Der zwischen US-Präsident Donald Trump und der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vereinbarte „Deal“ über einen generellen Basiszoll von 15 Prozent auf alle EU-Exporte in die USA könnte sich schon bald in Luft auflösen. Der Deal war von der EU unter Druck geschlossen worden, weil die Europäer die US-Unterstützung für die Ukraine nicht gefährden wollen. Doch die Amerikaner wollen sich von Ursula von der Leyen nicht über den Tisch ziehen lassen.
Wie Bloomberg und die Financial Times (FT) übereinstimmend berichten, sehen sich EU-Beamte, die eine konkrete Vereinbarung aushandeln sollen, mit neuen Forderungen aus Washington konfrontiert. Anfang des Monats übermittelte die Regierung von US-Präsident Donald Trump der EU laut Bloomberg einen neuen Vorschlag zur Umsetzung eines „gegenseitigen, fairen und ausgewogenen“ Handels. Kernpunkt: Die USA fordern die EU auf, Teile ihrer Umweltgesetzgebung zu lockern.
Laut einem Positionspapier der US-Regierung, das offenbar auch der Financial Times vorliegt, hat Washington Brüssel aufgefordert, die Erfordernis an Nicht-EU-Unternehmen zur Vorlage von „Klimawandelplänen“ aufzuheben. Sie fordert außerdem, dass die EU ihre Umweltgesetzgebung für Lieferketten ändert, die US-Unternehmen ausschließen würde.
Die im vergangenen Jahr in Kraft getretenen EU-Regeln zur unternehmerischen Sorgfaltspflicht verpflichten Unternehmen der Union, alle ökologischen und sozialen Schäden in ihren Lieferketten zu identifizieren, um Zwangsarbeit und Umweltverschmutzung zu bekämpfen. Verstöße gegen die Sorgfaltspflichten können zu Geldstrafen von bis zu fünf Prozent des weltweiten Umsatzes führen.
US-Unternehmen befürchten, dass die Sorgfaltspflichten sie in einem ohnehin schon streitigen Markt einem erhöhten Risiko von Klagen aussetzen. Aktivisten könnte rechtliche Schritte gegen Kinderarbeit und Umweltschäden in den Lieferketten einleiten. Der FT zufolge haben mehrere amerikanische Unternehmen erklärt, dass sie aufgrund der Sorgfaltspflichten und der Nachhaltigkeitsberichterstattung ihre Geschäftstätigkeit in der EU einstellen müssen. Diese Vorschriften verlangen von Unternehmen die Offenlegung von Hunderten von Datenpunkten zu ihrem ökologischen Fußabdruck.
Vor allem US-amerikanische Öl- und Gasunternehmen lehnen die EU-Gesetze ab: ExxonMobil-Chef Darren Woods bezeichnete die Regeln bei einer Telefonkonferenz im August als Drohung mit „knochenbrechenden“ Strafen für US-Unternehmen.
Die US-Regierung lehnt außerdem ein geplantes EU-Gesetz gegen Abholzung ab, das die Einfuhr von Gütern wie Holz und Kakao verbieten würde, wenn die Produzenten nicht nachweisen können, dass bei ihrer Produktion keine Wälder abgeholzt wurden. Hier ist die Kommission offenbar bereits teilweise eingeknickt: Brüssel kündigte im September an, die Abholzungsvorschriften ein zweites Mal um ein weiteres Jahr zu verschieben, und begründete dies mit einem „IT-System“-Problem.
Die USA haben zudem Bedenken hinsichtlich der CO₂-Grenzsteuer der EU geäußert, die ab nächstem Jahr für umweltverschmutzende Industrien außerhalb der EU, wie beispielsweise Stahl- und Aluminiumhersteller, gelten soll.
In der EU geht nun die Sorge um, dass die Forderungen den „Deal“ untergraben könnten. Im Gegensatz zu traditionellen Handelsverhandlungen bieten die USA im Gegenzug für ihre Forderungen keine Zugeständnisse an. „Es ist eine Einbahnstraße“, sagte ein EU-Beamter der FT.
Wenn der Deal obsolet wird, hätte diese vor allem für Deutschland weitreichende Folgen. Die 15-Prozent-Marke kommt vor allem der Autoindustrie entgegen. Die Branche braucht unbedingt Klarheit, steckt sie doch wegen der hohen Energiekosten in einer tiefen Krise. Neueste Zahlen zeigen, wie ernst die Lage ist: Die deutsche Industrieproduktion fiel im August auf das Niveau von vor zwanzig Jahren, nämlich auf das des Jahres 2005, zurück. Die Produktion der Automobilindustrie brach im Vergleich zum Vormonat um 18,5 Prozent ein. Insgesamt sank die Industrieproduktion im August im Vergleich zum Vormonat um 4,3 Prozent, wie saisonbereinigte Daten am Mittwoch zeigten. Ökonomen hatten in einer Reuters-Umfrage einen Rückgang von einem Prozent vorhergesagt. Abgesehen von Covid und der Finanzkrise ist die Produktion seit dem Jahr 2000 nie derart niedrig gewesen.