Einheiten der Polizei sind an einem Tatort im Einsatz. Die Polizei war in der Innenstadt von Göppingen mit einem Großaufgebot im Einsatz.

Einsatz der Polizei in Göppingen im Oktober 2024 im Kampf gegen die Jugendgangs. Ein 17-jähriger Syrer soll in einem Lokal auf drei Syrer gefeuert haben, einer starb dabei. Der 17-Jährige steht aktuell vor Gericht.

Foto: Marius Bulling/dpa

Schüsse auf offener Straße, auch auf unbeteiligte Menschen, der Handgranatenwurf von Altbach, Drohungen, Schlägereien, Mord und Totschlag: Der Gewaltausbruch von Jugendbanden ab 2022 in der Region rund um Stuttgart machte die Polizei zuerst ratlos und beunruhigte die Öffentlichkeit massiv. Die Täter waren zwischen 16 und 30 Jahre alt, multiethnische Gruppen, die miteinander verfeindet sind.

Politik, Landespolizei und Justiz reagierten aber schnell – und zwar mit einer Mischung aus Repression und Prävention. Auch um den Gangs den Nachwuchs wegzunehmen und die Gewalt nicht ins ganze Land ausbreiten zu lassen. Inzwischen geht Innenminister Thomas Strobl (CDU) davon aus, dass all diese Maßnahmen der Szene „weitgehend die Luft abgedreht haben“. Die Lage habe sich beruhigt, man bleibe aber wachsam.

Und bereits von Anfang an machten Innenminister Strobl und Andreas Stenger, Präsident des Landeskriminalamts (LKA) klar, worum es bei dieser neuen Erscheinungsform der Gewalt ging und geht: Um „Gewalt als Lifestyle“, so Strobl, angeheizt durch einen „toxischen Ehrbegriff“. Stenger sprach von einer „Gangster-Rapper-Attitüde“. Neu war, dass eine verbindende ethnische Klammer fehlte. Die jungen Täter rund um Stuttgart hatten höchst unterschiedliche Migrationshintergründe, die Führungsfiguren kamen aber im Wesentlichen aus dem türkisch-kurdischen Bereich.

Jetzt haben Landespolizei und LKA die Strukturen im Kampf gegen die Jugendbanden umgestellt, so Strobl und Stenger gegenüber unserer Redaktion. Die damals eigens beim LKA eingerichtete und nicht auf Dauer angelegte „Besondere Aufbauorganisation (BAO) Fokus“ wurde aufgelöst. Dafür ist nun beim LKA ein eigener „Arbeitsbereich zur Bekämpfung subkultureller Gewaltkriminalität“ eingerichtet, „deutschlandweit einmalig“, so Strobl. „Wir halten den Druck auf die Szene weiter aufrecht, wir haben die Lampen an.“

Szenekundige Beamte

Stenger beschreibt den Vorteil der neuen Organisation: Hier würden die erfahrenen Beamten und Fahnder zusammengefasst, sie kennen die Szene seit drei Jahren nun intensiv. „Wir halten die Spezialisten in diesem Bereich.“ Da gehe es vor allem um Auswertekompetenz und Recherche. Die Zusammenarbeit mit den betroffenen Polizeipräsidien in der Region bleibt weiter intensiv. Stenger: „Wir werden in Echtzeit verständigt, wenn irgendwas passiert.“

Inwieweit sind die Jugendbanden aber überhaupt noch aktiv? Der LKA-Präsident weist darauf hin, dass sich das Verhalten der verbliebenen Anhänger stark verändert habe aufgrund des Drucks der Polizei und zahlreicher Verhaftungen. „Früher war ihr Verhalten ostentativ nach außen, jetzt ist es konspirativ.“ Die führenden Köpfe seien inhaftiert. Die Polizei müsse aber den Umstand auf dem Visier haben, dass die ersten bald wieder aus der Haft kommen.

Zahlreiche Bluttaten

Rückblende: Im Juli 2022 wurden in Stuttgart-Zuffenhausen aus einem Auto heraus mehrere Schüsse auf eine Ladenzeile abgegeben. Am 1. August 2022 wurde am Bahnhof in Zuffenhausen geschossen, wenige Tage später gab es eine Schießerei vor einer Gaststätte, die ersten Täter wurden ermittelt.

Am 24. Februar 2023 wurde in Eislingen vor einer Shisha-Bar einer Frau ins Bein geschossen, in Plochingen gab es Schüsse auf einen Barbershop, ein Mann wurde schwer verletzt. Am 17. März 2023 wurde ein Stuttgart-Zuffenhausen ein 32-Jähriger vor einer Shisha-Bar angeschossen, am 2. April 2023 der Betreiber einer Shisha-Bar in Plochingen. Es folgten weitere Festnahmen.

Am 8. April 2023 wurde ein 18-Jähriger in Asperg erschossen, fünf Verdächtige von 17 bis 27 Jahren türkischer und serbischer Herkunft festgenommen.

Handgranatenwurf auf Trauergemeinde

Am 9. Juni 2023 folgte der bisherige kriminelle Höhepunkt, nämlich der Handgranatenwurf auf eine Beerdigung in Altbach mit 15 Verletzten. Der 23-jährige Täter wurde inzwischen zu zwölf Jahren Haft verurteilt.

Am 2. Oktober 2023 gab es einen Anschlag mit einem Auto in Stuttgart-Vaihingen, bei dem das Opfer überfahren und so schwer verletzt wurde, dass es bis heute im Koma liegt. Der 26-jährige Täter türkischer Herkunft wurde jüngst zu neun Jahren und sechs Monaten verurteilt. Es folgten weitere Anschläge.

Am 2. Oktober 2024 schoss ein 17-jähriger Syrer in einem Lokal in Göppingen auf drei Gäste, ein Syrer starb. Später stellte sich heraus, dass der Täter wohl die Opfer verwechselt hatte. Anfang 2025 wurde ein 25-Jähriger auf offener Straße in Stuttgart-Möhringen niedergeschossen und schwer verletzt.

Völlige Empathielosigkeit

Beteiligte Staatsanwälte berichteten unserer Redaktion mit Blick auf die Szene von völliger Empathielosigkeit der Täter, auch von teils völlig desolaten Familienverhältnissen oder desinteressierten Eltern – aber auch vom Schweigen vieler Opfer und der Weigerung, mit Polizei und Justiz zusammenzuarbeiten

300 Ermittlungsverfahren

Seit 2022 kämpften bis zu 100 Polizisten in der „BAO Fokus“ gegen die Jugendbanden. „Es hat sich gelohnt“, so Strobls Bilanz. 300 Ermittlungsverfahren wurden eingeleitet, 200 Beschuldigte gab es, 100 Festnahmen. Alle Haftstrafen zusammengefasst wurden bisher 136 Jahre Gefängnis verhängt. Die Polizei beschlagnahmte zudem eine Vielzahl von Waffen, darunter 36 Schusswaffen. Zusätzlich nutzt man alle Möglichkeiten des Verwaltungsrechts. „Alles, was weh tut“, so Strobl. Da geht es in Zusammenarbeit mit Kommunen und Kreisen um ausländerrechtliche Maßnahmen, Gaststättenkonzessionen, den Entzug von Führerscheinen oder die Beschlagnahme von Autos.

Hausbesuche durch die Polizei

Durchaus für Aufsehen sorgte aber auch eine neu vom LKA mit zahlreichen Partnern aufgesetzte Präventionsmaßnahme. In der Region rund um Stuttgart hatte die Polizei mehrere hundert Jugendliche identifiziert, die sich im Umfeld der Gangs bewegten, allerdings ohne schon jemals kriminell aufgefallen zu sein. Polizisten besuchten in einer konzertierten Aktion diese jungen Leute zu Hause, sprachen auch mit den Eltern, machten klar, wohin der Weg in die Kriminalität führen kann – und welche Alternativen und Hilfsangebote es gibt.

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