Kaleb Erdmann hat es mit seinem zweiten Buch auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises 2025 geschafft.
Bild: Jakob Kielgraß
Kaleb Erdmann steht mit „Die Ausweichschule“ auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises. Er erzählt vom Amoklauf an einer Erfurter Schule – einem Ereignis, das er selbst miterlebt hat.
Bild: Jakob Kielgraß
Die jüngsten Wochen fühlen sich für Kaleb Erdmann gerade wie ein Höhenflug an. Wegen seiner Nominierung für die Shortlist des Deutschen Buchpreises 2025 ist der 34-Jährige in der Literaturszene in aller Munde. „Für mich war schon die Longlist unglaublich und da ist total viel in Gang gekommen. Mit der Shortlist hat sich das noch intensiviert. Es sind gute Wochen gerade!“
Nach dem Amoklauf war unser Gebäude in ganz vielen Arten verwundet. Es hatte Einschusslöcher, es musste renoviert werden und es war auch ein Ort des Traumas.
Kaleb Erdmann über den Amoklauf amErfurter Gutenberg-Gymnasi2m 2003
„Die Ausweichschule“ handelt von einem Amoklauf an einem Erfurter Gymnasium im Jahr 2002. Erdmann war damals 11 Jahre alt und in der fünften Klasse als er Zeuge wurde, wie ein ehemaliger Schüler des Gutenberg-Gymnasiums zwölf Lehrer, zwei Schüler, eine Sekretärin und einen Polizisten erschoss. Der Titel des Buchs verweist auf das Gebäude, das nach der Tat als Ersatzschule fungierte: „Nach dem Amoklauf war unser Gebäude in ganz vielen Arten verwundet. Es hatte Einschusslöcher, es musste renoviert werden und es war auch ein Ort des Traumas, an den man nicht sofort zurückkehren konnte“, erinnert sich Erdmann.
Mit Literatur Vielschichtigkeit zulassen
Die Erwachsenen versuchten in der Ausweichschule Normalität herzustellen, während viele Schülerinnen und Schüler noch dabei waren, das Geschehene zu verarbeiten. Kaleb Erdmann hatte das Glück, dass er selbst keine Gewalt hatte mit ansehen müssen, saß aber gemeinsam mit anderen, die die Amoktat gesehen hatten, in Therapiesitzungen.
Ich glaube, dass die Literatur den großen Vorteil hat, dass sie diese Bestimmtheit nicht hat.
Kaleb Erdmanns Antwort auf die Frage, warum er einen Roman über seine Erlebnisse geschrieben hat.
Der Erzähler seines Buches ringt damit, in den Jahren danach ein belletristisches Buch über den Amoklauf schreiben zu wollen. Wie Erdmann selbst. Auch er hat sich viele Jahre gefragt, was Literatur eigentlich neben journalistischen Texten oder Sachbüchern zur Verarbeitung beitragen kann. Am Ende fand er es hilfreich, dass Literatur anders sein darf. „Ich glaube, dass die Literatur den großen Vorteil hat, dass sie diese Bestimmtheit nicht hat und sie von ihr auch nicht erwartet wird. Dass sie absichtlich zweideutig sein kann, ungenau, vielschichtig.“
Humor dank Poetry Slam
Eine fiktionalisierte und dramatischere Version des Amoklaufs wollte Kaleb Erdmann bewusst nicht schreiben. Viele Namen und Details hat er nicht verändert, auch aus Respekt vor Opfern, Überlebenden und Angehörigen. Das Buch ist tief und andererseits humorvoll in der Person des strauchelnden Protagonisten. „Für mich hat das absolut dazu gehört. Natürlich hat das was damit zu tun, dass ich mit Humor schon viel gearbeitet habe“, so Erdmann, der in den letzten Jahren vor allem als Spoken-Word-Künstler, Dramatiker und Fernsehautor in Erscheinung getreten ist.
Ich fand die Idee unglaublich faszinierend, dass man fünf Minuten hat und die füllen kann mit was man will.
Kaleb Erdmann über die Kunstform des Poetry Slams.
Als Poetry Slammer stand er schon hunderte Male auf der Bühne. „Von Anfang an fand ich die Idee unglaublich faszinierend, dass man fünf Minuten hat und die füllen kann mit was man will“, beschreibt er seine Liebe zum literarischen Wettbewerb.
Weg von den Pointen hin zum Roman
Geboren ist der heute 34-jährige Autor 1991 in Witten im Ruhrgebiet, bevor er später in Bayreuth und Erfurt aufgewachsen ist. Drei Jahre lebte er in der thüringischen Landeshauptstadt, bevor seine Eltern mit ihm weiter nach München zogen. In seiner Jugend organisierte er Demonstrationen und Vorträge und studierte Politikwissenschaften und Politische Theorie, bevor er sich schließlich aufs Schreiben konzentrierte. Heute nennt sich Erdmann Text-Produzent und ist als Autor breit aufgestellt. Immer noch profitiert er vom breiten Netzwerk, das er sich über die Jahre in der Slam-Szene aufgebaut hat. Er schreibt sowohl für die Bühne, fürs Fernsehen und hat schon während seiner Zeit am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig versucht, sich vom pointen-haften, lauten Schreiben der Bühnenliteratur weg zur Belletristik zu bewegen.
Ich freue mich, jetzt gerade wieder ins Schreiben zu kommen.
Kaleb Erdmann über die Anfänge seines nächsten Romans.
Erst im letzten Jahr ist Erdmanns Debüt „Wir sind Pioniere“ über ein junges Paar, das seine offene Beziehung durch eine ungeplante Schwangerschaft überdenken muss, erschienen. Spätestens mit „Die Ausweichschule“, seinem kunstvollen Roman über die Suchbewegungen eines Romanschreibers und das Erzählen einer Katastrophe, ist Kaleb Erdmann der Schritt ins Roman-Fach gelungen. Aktuell freut sich Erdmann noch über die vielen Lesungen und Veranstaltungen mit seinem Buch, doch mit der Arbeit an seinem nächsten Roman hat er schon begonnen: „Ich freue mich, jetzt gerade wieder ins Schreiben zu kommen.“
Dieses Thema im Programm:
Bremen Zwei, Gesprächszeit, 8. Oktober 2025, 18:05 Uhr