Digital wählen wäre viel inklusiver und entlastend – wieso ist das in Deutschland noch nicht möglich?
Ein Sonntag in Deutschland: In vielen Haushalten machen sich Menschen für einen kleinen Spaziergang fertig. Ihr Ziel ist die nächste Grundschule, Turnhalle oder das Bürgerbüro. Dort setzen sie auf einem großen Papier zwischen Pappaufstellern zwei Kreuzchen. Nach Schließung des Wahllokals zählen Hunderte Ehrenamtliche die Stimmen dann per Hand aus.
Das klingt nach einem Prozess aus dem letzten Jahrhundert. Aber nein, es ist 2025 und immer noch läuft jede Bundestags- und Kommunalwahl so oder so ähnlich ab. Wieso sind wir nicht längst an dem Punkt, digital zu wählen? Liegt Deutschland technisch gesehen so weit zurück? Oder gibt es andere Gründe?
Warum digitale Wahlen Vorteile bringen
In der Theorie klingt das digitale Wählen einfach und vorteilhaft. Einerseits könnte die Hürde, überhaupt wählen zu gehen, kleiner werden. In einer aktuellen, repräsentativen Befragung im Auftrag des Digitalverbands Bitkom sagten 45 Prozent der Menschen, die eigentlich nicht wählen wollten, dass sie doch ihre Stimme abgeben würden, wenn dies digital von zu Hause aus möglich wäre.
Die Wahlbeteiligung würde also vermutlich steigen – und genau das ist das Ziel von Bund, Ländern und Kommunen. Schließlich gilt: Je mehr Menschen teilnehmen, desto stärker ist die Demokratie.
Auch Menschen mit deutschem Pass, die im Ausland leben, könnten einfacher wählen. Das gilt ebenso für Personen, die aus körperlichen Gründen nicht ins Wahllokal gehen können. Eine Online-Wahl wäre also deutlich inklusiver.
Hinzu kommt, dass die Auswertung schneller und mit weniger Personal erfolgen könnte. Es würden weniger Ehrenamtliche benötigt und auch Papier würde eingespart – die Wahl wäre ressourcenschonender.
Risiken und Herausforderungen digitaler Wahlen
Das klingt überzeugend, oder? Doch warum wird das in Deutschland und anderen Ländern bisher nicht umgesetzt? Die Antwort ist einfach: Online-Wahlen sind riskanter und in Deutschland zudem rechtlich nicht möglich. Digitale Wahlverfahren sind deutlich anfälliger für Hackerangriffe. Daten könnten gestohlen oder sogar manipuliert werden.
Ein Beispiel: Bei einer Online-Wahl in Ontario, Kanada, zeigte sich, wie groß das Risiko ist. Bis heute lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, ob es zu Manipulationen gekommen ist. Die Stimmabgabe-Webseiten waren nicht ausreichend geschützt. So hätte etwa die Reihenfolge der Kandidierenden verändert und Stimmen an die falschen Personen geleitet werden können.
Zusätzlich erhielten Bürger:innen persönliche Briefe mit Codes zur Registrierung. Diese Briefe konnten abgefangen werden. Gerade in Kanada, wo oft Gemeinschaftspostkästen genutzt werden, war das ein Problem. Zumal die Umschläge klar als staatliche Post erkennbar waren.
In Estland läuft es etwas sicherer. Dort wird seit 2005 digital gewählt, wobei die Wahl ins Wahllokal weiterhin möglich ist. Zur Online-Abstimmung lädt man eine geschützte Software herunter und weist sich mit der ID aus. Dadurch wird Wahlbetrug deutlich erschwert. Bisher gab es jedoch kaum Auswirkungen auf die Wahlbeteiligung. Nun versucht Estland, vor allem junge Menschen über die Möglichkeit der Stimmabgabe per Handy zu erreichen. Wann das startet, ist noch offen.
Warum Deutschland noch nicht digital wählt
Deutschland wird diesem Beispiel jedoch nicht folgen. Ein Grundsatz unseres Wahlsystems ist, dass Wahlen so öffentlich wie möglich stattfinden. Bei einer Online-Wahl wäre eine öffentliche Auszählung nicht gewährleistet. Selbst wenn die Technik bereitstünde, müsste auch das Wahlrecht geändert werden.
Beides ist derzeit nicht in Sicht. Also werden wir in Deutschland wohl noch einige Jahre lang entweder zur Wahlurne spazieren oder Briefwahl beantragen.