Es fröstelt einen auf dem Weg zum Café Blumental in Kreuzberg – weil es ein kalter Tag in Berlin ist, aber auch, weil es ein schlechter Tag ist für die Meinungsfreiheit. Kurz bevor wir uns zum Interview treffen, hat Aurel Mertz in den sozialen Medien gepostet: „Omg ich hasse diese früher war alles besser Leute aber ich sag mal so: heute ist alles Scheiße.“ Trotzdem lächelt er, als er kurz darauf seine Hafermilch-Latte bestellt. „Pessimismus bringt gar nichts – ich versuche ein pessimistischer Optimist zu sein: auf das Schlimmste eingestellt, positiv überrascht, wenn es nicht eintritt.“

Aurel Mertz’ Video über Polizeigewalt

Einer der Gründe für seinen Post vorhin war, dass kurz vor dem Interviewtermin die Late-Night-Show von Jimmy Kimmel vorübergehend abgesetzt wurde. Trump und die Rechten jubelten. Der Rest der Welt fragt sich, wo das enden wird. Auch Aurel Mertz, der selbst Gastgeber einer Late-Night-Show auf ZDF Neo („Neo Tropic Tonight“) ist. Mertz verdingt sich zudem erfolgreich als Schauspieler („Naked“), als Autor (sein Buch „Alpha Boys“ erscheint im Februar 2026) – und vor allem ist er einer der frechsten und ernsthaftesten Comedians, die Deutschland derzeit zu bieten hat. Überfällig also, dass der 36-Jährige mit dem Kleinkunstpreis Baden-Württemberg ausgezeichnet wird.

Wenn Trump oder die AfD in Deutschland das Sagen hätten, hätte Mertz wahrscheinlich längst Sendeverbot. Dass er stattdessen an diesem Dienstag in Freiburg von Staatssekretär Arne Braun einen Preis überreicht bekommt, lässt einen tatsächlich in schweren Zeiten ein bisschen optimistischer werden. Denn Mertz ist einer, der sich was traut und auch gerne mal den Provokateur spielt. Etwa als er vor fünf Jahren ein satirisches Video veröffentlichte, bei dem er wegen seiner Hautfarbe Opfer von Polizeigewalt wird. Das fanden viele nicht witzig – darunter auch Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl. Noch heftiger waren die Reaktionen aber, als Mertz das olympische Springreiten als Tierquälerei bezeichnete. Ihm wurde damals sogar von Funktionären gedroht, dass man ihn als öffentliche Person vernichten werde. Doch so schnell jagt man Aurel Mertz keine Angst ein – er ist abgehärtet: „Schließlich habe ich 19 Jahre Stuttgart überlebt!“

Aurel Mertz: Für Comedy sind Schwaben ein Geschenk

Über die Hälfte seines Lebens hat er also in Stuttgart verbracht, bevor es ihn nach Wien, Istanbul und schließlich nach Berlin verschlagen hat. Seine Eltern hatten sich an der Merzakademie kennengelernt. Die Stadt habe ihn geprägt – auch der Reichtum, der dort zu Hause ist, den er aber nur aus der Ferne kannte. „Stuttgart ist eine Stadt, in der manche Leute Porsche fahren, und anderen gehört gleich die ganze Marke.“ In der wohlhabenden Stadt habe er früh gelernt, was Status bedeutet und wie befreiend es sein kann, das zu ignorieren.

Trotzdem schwingt Zuneigung mit, aber auch berufliches Interesse als Comedian: „Die Schwaben sind Charaktere. Nicht wertend gut oder schlecht – einfach markant. Das ist ein Geschenk für die Comedy.“ Auch wegen des Dialekts. Er selbst hat, obwohl er in Schwaben aufgewachsen ist, nie geschwäbelt:„Ich konnte früher kein Schwäbisch, habe es später quasi in meinem Gehirn wiedergefunden. Heute liebe ich diesen Dialekt.“

Aurel Mertz: „Stand-up-Comedy ist die Königsdisziplin!“

Vielleicht war dann Stuttgart doch zu aufgeräumt für diesen Menschen, der nie zur Ruhe kommt und dessen Karriere, damit begann, dass er von Frank Elstner entdeckt wurde und sich in eine Moderatorenschule verirrte. In Berlin-Kreuzberg, wo er jetzt lebt, findet Mertz den passenden Kontrast zu Stuttgart: laut, chaotisch, unruhig. „Je stressiger eine Stadt ist, desto entspannter bin ich.“ Ob das ADHS ist, werden wir wohl nie erfahren, weil Mertz Angst vor der Diagnose hat: „Wenn herauskommt, dass ich kein ADHS habe, habe ich ja keine Ausrede mehr.“

Fest steht aber, dass er sich schnell langweilt – und vielleicht deshalb ständig neue Formate ausprobiert. Seine erste Late-Night-Show „Boomarama 3000“ lief 2015 bis 2017 bei Tele 5, er hat schon mehrere Podcast-Konzepte umgesetzt, war 2024 einer der Gastgeber der Verleihung des Deutschen Filmpreises, saß in Quizshows, liebt es, Stand-up-Comedy zu machen („Das ist die Königsdisziplin!“) und ist in den sozialen Medien mit witzig-schlauen Kommentaren und Videoclips allgegenwärtig. Zum Beispiel als Brezeltester.

Aurel Mertz testet mit Cem Özdemir Brezeln

Deshalb schämt man sich als Interviewpartner ein bisschen, wenn man auf Aurel Mertz’ Frage, wo’s gerade in Stuttgart die besten Brezeln gibt, keine Antwort parat hat. Der Grünen-Politiker Cem Özdemir hält sich dagegen selbst für einen Brezel-Experten, was dazu führte, dass sie irgendwann gemeinsam Brezeln testeten und – wenig überraschend – feststellten, dass zu den Dingen, die Berlin besser kann als Stuttgart, keinesfalls die Brezel zählt.

Dass einer wie Aurel Mertz, der die Aufmerksamkeitsspanne eines Goldfisches hat, es geschafft hat, jetzt auch noch ein Buch zu schreiben, verblüfft einen dann doch. Am meisten ihn selbst. „Ein Buch zu schreiben war überraschenderweise eine der schönsten Erfahrungen der letzten Jahre“, sagt er, „ich war traurig, als es fertig war“. Er habe Zeit gehabt, Gedanken länger auszubreiten – etwas, das ihm in der schnelllebigen Medienwelt oft fehlt. Wie schon in seinem aktuellen Bühnenprogramm „Nobody“ setzt er sich in dem Buch „Alpha Boys – Der Anti-Bro-Code“ mit Männlichkeitsbildern und dem gesellschaftlichen Druck, jemand sein zu müssen, auseinander. Er hat sich dafür sogar in ein „Alpha-Männer-Camp“ begeben. Und – so viel kann man schon einmal verraten – unter Männern fühlt er sich nicht so sohl wie mit seinen zwei kleinen Katzen, die er gerade aus einem Berliner Tierheim adoptiert hat.

Aurel Mertz: Unterhalten und zum Nachdenken anregen

Dieser „Wahnsinn auf vier Pfoten“ ist auch sein emotionaler Ausgleich, wenn das Weltgeschehen wieder einmal übermächtig wird. „Wir leben in Zeiten, wo globale Probleme so groß geworden sind, dass man sich ihnen gar nicht mehr entziehen kann“, sagt er. Dabei versteht er sich selbst nicht wirklich als Aufklärer: „Meine Aufgabe ist es, zu unterhalten. Wenn das nebenbei zum Denken anregt, umso besser.“ Das werde aber immer schwerer, weil der gesellschaftliche Diskurs zunehmend von Empörungskultur und Doppelmoral geprägt sei – wie im Fall Jimmy Kimmel. Wenn die Politik Einfluss auf Medien nimmt und Programme absetzt, habe das nichts mit Cancel Culture zu tun, sondern es handelt sich um Repressionen: „Die Welt wird gerade von drei Männern bestimmt, die versuchen, nicht ins Gefängnis zu kommen – und sie stürzen uns in Kriege.“

Früher habe er Politikverdrossenheit als Verantwortungslosigkeit betrachtet – heute empfindet er sie manchmal als Schutzmechanismus. Und so träumt der pessimistische Optimist Aurel Mertz manchmal einfach nur davon, ein ruhiges Leben mit seinen Katzen irgendwo am Meer führen zu können: „Früher wollte ich immer größer, besser, weiter“, sagt er. „Heute will ich einfach ein gutes Leben – und die beste Brezel der Welt finden.“

Aurel Mertz und der Kleinkunstpreis Baden-Württemberg

Programm
 Nachdem Aurel Mertz bereits im Juni mit seinem Comedyprogramm „Nobody“ in Stuttgart gastiert hat, kommt er am 17. März 2026 mit dem Update „Nobody Alpha Drift“ ins Theaterhaus zurück. Tickets gibt es hier.

Auszeichnung
 Den Kleinkunstpreis Baden-Württemberg erhalten 2025 neben Aurel Mertz Doris Reichnauer und Timm Sigg. Der Förderpreis geht an Elena Seeger.