Die von den meisten Mitgliedstaaten im Prinzip unterstützte „Reparationsanleihe“ der EU für die Ukraine, die aus den eingefrorenen Guthaben der russischen Zentralbank finanziert werden soll, steht noch vor beträchtlichen juristischen und politischen Schwierigkeiten. Vor dem Treffen der EU-Finanzminister an diesem Freitag in Luxemburg war offen, ob sich die Mitgliedstaaten auf dem EU-Gipfeltreffen in zwei Wochen in Brüssel zumindest auf eine politische Grundsatzeinigung verständigen können und damit der EU-Kommission ein Mandat erteilen, einen konkreten Vorschlag zu erarbeiten. Aber selbst wenn die Kommission das Mandat Ende Oktober erhielte, dauerte die anschließende Beratung noch mehrere Monate. EU-Diplomaten nannten am Donnerstag das erste Quartal 2026 als Zieldatum für eine Entscheidung. Bis dahin sei die Ukraine definitiv noch finanziert, hieß es.

In Rede steht ein Betrag von rund 140 Milliarden Euro. Das ist der größere Teil der russischen Zentralbankguthaben von rund 185 Milliarden Euro, die bei dem belgischen Zentralverwahrer Euroclear liegen. Die EU hat diese Guthaben kurz nach dem russischen Überfall auf die Ukraine eingefroren. Das galt als juristisch unproblematisch, weil das russische Vermögen nicht angetastet wurde. Jetzt will die EU-Kommission mit Unterstützung der meisten Mitgliedstaaten auf 140 Milliarden Euro direkt zugreifen und diese als „Reparationskredit“ an die Ukraine weiterreichen. Die restlichen 45 Milliarden Euro sind reserviert, um einen Kredit der sieben wichtigsten Industriestaaten (G 7) abzulösen.

Mitgliedstaaten müssten für Kreditausfall der Ukraine haften

Eine Enteignung Russlands bedeute der Zugriff nicht, heißt es in Brüssel und Berlin. Dahinter steht die Hypothese, die Ukraine werde die Kredite zurückzahlen können, weil Russland nach einem (verlorenen) Krieg ausreichend Reparationen an Kiew zahlen und so den Verlust der Zentralbankguthaben ausgleichen werde. Hinter vorgehaltener Hand wird auch von EU-Beamten und -Diplomaten eingeräumt, dass dies wenig realistisch ist. Weil russische Reparationen an Kiew in der nötigen Höhe so gut wie ausgeschlossen sind, die Ukraine den Kredit also nicht zurückzahlen kann, beträgt dessen Ausfallrisiko kaum weniger als 100 Prozent.

Aus diesem Grund müssten alle oder jedenfalls die meisten Mitgliedstaaten anteilig oder vielleicht später der EU-Haushalt für mögliche Ausfälle haften. Der deutsche Anteil betrüge etwa 35 Milliarden Euro. Für diesen Betrag müssten im Bundeshaushalt Rückstellungen gebildet werden. Kredite mit einem hundertprozentigen Ausfallrisiko schlügen nach deutschem Haushaltsrecht sogar in vollem Umfang als Ausgaben zu Buche. Das Euroclear-Sitzland Belgien will einer Nutzung der Guthaben als „Reparationsanleihe“ nur zustimmen, wenn die Summe von den Mitgliedstaaten gemeinsam „wasserdicht“ abgesichert wird. Das ist längst nicht gewiss. Zum einen befürchten etliche Staaten neue Haushaltslöcher wegen eines Kreditausfalls, zum anderen ist generell offen, ob nur Ungarn die Lösung ablehnt.

Ungarn könnte Zugriff auf russische Vermögen blockieren

Damit hängt ein weiteres potentielles Hindernis zusammen. Das Einfrieren der Zentralbankgutachten gehört zu den EU-Sanktionen, welche die EU-Staaten alle sechs Monate einstimmig verlängern müssen. Für einen möglichen Zugriff darauf gälte das auch, was die Frage aufwirft, ob sich eine Blockade etwa durch Ungarn umgehen ließe. In Brüssel bestehen darüber unterschiedliche Auffassungen. Während sich die EU-Kommission optimistisch zeigt, eine juristisch stichfeste Lösung dieses Problems finden zu können, vertritt der Juristische Dienst des Ministerrats bislang die Auffassung, eine solche Lösung lasse sich kaum finden.

Umstritten ist ferner, inwieweit die EU der Ukraine Vorschriften zur Verwendung der Kredite machen sollte. So dringt etwa die Bundesregierung darauf, dass das Geld nur für Verteidigungszwecke ausgegeben werden dürfe. Die EU-Kommission beabsichtigt eine solche Einschränkung nicht.

Diesen offenen Fragen vorgelagert ist der weiter bestehende Wunsch Deutschlands, Frankreichs und Italiens, alle G-7-Staaten in eine Gesamtlösung einzubeziehen, in denen ebenfalls russische Guthaben – in freilich unbekannter Höhe – gelagert sind. Vor allem die Vereinigten Staaten widersetzen sich bisher einer solchen Lösung. Die G-7-Finanzminister wollen ihre Gespräche darüber am Rande der Jahrestagung von Internationalem Währungsfonds und Weltbank in der kommenden Woche in Washington fortsetzen.