoto; die Abschlussball-Gängerin, die um jedes Blinzeln zu vermeiden mit weit aufgerissenen Augen krampfhaft in die Kamera stiert; oder die elegant-posierende Schauspielerin mit ihrem zähnefletschenden Kampfhund auf dem Schoss.
Der Bruch mit dem perfekten Bild. Diese Momente des Kontrollverlusts sind herrlich entwaffnend. Die Sammlung „Last Laughs“ – letzte Lacher – macht richtig gute Laune. Und zeigt nicht zuletzt einen unverschämt-sympathischen Blick auf menschliche Schwächen.
Last Laughs
von Elliott Erwitt
- Seitenzahl:
- 208 Seiten
- Genre:
- Bildband
- Verlag:
- teNeues
- ISBN:
- 978-3-96171-633-3
- Preis:
- 65 €