Stand: 09.10.2025 11:54 Uhr

Für die NDR 2-Reihe „Songs & Stories“ hat Betterov ein Konzert in Hamburg gegeben. Im Rolf-Liebermann-Studio des NDR spielte er dabei einen neuen Song zum ersten Mal live am Klavier. Tickets gab es ausschließlich bei NDR 2 zu gewinnen.

von Kai Salander

Nebel steigt hinter dem schwarzen Flügel auf. Das Publikum ist bunt gemischt. Alle eint ein rotes Band, das jedem um den Hals hängt, daran die begehrte Eintrittskarte – wie ein VIP-Pass. Die Lichter bleiben gedimmt, bis Betterov die erste Strophe singt. Der Job im Büro oder an der Werkbank, die noch zu erledigenden Einkäufe, der Alltagsstress, all das scheint in diesem Moment vergessen, weit vor der Tür zu liegen.

Auf den Rängen: Eine Stimmung wie bei einem hochspannenden Vortrag in einem Hörsaal. höchste Konzentration auf die Musik und den Moment. Das Publikum blickt gebannt auf die Bühne, niemand spricht, einige klopfen leise im Takt auf die Jeans. Alle Ohren sind gespitzt, niemand will eine Melodie oder einen Akkord verpassen. Fans in den Mittzwanzigern sitzen neben Gästen im mittleren Alter, einige nicken anerkennend, wiegen sich leicht im Takt der tiefsinnigen Balladen.

Unplugged im großen NDR Studio

Die Fans hören die Songs an diesem Abend einmal komplett „unplugged“: keine E-Gitarren, kein treibendes Schlagzeug. Manuel Bittorf, wie Betterov bürgerlich heißt, sitzt flankiert von einer Klarinettistin und einem Kontrabassisten am schwarzen Klavier. Hinter den Musikern leuchten Neonröhren, die in zwei Reihen zu einer Pfeilspitze geformt sind. Sie weist in den Bühnenraum hinter den Musikern. Die Pfeilspitze – ein Wegweiser in Richtung Vergangenheit? Das wäre ein passendes Symbol, schließlich wirken einige Betterov-Songs wie eine Zeitreise, Jahrzehnte zurück.

Ein junger Mann sitzt am Flügel, spielt und singt in ein Mikrofon.

Betterov klingt lässig und angeraut.

Die Klarinettistin schließt beim Spielen die Augen, unterstützt Betterovs Gesang – lässig und angeraut klingt er, eine Stimme gezeichnet von den Geschichten des Lebens. Der Kontrabassist zupft Staccato-Töne, gibt den Groove vor. Die Band und auch Betterov: Komplett schwarz gekleidet. Dunkles Hemd, weiße Socken, weißes Unterhemd. Kurze braune Haare. Mal schaut er mit Schlafzimmerblick ins Publikum, mal schwingt er eine Hand im Takt. Zwischen den Songs setzt der 31-Jährige, wie zum Gebet, beide Hände aneinander – eine Geste der Dankbarkeit, gerichtet an das Publikum.

Geschichtsunterricht am Klavier

Blick auf die Konzertbühne

Das Publikum hört gebannt zu und ist teilweise ergriffen.

Dann öffnet Betterov sein Familienalbum, singt den DDR-Blues und nimmt das Publikum mit in eine Zeit, in der der Röhrenfernseher abends Reden von Erich Honecker zeigte, Planwirtschaft und Mangelwaren den Alltag im Osten bestimmten und sich Familiendramen an der innerdeutschen Grenze abspielten. Zwei Songs widmet Bittorf dieser Epoche. „Mein Vater ist am 17. Juli 1989 mit drei selbst gebauten Haken über die beiden Zäune der deutschen Grenze gestiegen“, erzählt der Musiker und blickt dabei ins Publikum. „Das hatte er mit meiner Mutter abgesprochen, aber ihr nie gesagt, wann es passieren soll – damit sie in einem möglichen Stasi-Verhör nicht lügen konnte, weil sie die genaue Zeit der Flucht tatsächlich nicht kannte.“

Seine Mutter habe seinem Vater 800 Ost-Mark in eine sehr dicke Jacke eingenäht. „Mit dieser Winterjacke ist er über den Stacheldraht geflüchtet.“ In der Nacht vom 17. Juli sei er aufgebrochen in ein neues Leben – und das habe tatsächlich funktioniert. Einige im Saal können sich nur allzu gut an diese Zeit erinnern, haben sie selbst miterlebt. Bei dem einen oder anderen liegt spätestens nach dieser Geschichte ein Kloß im Hals.

Tiefer Einstieg in die Familiengeschichte

Drei Musiker auf der Bühne

Betterov schildert in Songs und Erzählungen die Flucht seines Vaters aus der DDR.

Doch Betterov will noch tiefer in die Familiengeschichte einsteigen: „Ich dachte, der 17. Juli ist eigentlich nur die halbe Geschichte. Es geht aber nicht nur um denjenigen, der geflüchtet ist, sondern auch um die Angehörigen, die zu Hause geblieben sind.“ Der Staat habe sich danach gegen seine Mutter gewandt und ihr das Leben zur Hölle gemacht. Deshalb habe er den Song „18. Juli 1989“ für sie geschrieben. Dann holt der 31-Jährige tief Luft und sagt, er hoffe, dass diese beiden Songs der Geschichte seiner Eltern ein Kapitel hinzugefügt haben – eines, von dem sie vielleicht dachten, dass das Buch längst zu sei. Seine Eltern sollen verstehen, dass ihre Geschichte durch diese beiden Songs auch für andere wirksam wird.

Auch seine Kindheit taucht in Betterovs Songs auf. Etwa die Nächte, in denen er mit seinem Vater auf der Autobahn unterwegs war, im Führerhaus eines Lkw. „Ich wollte immer wach bleiben, damit mein Vater nicht einschläft. Ich habe ihn europäische Hauptstädte abgefragt und aus Karten vorgelesen. Aber irgendwann bin ich dann doch eingeschlafen, und beim Aufwachen waren wir schon in der nächsten Stadt.“ Solche kleinen Erinnerungen, banal und poetisch zugleich, verwandelt Betterov in Musik. Diesen hat er vor der Veröffentlichung zum ersten Mal gespielt – als Unplugged-Version.

Beobachtungen vom Brückenrand

Doch nicht nur seine Familiengeschichte, auch kleine Alltagsmomente inspirieren den Indie-Rocker aus dem thüringischen Bad Salzungen. Etwa eine Szene, die der Wahlberliner von einer Brücke aus beobachtet hat: Die Arbeit eines Bombenentschärfer-Teams. „Ich stand oben auf der Brücke, habe zugeschaut, wie sie den ganzen Tag gegraben haben. Später erfuhr ich, dass sie eine Bombe gefunden hatten. Der Mann, der sie entschärfen musste, saß in einem kleinen Blechverschlag im Regen.“ Darüber schrieb er den Song „Mein Leben ist monoton“. Klar, das ist irgendwo eine lakonische Alltagsbeschreibung mit Humor und Tiefgang zugleich – die Fans schmunzeln.

Emotional pendelt Betterov zwischen Nostalgie und Großstadt-Gegenwart. Er schreckt nicht vor dem Schmerz der Vergangenheit zurück, aber auch nicht vor der Hoffnung, die zwischen den hellen Akkorden seiner Songs aufleuchtet. Immer wieder singt er von dem, was uns zusammenhält – vom Wunsch nach einem guten Leben in Freiheit und Respekt vor denen, die diesen Weg geebnet haben.

Ein junger Mann im weißen T-Shirt und Gitarre steht auf einer Bühne und singt.

Am Mittwochabend hat Betterov sein neues Album im Rolf-Liebermann-Studio vorgestellt und die Geschichten hinter den Songs erzählt.

Zarte Wiegen-Ballade trifft das Publikum mitten ins Herz

Seine ruhigen Ansagen, die Geschichten zwischen den Liedern, klingen so unaufgeregt wie Gespräche mit den Nachbarn am Gartenzaun und doch geht es stets um große Gefühle, um entscheidende Momente des Lebens.

Betterov wirkt an diesem Abend nahbar, fast familiär – ein Konzert wie am Lagerfeuer. Er singt und erzählt wie ein Weitgereister, der sich durch den Sturm der Zeiten gekämpft hat und nun von seinen geschlängelten Wegen berichtet. Dabei nimmt seine Karriere gerade erst richtig Fahrt auf: Viele Konzerte seiner kommenden Deutschland-Tour sind bereits ausverkauft. Vorab singt er an diesem Abend „Schlaf gut“ – die Indie-Pop-Nummer erklingt am Klavier als zarte Wiegenballade, trifft das Publikum mitten ins Herz – Jubel, anhaltender Applaus und Standing Ovations.

Toni Krahl beim Funkhauskonzert in Schwerin

Der 76-Jährige, fast 50 Jahre mit der Rockband City unterwegs, tourt nun mit den KINX. Aber so ganz ohne alte City-Klassiker geht’s natürlich nicht.

Eine Collage mit Bildern der Musiker Nils Landgren, Jan Plewka, Marco Schmedtje, Felix Klieser und voiceXchange

Vier Orte im Norden hat NDR Kultur im vergangenen Herbst zu ganz besonderen Konzertsälen gemacht – jetzt geht es weiter.

CD-Cover: Jan Plewka: Eine Art Soloalbum

Von Tagebüchern zu großen Bühnen: Jan Plewkas intensives „Eine Art Soloalbum“ erzählt von Leben und Loslassen.

Ein Mann posiert vor einem Foto und lächelt in die Kamera.

Der Kanadier ist nicht nur ein begnadeter Musiker, sondern auch ein ausgezeichneter Fotograf. Die Schau „Shot by Adams“ startet am 9. Oktober.