Stuttgart. Zwei Historiker, ein Küchentisch, ein Intro von Bruno Kreisky – mehr braucht es offensichtlich nicht für einen erfolgreichen Podcast. Seit zehn Jahren begeistern Daniel Meßner und Richard Hemmer mit „Geschichten aus der Geschichte“ Hunderttausende Hörer mit Themen, die sonst kaum jemand kennt. Eine Spurensuche nach dem Erfolgsgeheimnis zweier großer Erzähler.

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Stuttgart, Mozartsaal, ein Dienstagabend Anfang Oktober. 790 Menschen haben sich eingefunden, um zwei Historikern zuzuhören. Kein Kammerkonzert, kein Chopin, kein Starpianist. Sondern Daniel Meßner und Richard Hemmer, zwei Studienfreunde aus Wien, die mit schwarzen Pullovern, einem schüchternen Lächeln und einem unverwechselbaren Intro die Bühne betreten: „Lernen’S ein bissl Geschichte und dann werden Sie sehen, Herr Reporter, wie sich das damals entwickelt hat“, dröhnt der ehemalige österreichische Bundeskanzler Bruno Kreisky aus den Boxen. Der Saal lacht – und weiß: Die Zeitreise beginnt. Wieder einmal.

Seit ziemlich genau zehn Jahren erzählen sich Meßner und Hemmer in ihrem Podcast „Geschichten aus der Geschichte“ Woche für Woche historische Episoden. Einer bereitet ein Thema vor, der andere kennt es nicht. Und das Publikum? Hört zu – Hunderttausende jeden Monat. Mittlerweile ist das Format das erfolgreichste Geschichtsangebot im deutschsprachigen Raum: über 500 Folgen, ein Buch, eine Deutschlandtour, Liveshows in ausverkauften Häusern. Ein Konzept, das so simpel klingt, dass es fast banal wirkt. Und doch ist es ein kleines Phänomen.

Zwei Nerds, ein Küchentisch, ein Intro

Wintersemester 2015/16, Uni Wien. Ein Seminar, in dem Gerichtsakten in Kurrentschrift entziffert werden sollen. Meßner, der Regensburger mit dem weichen rollenden R, liest sie mühelos. Hemmer, der Österreicher mit Wuschelfrisur und trockenem Humor, verzweifelt. „Kannst du mir da mal kurz helfen?“ – so beginnt eine Freundschaft. Bald darauf: ein Podcast. „Zehn Minuten, eine Viertelstunde, einmal die Woche. Nur eine kurze Geschichte aus der Geschichte erzählen“, erinnert sich Hemmer im Gespräch mit unserer Redaktion. Folge eins trägt den Titel „Vier Langobarden-Könige und ein Trinkbecher“. Aus der Idee am Küchentisch wird Routine, aus der Routine ein „luxuriöses Hamsterrad“.

„Ich bin in den letzten zehn Jahren nicht in den Urlaub gefahren, ohne dass wir nicht auch aufgenommen haben“, sagt Meßner. Eine Folge ausfallen zu lassen – selbst bei Krankheit, Terminstress oder Reisen – kam für die beiden nie infrage. Mittlerweile erreichen sie pro Episode pro Monat rund 300.000 Downloads. Einmal eingestiegen, kommen viele Hörer nicht mehr heraus: Die Themen sind zeitlos, Folge 128 funktioniert auch fünf Jahre später. Es gibt Stoff für etliche Stunden – auch für die Hörerschaft ein Hamsterrad.

Geschichten, keine Heldenepen

Das Erfolgsgeheimnis liegt dabei nicht in bombastischen Stoffen. Im Gegenteil. Cäsar, Napoleon oder Karl der Große tauchen allenfalls am Rand auf. Meßner und Hemmer interessieren sich für das Nebenbei, das Kuriose, das kaum Erzählte. Für Hannah Glasse, die im 18. Jahrhundert in England ein Kochbuch schrieb. Für Gustav Weißkopf, einen Flugpionier aus Franken. Für Lancelot „Capability“ Brown und den Englischen Garten oder die kleine Geschichte der Sonnenbrille. „Hey, das ist ein Thema, von dem wusste ich noch nichts – da habe ich jetzt wirklich Bock, mich zwei Wochen lang einzulesen“, sagt Meßner. Grenzen? Tabu-Themen? Gibt es hier nicht. Vor Hemmer und Meßner ist kein noch so nerdiger Stoff sicher.

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Ihre Recherchearbeit ist akribisch, ihre Erzählweise beiläufig. Das ist der zweite Schlüssel zum Erfolg: Die Geschichten sind gesättigt mit Fakten, Zitaten und Kontext – aber sie klingen wie Gespräche unter Freunden am Küchentisch. „Ich schreibe meine Folgen so, wie ich sie hören wollen würde“, sagt Meßner. Die Beiläufigkeit ist kein Zufall, sondern Methode. Und sie spiegelt, wie das Publikum zuhört: neugierig, nicht zwingend akademisch.

Meßner und Hemmer betreiben nicht einfach historische Handwerksarbeit, sie verwandeln den Wust aus Quellen und Literatur, der selbst in den verborgensten Nischenthemen steckt, in fein gesponnene Erzählungen. Alles ist blitzsauber recherchiert, dicht komponiert – und oft öffnet sich durch ihre Geschichten ein Schlüsselloch in größere Epochen, in übergeordnete Zusammenhänge.

Von der Nische auf die Bühne

In Stuttgart zeigen Meßner und Hemmer, dass ihr Format auch vor Publikum funktioniert. Schlagfertig, souverän, mit verblüffender Bühnenpräsenz tragen sie ihre Geschichten vor. Die Zuschauer jubeln, lachen, staunen. Was vor zehn Jahren mit einem Laptop und einem Mikrofon begann, füllt heute Säle in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Dass sie einmal auf Tour gehen würden, hätten die beiden vermutlich nie gedacht.

Ihr Podcast ist längst ein Mini-Medienimperium: Ein Buch ist erschienen, ein eigenes Spiel steht in den Startlöchern. Die Themen gehen ihnen nicht aus – das liegt in der Natur der Geschichte. „Wenn jemand einen Podcast macht, dann muss er auch eine gewisse Freiheit des Erzählens mitbringen und die auch ausnutzen“, sagt Meßner. Genau das tun sie.

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Vielleicht ist das der entscheidende Punkt. Meßner und Hemmer erzählen nicht, weil sie müssen, sondern weil sie wollen. Weil sie sich selbst begeistern. „Ich freue mich tatsächlich jedes Mal darauf, dem Richard meine Geschichte zu erzählen. Ich weiß gar nicht, warum das nicht aufhört“, sagt Meßner. Hemmer ergänzt: „Vor dem Auftritt denke ich oft: Warum tun wir uns das an? Aber wenn ich auf der Bühne stehe und die Begeisterung der Leute sehe – dann weiß ich es wieder.“

Das, was gute Geschichten schon immer ausmacht

Über 500 Folgen, unzählige Geschichten, Millionen Hörer. Zwei Historiker, die einfach erzählen. Und damit zeigen, was Geschichte sein kann: lebendig, überraschend, nahbar. Wer einmal zuhört, versteht, warum der Podcast so erfolgreich ist. Es geht nicht um Daten und Namen, sondern um das, was gute Geschichten schon immer ausmacht: Menschen, Neugier und zwei, die einander zuhören. „Wir haben uns den Job geschaffen, der uns am allerliebsten ist. Insofern kann ich mir nicht vorstellen, irgendwas anderes zu machen. Das muss jetzt auch bis zur Rente so gehen“, lacht Hemmer. Ein Satz, halb Scherz, halb Bekenntnis – und ziemlich ernst gemeint. Vielleicht ist das am Ende das Geheimnis ihres Erfolgs: Zwei, die nicht nur Geschichten erzählen, sondern sich eine geschaffen haben, die sie nie wieder loslassen wollen.