Zum Jubiläum kehren sie zu ihren Wurzeln zurück. Wo einst der erste Ballon Stuttgarts nach dem Krieg startete, zeigt sich die Ballonsportgruppe wieder: Vor dem Neuen Schloss.
Ihren Zeitgenossen galten sie als Wahnsinnige. Wer wie die Brüder Montgolfier oder Professor Charles 1783 in Paris sein Leben einer Stoffhülle anvertraute, musste verrückt sein. Eine Sensation waren die ersten Ballonfahrten gerade deshalb. Auch in Stuttgart fanden sich Nachahmer. Hauptmann Rösch ließ 1784 eine Montgolfiersche Luftmaschine aufsteigen.
Seine Erben feiern nun ihr 75-Jahr-Jubiläum. 1950 gründeten sie sich. Neu, muss man sagen. Denn der Vorläufer war weit älter. Und von 1908. Dazu später mehr. Doch bleiben wir erst mal im Jahr 1950. Der Bruch mit der Vorkriegsgeschichte sollte deutlich werden, deshalb belebte man den Württembergischen Verein für Luftschifffahrt nicht mehr wieder, sondern gründete die Ballonsportgruppe Stuttgart.
Start auch beim Cannstatter Wasen
75 Jahre später zählt der Verein 120 Mitglieder, ist der größte seiner Art in Deutschland. Und zeigt sich an seinem Jubiläumswochenende gleich zweimal. Am Samstag starten sie wie gehabt gegen 7 Uhr beim Sattelplatz am Wasen. Und am Freitag, 10. Oktober, zeigen sie sich mit 15 Ballonen in der Innenstadt. Und erinnern an den ersten Start eines Ballons in Stuttgart nach dem Krieg. Drei Jahre brauchte es nach der Gründung bis man in der Schokoladenfabrik Haller einen Sponsor fand. 1953 startete der Gasballon vor den Trümmern des Neuen Schlosses. Eine Sensation. Zehntausende schauten zu. Die Faszination war schon immer groß für die fahrenden Männer der Lüfte.
Vorbeifahrt am Fernsehturm Foto: BSG
So einer wie der Elektriker Josef Leitz. Er war mit seinem Gasballon „Dolfe“ jahrelang die Attraktion von Nills Zoologischem Garten. 1904 unternahm er seine Jungfernfahrt. Nach drei Stunden landete er und meldete per Telegraf: „Nach vorzüglicher Fahrt durch Schnee prima Landung bei Rohr.“
Vereinsgründung im Hotel Royal.
Pioniere gab es also schon vor 1908. Doch weil den Deutschen etwas erst gültig scheint, wenn sie einen Verein gegründet haben,firmiert der 20. März 1908 als das Geburtsdatum des Ballonsports in Württemberg und Stuttgart. Im Hotel Royal konstituierte sich der Württembergische Verein für Luftschifffahrt mit stolzen 325 Mitgliedern. Mit dabei waren Robert Bosch, Gotlieb Daimler und Ferdinand Graf Zeppelin Der erste Ballon wurde auf den Namen Württemberg getauft und startete am 27. Juni in Gaisburg.
2008 feierte man das 100-Jahr-Jubiläum des Württembergischen Vereins für Luftschifffahrt. Foto: Daniel Moritz
1912 richtete der Verein die „Gordon-Bennett-Wettfahrt der Lüfte“ aus, so etwas wie die Olympischen Spiele der Ballonfahrer. Am 27. Oktober starteten 20 Ballone vom Wasen, Zehntausende feuerten die Piloten an. Diese hatten in den Körben nicht nur eiserne Anker, Schwimmgürtel, Ventilatoren, Sauerstoffgeräte, Schneeschuhe, Eispickel, Segeltuch, das als Tragfläche für Wasserlandungen dienen sollten, sondern auch Sekt von Kessler und Essen von Feinkost-Böhm.
Die Korken knallen lassen konnte der Sieger Maurice Bienaimé. Mit seinem Kopiloten landete er nach 45 Stunden, 55 Minuten und 2191 Kilometern bei Rjäsan südlich von Moskau. Pechvogel war der Amerikaner John Watts. Erst platzte sein Ballon Kansas City II beim Füllen, im Ersatzballon kam er dann bis nach Russland. Dort verhaftete ihn das Militär als „englischen Spion“ .
Schwäbische Ballone in Alberquerque Foto: BSG
Ein Vorgeschmack auf das, was kommen sollte. Im Krieg standen sich die friedlichen Konkurrenten von einst als Todfeinde gegenüber. Elf Jahre dauerte es, bis in Stuttgart wieder ein Ballon startete. Am 3. März 1929 erhob sich Ballon Stragula vom Wasen, und der Luftfahrtpionier Paul Wider, erinnert sich, wie „halb Stuttgart auf dem Neckareis herumturnte“.
1935 machten die Nazis die Ballonfahrer zum Ballonsturm 5/101. Der Zweite Weltkrieg beendete die zweite Epoche der Stuttgarter Ballonfahrt. Am 10. September 1950 erlaubten die Alliierten wieder den Start, sechs Wochen später gründete sich die Ballonsportgruppe Stuttgart. Allerdings fehlte das Wichtigste: Ein Ballon. Doch der war teuer: 20 000 Mark. Dafür konnte man fünf VW Käfer kaufen. Die Schokoladenfabrik Haller aus Obertürkheim sprang ein und stiftete einen Ballon. Am 17. Mai 1953 startete D-Haller vom Hof der Ruine des Neuen Schlosses.
Der Verein hat sechs Ballone
In den folgenden Jahren wuchs der Verein stetig. 1973 dann zwei wegweisende Entscheidungen: Die Ballonfahrer gründeten eine Jugendgruppe und bauten selbst einen Heißluftballon. Das Stuttgarter Gasnetz war mittlerweile auf Erdgas umgestellt, das leichtere Leuchtgas nur noch unter Mühen aufzutreiben. Heute hat der Verein zwei Gasballone und vier Heißluftballone. Und ist ambitioniert. 1992 richtete man erneut das Gordon-Bennett-Rennen aus, von den 120 Mitgliedern haben etliche sportliche Meritengesammelt. Es gab mehrere Deutsche Meister, aktuell sind Benedict Munz und Matthias Schlegel Vize-Weltmeister im Langdistanz-Gasballonfahren, 1259,02 Kilometer in 64 Stunden schafften sie.
Wahrlich eine lange Fahrt haben sie hinter sich gebracht, die Ballonsportler. Als Wahnsinnige gelten sie längst nicht mehr. Auch wenn so manche Landratte sich immer noch schwer vorstellen kann, wie ein Stück Stoff einen durch die Lüfte tragen kann.