Mailand oder Madrid – diese Frage ist aus Sicht des Berliner Basketballs erst einmal passé. Die Gegenwart heißt an diesem Mittwoch (20.00 Uhr bei DAZN und Dyn) Chalon-sur-Saône. Von dort, aus einer 45.000-Einwohner-Stadt im Burgund, kommt der erste Gegner in der Champions League.
Immerhin 7000 Fans werden zu dieser Europapokal-Premiere in der Uber Arena erwartet, die einem sportlichen Abstieg folgt: Nach zwölf Jahren in der Euroleague, von der manche sagen, dass dort besserer Basketball gespielt wird als in der NBA, hat sich Alba für eine Verkleinerung entschieden – mit dem Ziel, in absehbarer Zeit wieder bei den ganz Großen mitzuspielen.
In der vergangenen Woche sprach die Klubführung mit Präsident Axel Schweitzer und Geschäftsführer Marco Baldi so direkt und deutlich wie noch nie aus, worüber man in Basketball-Deutschland schon länger spricht: „Die NBA Europe wird kommen, und wir wollen dabei sein“, sagte Baldi, und damit es auch alle hörten, sagte er es auch noch ein zweites und ein drittes Mal.
Dahinter steht für die Berliner allerdings ein noch größeres Spiel: Ob Alba, ein Sportverein, wie es in Deutschland keinen zweiten gibt, am Ende auf der richtigen Seite der Basketballgeschichte steht.
Berliner Jungs unter den Europameistern
Gemeint waren die gebürtigen Berliner und ehemaligen Alba-Profis Franz Wagner und Maodo Lô, der frühere Kapitän Johannes „JT“ Thiemann, und auch Alan Ibrahimagic, der Ko-Trainer, der lange als Jugend- und Assistenztrainer bei Alba war. Mit sieben Jahren habe Wagner, der heutige NBA-Star, bei Alba angefangen, in dem damals noch ziemlich neuen Programm, das Verein und Schulen in der Hauptstadt vernetzt und von dem man nicht nur sagen kann, dass es Wagner auf den Weg zu dem gebracht hat, was er heute ist – sondern auch Berlin zu dem, was es heute ist: eine Basketball-Stadt.
15.000 Kinder sind es in den Jugendprogrammen von Alba, an fünf Schulen organisiert der Verein die Ganztagesbetreuung, hier ist Alba der deutschen Sport-Zukunft voraus. Die Wirkungen gehen tief in die Stadt hinein. Wenn anderswo alle Kinder zum Fußball wollen, haben hier ziemlich viele auch den Korb im Blick.
Triumph mit Berliner Fundament: die Europameister aus Deutschlanddpa
Was Schweitzer also sagen wollte: dass der Erfolg des deutschen Basketballs nicht zuletzt auf Berliner Fundament steht. Was man dabei aber mitdenken musste: Ein aktueller Alba-Profi war nicht dabei, die besten Deutschen spielen, wenn sie noch in Deutschland spielen, nicht mehr in Berlin, sondern eher beim FC Bayern. Alba, der elfmalige deutsche Meister, steckt mit seinem Modell im Abwehrkampf.
Schon ein paar Jahre haben die Berliner sich mit ihrem Profiteam an einer Quadratur des Kreises versucht: Mit ihren Mitteln in der Bundesliga erfolgreich zu sein und in der Euroleague mitzuhalten. Am Ende reichte es für beides nicht mehr. Die Investitionen in die Breite, auch in das Frauen-Team, der Berliner Markt, wo der Konkurrenzkampf groß ist, die Wirtschaftskraft eher nicht, der Vertrag mit der Anschutz Entertainment Group über die Nutzung der Uber Arena, von dem Alba sich zunehmend gefesselt fühlte: Es gab viele Gründe, warum das Geld nicht mehr reichte.
Die realen Kräfte des Marktes bekommen die Berliner aber auch noch an anderer Stelle zu spüren: Talente, die mit gewaltigen Gehältern von amerikanischen Colleges gelockt werden, sind ein „Weltthema“ für den Basketball, wie es nicht nur bei Alba heißt. Aber für einen Verein, der viel investiert, um dieses Talent auszubilden, ein ganz besonderes.
Ein „zentraler europäischer Basketball-Standort“
Das alles klingt nach Abstieg, und weil Alba schon einmal in der anderen Rolle war, habe es auch Häme gegeben, sagt Baldi. Aber viel lieber erzählt er von der Zustimmung. Vom Wunsch, etwas gestalten zu wollen, weil das „in der DNA des Klubs“ liege. Und davon, was Berlin trotz allem in Zukunft sein soll: ein „zentraler europäischer Basketball-Standort“.
Dabei setzt Alba darauf, dass im Spiel der Kräfte gerade noch etwas ganz anderes in Bewegung kommt. Ein Joint Venture des Internationalen Basketball-Verbandes (FIBA) mit der nordamerikanischen Profiliga NBA wäre das dicke Ding im europäischen Basketball, eine Neuordnung, in der auch der Privatklub Euroleague seinen elitären Rang verlöre. Aber noch ist vieles unklar, Standorte, Finanzierung, Starttermin – 2027 oder 2028 erscheinen möglich.
Und selbst wenn es heißt, dass Alba in einem regelmäßigen Austausch mit den Machern stehe, bedeutet das noch nicht, das sie am Ende auch wirklich dabei wären. Was man in Berlin aber sehr wohl registrierte: Dass sich die Konkurrenz aus München, die lange fest zur Euroleague stand, kürzlich ebenfalls offen für die NBA Europe gezeigt hat. „Es scheint so zu sein, dass die Bayern auch so langsam mitkriegen, wohin der Zug fährt“, spöttelte Baldi.
Disruption als Chance
Allein die Aussicht, dass die NBA Europa nach Berlin kommen könnte, soll jetzt schon etwas in Bewegung bringen, Alba sehnt sich nach einer anderen Spielstätte, aber auch nach einem zentralen Ort, an dem der Klub zu Hause ist. Beim Hallenthema haben sie das Gefühl, von Berlin nicht genug für das zurückzubekommen, was sie der Stadt geben.
Im Alltag aber geht es erst einmal um etwas anderes. „Wir müssen sehen, wie die Community und Berlin es annimmt, wenn es nicht Real Madrid ist“, sagt Baldi. Und wenn Alba selbst ein anderes ist. Um über 40 Prozent schrumpfte der Etat, weil mit der Euroleague auch eine erhebliche Zahl an Spielen und Planungssicherheit verloren ging, vom Team der vergangenen Saison sind nur noch vier übrig: Malte Delow, Jonas Mattisseck, Martin Hermannsson, Justin Bean. Acht neue kamen, große Namen sind nicht darunter.
Bei Alba verkaufen sie Disruption gerade beherzt als Chance. Mit der Nationalmannschaft als Vorbild für leidenschaftlichen Basketball, bei dem Teamgeist Grenzen verschieben kann. Mittelmaß? „Das Gegenteil ist der Fall“, sagt Baldi. In der Bundesliga wie in der Champions League, wo Nymburk (Tschechien) und Sabah (Aserbaidschan) die weiteren Gruppengegner sind, wollen sie „bis zum letzten Spieltag auf dem Parkett stehen“.
Es sieht so aus, als habe Alba für seinen neuen Weg Kredit: Die Sponsoren hätten mitgezogen, sagt Baldi, der Rückgang bei den verkauften Dauerkarten halte sich mit einem Minus zwischen 10 und 15 Prozent in Grenzen, zum ersten Saisonspiel gegen Aufsteiger Trier kamen 10.000 Zuschauer, die allerdings sahen nach rauschendem Start eine 92:97-Niederlage.
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Und auch wenn im zweiten Spiel ein 97:78 beim zweiten Aufsteiger Jena folgte und die Saison noch jung ist, rief das in Erinnerung, dass es auch einen schlechteren Fall geben könnte. In dem die Geschichte anders weiter- und, zumindest im Spitzenbereich, über Alba hinweggeht. Es wäre, nicht nur aus Berliner Sicht, eine bittere Ironie.