Hypnotische Klänge zu unvergesslichen Kinobildern sind das Markenzeichen von Philip Glass. Live ist seine Musik nur selten zu hören. Jetzt gibt es eine Gelegenheit in Karlsruhe.

Sieben Männer und eine Frau in schwarzer Kleidung stehen mit Instrumenten in einem großen leeren Raum.

Das Philip Glass Ensemble ist die einzige Formation, die Kompositionen des bedeutenden US-Komponisten aufführen darf. Nun tritt das Ensemble erstmals in Karlsruhe auf.

Foto: Philip Glass Ensemble

Vor rund vier Jahrzehnten genügte ein Wort, um Film- und Musikliebhabern wohlige Schauer über den Rücken zu jagen. Das Wort, so magisch wie rätselhaft zugleich, war: Koyaanisqatsi. Es bedeutet „Leben aus dem Gleichgewicht“ und war der Titel eines Dokumentarfilms, der mit einer assoziativen Bilderflut einen kritischen Blick auf die Entwicklung der Zivilisation warf.

Fünf gesungene Silben eröffnen eine neue Musikwelt

Vor allem aber bildete das Wort die ersten Töne des hypnotischen Soundtracks von Philip Glass. Die fünf Silben, unfassbar tief gesungen von einer Basso-Profondo-Stimme (Albert de Ruiter), eröffneten damals für viele Zuschauer und Hörer eine neue Klangwelt.

So neu aber war diese Minimal Music gar nicht. Schon 1968, knapp 15 Jahre vor „Koyaanisqatsi“, hatte Philip Glass in New York sein eigenes Ensemble gegründet, um seine damals heftig umstrittenen Kompositionen aufzuführen. Im Kern der Minimal Music, zu deren Vertretern auch Steve Reich und Terry Riley gehören, steht die Wiederholung von Klangmustern, die trotz ihrer Gleichförmigkeit nicht monoton wird.

Ein Golden Globe, drei Oscar-Nominierungen

„Koyaanisqatsi“, ebenfalls von Glass’ eigenem Ensemble eingespielt, öffnete dem Komponisten die Tür zum großen Filmgeschäft. Auch wer seinen Namen nicht kennt, ist wahrscheinlich schon irgendwann mal Klängen von ihm begegnet. Für seinen Soundtrack zum Erfolgsfilm „The Truman Show“ mit Jim Carrey erhielt Glass 1998 einen Golden Globe.

Die Kompositionen für Martin Scorseses Tibet-Epos „Kundun“ (mit Brad Pitt), für die Bestsellerverfilmung „The Hours“ (mit Nicole Kidman) und das Charakterdrama „Tagebuch eines Skandals“ (mit Cate Blanchett) brachten ihm je eine Oscarnominierung ein. Sein Schaffen berührt aber auch die Popkultur, etwa mit der Comicverfilmung „Fantastic Four“ aus dem Jahr 2015 oder mit Orchesterfassungen von David-Bowie- oder Leonard-Cohen-Songs.

Live aufgeführt wird Glass’ Musik vor allem in Opernhäusern, denn zu seinem Lebenswerk gehören auch 26 Opern. Am bekanntesten ist auch hier sein erster großer Erfolg „Einstein on the Beach“, dessen fast sechsstündige Uraufführung 1976 in Avignon auch für den Regisseur Robert Wilson den internationalen Durchbruch bedeutete.

Konzertkritik spricht von „Once-in-a-lifetime“-Moment

In Konzertprogrammen hingegen sucht man Werke von Glass vergeblich. Das hat einen Grund: Das 1968 gegründete und zum Teil bis heute aus Gründungsmitgliedern bestehende Philip Glass Ensemble hat die exklusiven Rechte, diese Musik aufzuführen. Insofern ist es verständlich, dass ein Rezensent über ein Konzert im nordenglischen Gateshead vor einem Jahr schrieb, das Erscheinen dieser Formation wirke wie ein „Once-in-a-lifetime“-Moment.

In der Tat lässt sich leicht ausrechnen, dass es rein statistisch sehr unwahrscheinlich ist, das Philip Glass Ensemble (dem der mittlerweile 88-Jährige selber nicht angehört) mehr als einmal im Leben sehen zu können. Es sei denn, man lebt in New York oder ist bereit, auch mal eine weite Anreise für ein Konzert auf sich zu nehmen.

US-Komponist Philip Glass steht nach seinem Filmkonzert

Mittlerweile 88 Jahre als ist Philip Glass (hier auf einem Foto von 2014), der als einer der bedeutendsten Komponisten der Gegenwart gilt.

Foto: Balazs Mohai / dpa

In Deutschland war die Formation in diesem Jahr bislang nur einmal zu Gast: Im Mai vertonte sie in der Elbphilharmonie Hamburg live eine Filmvorführung von „Koyaanisqatsi“ – laut einer Rezension „brillant umgesetzt“ und „mit einem heiligenden Respekt vor der abstrakten Klang-Architektur“.

Karlsruhe ist einzige Tourstation in Deutschland

Der Tourabschnitt in der zweiten Jahreshälfte hat ebenfalls nur einen Termin in Deutschland, nämlich im Karlsruher Kulturzentrum Tollhaus. Dort wird an diesem Samstag das Programm „Glassworks / Early Works“ aufgeführt. Angesetzt sind Stücke aus den zwischen 1979 und 1983 entstandenen Opern „Satyagraha“, „Akhnaten“ und „The Photographer“ (letztere nach einem Libretto von Talking-Heads-Sänger David Byrne) sowie der Zyklus „Glassworks“ von 1981.

Die großen „Hits“ stehen also nicht auf der Setlist. Dennoch sind von dem Abend gewissermaßen „Koyaanisqatsi“-Vibes zu erwarten. Denn „Glassworks“ stammt aus der gleichen Schaffensphase und arbeitet mit ähnlichen Mustern. So bauen beispielsweise „Floe“ und „Rubric“ in „Glassworks“ mit einem sich mehrfach verdoppelnden Tempo eine ähnliche Atmosphäre der rastlosen Gehetztheit auf wie „The Grid“, das zentrale und längste Stück in „Koyaanisqatsi“.

„Façades“ wurde sogar direkt für den Film komponiert, dort aber letztlich nicht verwendet und stattdessen in „Glassworks“ integriert.

Aufgeführt wird all das in Karlsruhe von einem achtköpfigen Ensemble, dessen Mitglieder teils selbst renommierte Komponisten sind und als Musiker viele unterschiedliche Projekte von Klassik bis Pop prägen.

Auch das ist ein Grund, das Konzert in Karlsruhe, das in Kooperation mit dem Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) stattfindet, als „Once-in-a-lifetime“-Gelegenheit einzustufen. Es sei denn, man will der Gruppe direkt in die Niederlande nachreisen. Dort gibt es vom 13. bis 19. Oktober fünf weitere Termine – zwei davon sogar mit „Koyaanisqatsi“.

Rechte am Artikel erwerben

Zur Übersicht