Ein Satz, der wie Öl runtergeht. An sich ist man gewöhnt, dass Kulturinstitutionen Nöte haben. Kaum ein Museum oder Theater, das nicht klagte über zu wenig Platz, zu wenig Geld, zu wenig Besucher. Und dann heißt es doch tatsächlich beim Jungen Ensemble Stuttgart (Jes): „Allgemein sind wir sehr zufrieden damit, wie unsere Produktionen und Angebote angenommen werden.“
Die Zahlen des Kinder- und Jugendtheaters unterm Tagblattturm können sich auch sehen lassen: 26 622 Zuschauerinnen und Zuschauer kamen im vergangenen Jahr in die 352 Vorstellungen, was eine Auslastung von 90 Prozent ergibt. Dazu kommen noch mehr als 10 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der theaterpädagogischen Angebote des Jes, die stark nachgefragt werden. Auch wenn das mehr Aufwand bedeutet, setzt man im theaterpädagogischen Bereich „vermehrt auf kleinteilige Formate und intensiven Austausch mit den jungen Menschen in geschützten Räumen“, sagt die Intendantin Grete Pagan. In Zahlen heißt das: 2024 wurden fast 200 mehr Angebote gemacht als im Vorjahr, insgesamt waren es 859 Programme.
Das Team des Jes ist vielfältig tätig – und neben den Hausproduktionen für Familien, den pädagogischen Angeboten für verschiedenste Alters- und Zielgruppen ist das Ensemble auch regelmäßig in Schulen unterwegs. So wurde in der vergangenen Saison „F* you, Woyzeck“ oft gebucht, eine heutige und politische Lesart von Büchners „Woyzeck“, die im Klassenzimmer gespielt wird. In der neuen Spielzeit wird eine weitere mobile Produktion herauskommen: „Fred und ich“ von Lena Hach, ein Stück über die erste Liebe, das für die Unterstufe angeboten wird – direkt in der Schule.
Jes-Intendantin Grete Pagan sagt: „Theater ist ein freier Ort, an dem wir uns als Menschen begegnen.“ Foto: Lichtgut/Leif Piechowski
Auf der eigenen Bühne werden mehrere Produktionen herauskommen, wobei das Theater vor allem auf selbst entwickelte Stücke setzt. So wird die Spielzeit am 11. Oktober eröffnet mit Premiere von „WOW?!“, einem Theaterstück für ein Publikum ab zehn Jahren, das die Themen Angst und Veränderung verhandelt. Für die Inszenierung werden zwei Luftakrobatinnen engagiert. „Eintritt auf eigene Gefahr“ (ab fünf Jahren) ist dagegen ein Krimi über die Frage, wie gefährlich es ist, wenn Kinder frei und unbeobachtet spielen – ohne Kontrolle durch Eltern und Erwachsene. Ein großes Thema will ein Tanztheaterstück von Tabea Martin verhandeln: Es soll um Einsamkeit gehen, ausgedrückt mit wenig Worten, aber einer starken und expressiven Bildsprache – auch zugänglich für junge Menschen, die noch nie Tanztheater gesehen haben. Aber auch die Allerkleinsten versucht das Jes anzusprechen: „Der Lauf der Dinge“ können bereits Kinder ab drei Jahren anschauen – die Schauspieler Gerd Ritter, Maximilian Schaible und Charlie Wyrsch befassen sich mit dem Scheitern.
Zwei Festivals im kommenden Jahr
Gleich zwei Festivals finden im kommenden Jahr statt: die „Schöne Aussicht“ (15. bis 22. Mai) und im Juni das Junge Theaterfestival „Clubtopia“. Auf den ersten Blick läuft das Programm unterm Tagblattturm also wie gewohnt weiter, wobei auch Grete Pagan weiß, dass die Zukunft für die Kultur schwieriger werden könnte: „Dass das Geld aktuell überall knapp wird, geht auch an uns nicht spurlos vorüber“, sagt die Intendantin. Vor allem die „erheblichen Tariferhöhungen“ machen sich auch im Jes bemerkbar, das – wie jedes Theater – ein personalintensiver Betrieb ist.
Grete Pagan ist aber zuversichtlich, dass das Kinder- und Jugendtheater die zusätzlichen Kosten stemmen kann und die Stadt weiß, was sie am Angebot für den Nachwuchs hat. Deshalb vertraue sie „auf die Weitsicht des Gemeinderats und der Kulturverwaltung, dass sie alles daran setzen, dass die Kulturlandschaft in dieser Phase keine Schäden nimmt“. Denn solcherlei Schäden, ist sie überzeugt, seien letztlich „schwer bis gar nicht zu reparieren“.
Ein Argument, das sicher auch andere Institutionen ins Feld führen werden, Grete Pagan betont aber: „Ich kämpfe hier für einen Minderheitenschutz.“ Schließlich sei das Jes nicht nur „eine der wenigen tragenden Säulen der kulturellen Grundversorgung für Kinder und Jugendliche“, sondern auch das einzige Theater, das ausschließlich für den Nachwuchs da ist.
Aber was sollen Kinder aus Sicht der Intendantin vom Theaterbesuch mitnehmen? In der chaotischen Welt sei man leicht versucht, einfachen Botschaften zu folgen und der komplexen Wirklichkeit auszuweichen, sagt Grete Pagan. Sie will im Jes lieber Theatererlebnisse schaffen, die helfen, die Unklarheiten auszuhalten. „Dazu braucht es Leerstellen, um Räume für die Gedanken, Gefühle, Meinungen und Haltungen der Zuschauenden oder Teilnehmenden zu haben.“ Bei allem Anspruch ist Grete Pagan aber auch der Meinung, dass Theater für junge Menschen eigentlich „gar nichts leisten“ sollte – „es ist ein freier Ort, an dem wir uns als Menschen begegnen.“
Theater für junge Leute
Produktionen
Das Junge Ensemble Stuttgart (Jes) ist seit 2004 das von Stadt und Land geförderte Kinder- und Jugendtheater Stuttgarts. Auf drei Bühnen im Kulturareal unterm Turm werden pro Jahr fünf bis sechs Produktionen mit einem professionellen Ensemble erarbeitet, die sich mit der Lebenswelt junger Leute auseinandersetzen.
Festivals
Das Jes gastiert regelmäßig bei Festivals und steht als Gastgeber des Festivals „Schöne Aussicht“ alle zwei Jahre selbst im Fokus des internationalen Kinder- und Jugendtheaters. Infos zum Spielplan unter www.jes-stuttgart.de.