– Eigentlich möchte man sich mit dem Protagonisten eines Buches identifizieren können. Bei Leon de Winter fällt das schwer.

Anfang 2025 hat Leon de Winter wieder einen neuen Roman veröffentlicht. Der NDR stellte ihm dazu das Prädikat „Sensationell komponierter Roman“ aus. Wir werfen an dieser Stelle einen Blick auf ein älteres Werk des niederländischen Autors.

Denn gerade bei Autorinnen und Autoren, die schon seit einigen Jahren publizieren, ist es immer wieder interessant, auf ein früheres Werk zu schauen. Nicht nur, um Entwicklungen in der Schreibart zu sehen. Sondern auch, um herauszufinden, ob die Themen immer noch relevant sind.

SuperTex“ ist ein Roman, den de Winter bereits 1996 veröffentlichte. So viel sei schon einmal gesagt: Die Sinnsuche, auch in Verbindung mit Religion, das Hinterhertaumeln der eigenen Erwartungen und auch geerbter Erwartungen sind zeitlose Themen, mit denen sich jede Generation auseinandersetzen muss.

„SuperTex“ von Leon de Winter: Ein Scheusal auf der Therapiecouch

Max Breslauer macht eine Therapie. Zumindest hat er sich die Therapeutin, bei der er seit vier Jahren nicht mehr war, für einen ganzen Tag gebucht. Die Handlung des Romans besteht im Grunde nur aus dieser Therapiesitzung und ist durchzogen von den Geschichten, die Breslauer seiner Therapeutin erzählt.

Es fällt wirklich schwer, diesen Protagonisten sympathisch zu finden. Er ist cholerisch, arrogant und scheint sich nur um sein eigenes Wohl zu scheren. Der Grund, warum er völlig überstürzt und unbedingt den ganzen Tag bei der Therapeutin brauchte, obwohl sie eigentlich schon andere Klienten für den Tag geplant hatte, war ein Autounfall.

Beziehungsweise der Satz „Ein Jude in einem Porsche“. Denn beinahe hätte Breslauer den Sohn eines ultraorthodoxen Juden über den Haufen gefahren, als er mit seinem Porsche viel zu schnell durch Amsterdam raste. Der Satz kam vom Vater des Jungen, nachdem sich Breslauer gegen den Vorwurf des Antisemitismus erwehrte und ihm erklärte, dass er selbst Jude ist.

Es ist nicht das erste Mal, dass Max diesen Satz hört, und er stürzt ihn in eine tiefe Sinnkrise. Im weiteren Gespräch mit der Therapeutin wird deutlich, dass Max sein ganzes Leben im Zwiespalt zwischen dem Wunsch nach Anerkennung von, und der Abscheu gegen seinen Vater lebte. Bis dieser nur wenige Jahre zuvor starb.

Es entspinnt sich eine Geschichte über die Verhältnisse der Familie Breslauer, der Fehler und Gewinne des Vaters, der aus dem Nichts ein Vermögen angehäuft hat. Was mehr als beeindruckend ist, denn eine Tätowierung mit einer Zahlenfolge auf dem Unterarm verdeutlicht, was diesem jüdischen Jungen aus Polen während dem Zweiten Weltkrieg widerfahren ist. Doch auch wir verspüren den Zwiespalt gegen diesen Menschen, denn seinen Wohlstand hat er auf dem Rücken von Arbeitssklaven in asiatischen Sweatshops errichtet.

Abgesehen von seinem Vater haben sich zwei wichtige Menschen in den letzten Jahren von Max verabschiedet. Beide, weil sie den Weg vom Leben in Amsterdam als mehr oder weniger ungläubige Juden hin zum orthodoxen Glauben gefunden haben. Und für Max bleibt die Frage, wer er eigentlich ist.

„SuperTex“

von Leon de Winter

  • übersetzt von Sibylle Mulot
  • 352 Seiten
  • Diogenes Deluxe
  • ISBN: 978-3-257-26112-7
  • 12 Euro

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„SuperTex“: verstehen ohne zu mögen

Eigentlich wollen wir die Hauptfigur unseres aktuellen Lesestücks gut finden. Eigentlich wollen wir sie oder ihn mögen. Leon de Winter macht uns das in „SuperTex“ nicht gerade leicht, wenn nicht sogar unmöglich.

Denn wir können beim besten Willen Max Breslauer nicht als guten Menschen sehen, der einfach Pech hatte, mit einem schwierigen Vater aufzuwachsen. Er ist reich, überheblich, arrogant und sich selbst der Nächste.

Aber genau das macht diesen Roman interessant. Denn in gewisser Weise ist Max Breslauer tatsächlich ein Scheusal auf der Therapiecouch. Doch wir verstehen ihn auch. Wir verstehen, wie er sich zwischen Abscheu und Anerkennungswunsch gegen seinen Vater wenden kann. Und wir können die tiefe Verwirrung verstehen, die dieser Mensch verspürt, als alles, woran er zu glauben dachte, keinen Sinn mehr ergibt. Und allein dieser Spagat, den Leon de Winter hier literarisch bewerkstelligt, macht „SuperTex“ lesenswert.