Stand: 08.10.2025 06:00 Uhr
Valery Tscheplanowa wird nicht nur als Schauspielerin gefeiert – auch die Literaturkritik zeigte sich begeistert von ihrem 2023 erschienenen Romandebüt „Das Pferd im Brunnen“. Jetzt gibt es einen neuen Roman von ihr: „Ist es Liebe“.
Die Frage „Ist es Liebe“ schwebt, nein, liegt schwer über diesem Roman und wird für Anne zur Zerreißprobe. Sie ist Anfang 20, kommt aus einem gutbürgerlichen Elternhaus und lebt als Schauspielschülerin in Berlin. In der U-Bahn trifft sie Richard. Er ist Schwarz, aufgewachsen in Nairobis größtem Slum Kibare und nach Deutschland geflüchtet.
„Ich wollte beschreiben, was für Gepäck Menschen in die Liebe mitbringen“, erzählt Tscheplanowa. „Es geht ja ganz schnell, dass einem der andere gut gefällt, dann gibt es rauschende drei Monate, und dann stellt man fest, dass der Andere etwas mitgebracht hat. Und dieses Mitgebrachte wollte ich porträtieren und sagen: Das ist erstmal kein Hindernis.“
Persönliche Hürden und kulturelle Barrieren
Es wird dann aber doch ein ganzer Hindernisparcours, den Anne und Richard versuchen zu überwinden. Richard ist nämlich auch ein, wie es heißt, „Abschiebungsfall“ ohne Aufenthaltstitel, nur vorübergehend geduldet.
Richard, sagte Anne. Das kriegen wir hin. Sie hatte überhaupt keine Ahnung, wie sie das hinkriegen sollte. (…) Sie setzte sich an den kleinen Tisch in der Ecke an ihren Laptop und tippte das Wort „Duldung“ in die Suchleiste.
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Es sind aber nicht nur Herkunft und Status, die zwischen Anne und Richard liegen. Sie kämpft mit persönlichen Problemen, zum Beispiel gegen ihr Übergewicht. Richard, der schon als Kind erfahren hat, was Hunger bedeutet, begreift ihr Problem gar nicht: „Bei ihrem ersten Date traut sie sich zu sagen: ‚Ich habe eine Essstörung‘, und er wiederholt das Wort: ‚Ess-Störung?‘ und kann sich nicht vorstellen, was das ist.“
Eine Beziehung am Scheideweg
Der Roman ist, wie Valery Tscheplanowa sagt, eine Geschichte über den Umgang mit Grenzen. Und Anne stößt schon sehr bald an ihre eigenen. Einerseits fühlt sie sich an Richards Seite sichtbarer und sicherer. Andererseits sind die Gräben zwischen beiden viel tiefer als in Paarbeziehungen, in denen beide einen kulturellen Hintergrund teilen.
Als Anne schwanger wird und sich entscheidet, das gemeinsame Kind zu bekommen, muss sie aus ihrem ersten Engagement am Deutschen Theater aussteigen, wo sie doch gerade erst begonnen hat, „Alice in Wonderland“ zu proben. Von den knappen Einkünften schickt Richard nicht nur Geld an seine Familie nach Nairobi, sondern er feiert auch die Nächte durch, nimmt Drogen, betrügt sie. Annes Schwester Katharina spricht aus, was Anne schon länger fühlt:
„Du kannst nicht alles mit seiner Herkunft relativieren. Ihr führt die Beziehung hier in Deutschland, unter den Gegebenheiten, die hier herrschen, und hier nutzt er dich aus.“
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„Ist es Liebe“: Ein literarisches Spiegelkabinett
In diesem aufgeladenen Roman lässt Valery Tscheplanowa Welten aufeinanderprallen und verhandelt Fragen brennender Aktualität: Lässt sich das Fremde einfach wegretuschieren, nur weil man es nicht wahrnehmen will? Lassen sich herkunftsbedingte Gräben, wie sie sich zwischen Anne und Richard auftun, doch nicht überwinden? Auch wenn es – möglicherweise – Liebe ist? Ist es Liebe, wenn es nicht reicht, für jemanden viel zu empfinden?
„Anne sagt irgendwann: ‚Vielleicht hätte ich erstmal einen Fortbildungskurs machen sollen, bevor ich Richard küsse.‘ Wenn man auf einen Menschen trifft, der aus einem anderen Land kommt, dann spielt seine Geschichte eine große Rolle, die Geschichte eines anderen Landes. Und sich die Mühe zu machen, die Geschichte des anderen zu studieren, wenn man ihn in sein Leben lässt“, so die Autorin.
Valery Tscheplanowa gelingt es auf bewundernswerte Weise, die Schönheiten und die Schwierigkeiten dieser Paarkonstellation von allen Seiten zu beleuchten. Und so entsteht ein faszinierendes literarisches Spiegelkabinett, in dem man ständig versucht herauszufinden, was richtig und was falsch ist. Um dann festzustellen, dass es das doch gar nicht gibt.
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