Auch ein paar Tage nach dem Köln-Marathon war die Stimme von Tanja Spill noch stark angeschlagen. Allerdings nicht, weil sie als 800-Meter-Spezialistin von internationalem Format ihre Freude über ihre überaus gelungene Halbmarathon-Premiere in einem Wettbewerb lauthals herausgeschrien hätte. Die Athletin des TSV Bayer Dormagen hatte schon vor dem Laufspektakel in der Domstadt leicht gekränkelt, hinterher war eben die Stimme fast weg, zum Glück aber ohne andere Erkältungssymptome. Allerdings wären einige Freudenschreie durchaus angebracht gewesen, denn bei ihrer Premiere über die 21,1 Kilometer lief sie beachtliche 1:20:15 Stunden und landete in der Gesamtwertung auf Rang acht.
Anfang des Jahres hatte sie zusammen mit einem Arbeitskollegen mal ein bisschen herumgesponnen und sich als Tempomacherin angeboten, um die Chancen für ihn zu erhöhen, die 1:30-Stunden-Marke zu knacken. Doch als der Kollege irgendwann absprang, entschied sich die 29-Jährige, dennoch das Halbmarathon-Abenteuer anzugehen – ganz ohne spezielle Vorbereitung. „Ich wollte einfach mal gucken, was geht“, sagt Spill, die sich nach Abschluss der Bahnsaison Anfang September eigentlich in der Pause befindet. Doch Auftritte bei den Heimat-Laufveranstaltungen in Straberg und Zons und eben jetzt in Köln zeigen, dass die Dormagenerin wieder richtig Lust am Laufen hat. Das sah Ende Februar dieses Jahres noch komplett anders aus. Nachdem die 29-Jährige nach dem verkorksten Olympiajahr 2024 aus ihrem gewohnten Dormagener Umfeld in die Trainingsgruppe von Isabelle und Jackie Baumann, Frau und Tochter von Olympiasieger Dieter Baumann, nach Tübingen gewechselt war, hatte sie große Hoffnungen gehabt, zu alter Stärke zurückzufinden. Doch bei den Deutschen Hallenmeisterschaften, die sie 2021 in Dortmund noch gewonnen hatte, erlebte sie mit einer Disqualifikation ein Debakel und stürzte in eine Sinnkrise.
Doch wie schon so oft in ihrer Karriere steckte sie nicht auf und arbeitete mit ihrer neuen Trainerin Jackie Baumann fleißig an ihrer Form für den Sommer. Mit Erfolg. Bei den Deutschen Meisterschaften in Dresden verpasste sie ganz knapp die Bronzemedaille und meldete sich in der nationalen Spitze zurück. Nach dem Saisonhöhepunkt fühlte sie sich so gut, dass sie ihre Saison fortsetzte und zum Abschluss beim Meeting in Trier in 2:00,86 Minuten die zweitbeste Zeit ihrer Karriere auf die Bahn zauberte. Insofern ist der Auftritt in Köln nur ein weiteres Indiz dafür, dass der Spaß zurück ist. Auch wenn der Halbmarathon ganz weit weg ist von dem, was die Dormagenerin normalerweise läuft.
Einmal hatte sie im Vorfeld rund 23 Kilometer aus Dormagen zur Arbeit nach Neuss absolviert, ansonsten gab es keine spezielle Vorbereitung. „Mit so einer Zeit habe deswegen gar nicht gerechnet. Aber das zeigt, dass die Form immer noch da ist und die Grundlagen stimmen“, erklärt Tanja Spill, die auch keine Angst hat, dass ihr der Ausflug auf die für sie ganz lange Distanz mit Blick auf die Vorbereitung für die Hallensaison schadet. Schließlich stünde in der Pause ohnehin die Grundlagenausdauer im Fokus. Und in einer Atmosphäre wie in Köln fällt es dann noch mal leichter, an seine Grenzen zu gehen.
„Das war schon ein Highlight. Von der Bahn bin ich es ja nicht gewöhnt, dass mich so viele Menschen aus der Nähe anfeuern. Und weil ich in Köln auch noch ziemlich weit vorne mitgelaufen bin, haben mich die Menschen noch mal stärker unterstützt“, sagt Tanja Spill, was ihr besonders in einer ganz schweren Phase geholfen hat. „Kilometer 7 bis 16 waren eine echte Challenge. Da war ich ziemlich platt.“ Begeistert war die Dormagenerin, die sich in Köln recht gut auskennt, auch von der Streckenführung. Zu wissen, dass sie bald den nächsten Hotspot der Stadt erreicht, war ebenfalls sehr motivierend.
Wie das gesamte Event für die Hallenvorbereitung, die laut Trainingsplan eigentlich schon für diese Woche die ersten Einheiten vorgesehen hat. Doch vor dem Hintergrund des Halbmarathon-Starts war da in kluger Voraussicht noch eine gewisse Unverbindlichkeit eingebaut, richtig ernst wird es erst ab nächster Woche. Künftig geht es auch wieder regelmäßig nach Tübingen. Mit der dortigen Trainingsgruppe steht Anfang Januar ein Trainingslager im portugiesischen Monte Gordo an. Der Schwerpunkt der Hallenrennen liegt im Februar, Höhepunkt sind wieder die Deutschen Meisterschaften. „Im Winter gilt das Motto: alles kann, nicht muss“, betont Spill und ergänzt: „Der Fokus liegt auf dem Sommer. Dann möchte ich die zwei Minuten noch mal angreifen.“
Und der nächste Halbmarathon? Einen erneuten Start in Köln im kommenden Jahr kann sich die 29-Jährige gut vorstellen, dann aber mit gezielter Vorbereitung, „um zu sehen, was geht“. An die Karriere auf der Bahn noch eine auf der Straße dranzuhängen, kommt für Tanja Spill bei allem Ehrgeiz aber nicht in Frage. „Es gibt tolle Marathons in attraktiven Städten. Ich kann mir zwar vorstellen, da zum Spaß zu laufen. Aber irgendwann müssen sich die Prioritäten auch in Richtung Beruf und Familie verschieben.“