Zwei Tage lang hatte der 39-Jährige im Auftrag Macrons mit Vertreterinnen und Vertretern fast aller Parteien sondiert. Es ging darum, einen Konsens für den Haushalt zu finden und eine Auflösung des Parlaments zu verhindern. „Es gibt eine absolute Mehrheit in der Nationalversammlung, die eine Auflösung ablehnt“, verkündete Lecornu hinterher.
Neuwahlen würden laut Umfragen an der Blockadesituation in der ersten Parlamentskammer nur wenig ändern. Seit der Auflösung, die Emmanuel Macron im vergangenen Jahr überraschend ansetzte, ist die Assemblée nationale in drei fast gleich große Blöcke geteilt.
Um eine erneute Parlamentsauflösung zu verhindern, muss Macron nun jemanden finden, der die nächste Regierung führt. Im Gespräch ist der frühere Umweltminister Jean-Louis Borloo. Der 74-Jährige hatte 2018 einen viel gelobten Plan für die Problemvorstädte vorgelegt, den Macron allerdings zurückgewiesen hatte.
Das neue Kabinett müsse „komplett von den Ambitionen bei den Präsidentschaftswahlen entkoppelt sein“, forderte Lecornu. Die Bemerkung bezog sich vor allem auf den Chef der Konservativen, Bruno Retailleau, der gerne Präsidentschaftskandidat werden würde. Nach der Vorstellung der Kabinettsliste war er am Sonntagabend auf Distanz zu Lecornu gegangen und hatte so die Regierungskoalition gesprengt.
Am Mittwoch hatte der noch amtierende Innenminister angekündigt, er wolle weder einer Regierung unter Führung eines Macronisten noch eines Vertreters des linken Lagers angehören. Auch eine Aussetzung der Rentenreform lehnte er als eine „rote Linie“ ab.
Ein Pausieren des umstrittenen Reformprojekts hatten die Sozialisten gefordert, um im Gegenzug eine neue Regierung zu unterstützen. Die Anhebung des Renteneintrittsalters von 62 auf 64 Jahre, gegen die im Jahr 2023 Millionen Menschen auf die Straße gegangen waren, ist das Herzstück von Macrons Reformpolitik. Lange Zeit galt die Maßnahme, die ohne Parlamentsvotum verabschiedet wurde, als tabu. Doch das scheint sich zu ändern. „Ich habe dem Präsidenten gesagt, dass die Debatte über die Rentenreform wieder eröffnet werden muss“, berichtete Lecornu. Er warnte allerdings vor den Kosten, die ein Pausieren der Reform verursachen würde: Allein für das Jahr 2027 wären das drei Milliarden Euro.
Die Erste, die eine neue Debatte über die Rentenreform vorgeschlagen hatte, war die frühere Regierungschefin Élisabeth Borne. Sie sprach sich am Donnerstag auch dafür aus, mit den Linksparteien Kompromisse zu suchen. Das Linksbündnis Neue Volksfront hatte bei den vorgezogenen Parlamentswahlen im vergangenen Jahr eine relative Mehrheit gewonnen. Macron verweigerte ihm allerdings den Regierungsauftrag.
Inzwischen ist die Allianz komplett zerstritten. Die Sozialisten haben sich von der Linksaußenpartei La France Insoumise (LFI) abgewandt, die auch nicht an den Gesprächen mit Lecornu teilnahm. LFI-Frontmann Jean-Luc Mélenchon, der selbst Ambitionen auf das Präsidentenamt hat, fordert den Rücktritt Macrons.
Ähnlich radikal tritt Marine Le Pen auf, die Fraktionsvorsitzende des rechtspopulistischen Rassemblement National. Sie kündigte an, jeden Regierungschef zu stürzen. „Es reicht mit den Späßchen.“ Einem Misstrauensvotum kann die neue Regierung nur entgehen, wenn sie sowohl von Konservativen als auch Sozialisten gestützt wird. Danach sieht es allerdings momentan nicht aus.